auf gaumenhöhe: WALTRAUD SCHWAB über die Ehrung der Meisterköche 2002
Berliner Grausamkeiten
Berlin ist grausam. Da wird in einer Sturmnacht, in der 381 Bäume umstürzen, ins Hotel Intercontinental geladen. Zum Galadiner anlässlich der Ehrung der Berliner Meisterköche. Sieben ihrer Zunft, leichtfertig Chefs genannt, werden ausgezeichnet. Sie bekommen eine Festschrift und eine Medaille überreicht. „Meisterkoch, Koch“ und „Aufsteiger des Jahres“ heißen die Siegertitel. „Aufsteiger!“ Nur in Berlin ist ist so was als Auszeichnung denkbar. Trotzdem: Das fühle sich gut an, bestätigen die erwählten Herren und die eine Dame, Carmen Krüger aus dem brandenburgischen Eichwalde. Sie ist die wahre Newcomerin. Denn erst im sechsten Jahr des Meisterköche-Wettbewerbs hat es eine Frau, sie, in den Berliner Gaumenolymp geschafft.
Höhepunkt des Events, das mithelfen soll, Berlin zur Weltstadt zu machen, ist das Galadiner. Bürgermeister und Innenminister sind geladen, Adlige und Leute mit Namen, Einflussreiche und Einflussarme haben sich angemeldet, ja sogar der PDS-Parteichef Stefan Liebich will kommen. Im zugigen Potsdam-Saal des Interconti wird gespeist. Hellblau und dunkelrot ist die Kulisse. Ein kühles Licht, von Raumschiff Enterprise inspiriert, leuchtet unter den ovalen Tische hervor.
320 Gäste werden erwartet. Für ihre Hände wird neben den unzähligen Messern, Gabeln und Gläsern auf dem Tisch kaum Platz sein. Den Ellbogen mal auf- und den Kopf darauf abstützen, weil das Leben so schwer ist! – „Hören Sie mal, wo sind wir hier“, wird belehrt. Anstatt Speisekarte wurde der Platzteller von Villeroy & Boch mit der Sieben-Gänge-Menü-Folge direkt bedruckt. Selbstredend darf jeder Gast ihn später mitnehmen. Das muss man sich vorstellen: Die Herren im Smoking und die Damen im Abendkleid haben nicht nur fein gespeist, am Ende ziehen sie auch noch mit dem Geschirr unterm Arm von dannen. Die Köche aber, zu deren Ehren das Diner stattfindet, stehen in der Küche des Hotels und bereiten das Essen vor. Mitfeiern ist nicht. Arbeiten gilt. Das ist die erste große Grausamkeit des Abends.
Die zweite ist raffinierter, denn die Köche haben es faustdick hinter den Ohren. Während sie, umgeben von gefliesten Wänden und silbrigen Töpfen, ihre Pfauenaugenfühlersugos und Libellenflügeldesserts, das Silberdistelglanzconsommée und die Windgeflüsterpancettas zubereiten, wissen sie, dass sie im Vorteil sind. Ihren Gaumen ist bekannt, was sie kreieren. Kunstvoll verteilen sie von jedem Meeresfrüchtchen, Möhrchen, Knurrhähnchen und Nougattäschchen eineinhalb Quadratzentimeter auf den sieben verschiedenen riesigen Tellern, die von 60 Serviererinnen später behände im Saal verteilt werden. Eine donnernde Combo trägt zum Ambiente echter deutscher Pflichterfüllung bei: Den Gästen ist Genuss verordnet und das heißt Entsagung. Ein Löffelchen „Amuse Bouche“ und weg ist es. Ein Streifchen Soße, mit der Pinzette auf den Teller drapiert – wo? Ein Augenblick Boeuf à la Mode – verschwunden in einem Salatblatt.
Die dritte Grausamkeit aber weist Berlin als Provinzstadt mit jenem Charme aus, den keiner versteht: Die Pressekonferenz zum Event, das vom senatsgeförderten Marketingunternehmen der Stadt zur Hebung des Renommées, zur Steigerung der Anziehungs- und Ausstrahlungskraft der Metropole erfunden wurde, findet in der Hotelküche statt. Die Kreationen dürften bewundert, der Stolz der auserwählten Köche goutiert, ein Foto fürs Familienalbum geschossen werden. Probieren aber ist nicht. Es beißt ja auch hinterher niemand in das Zeitungspapier, das Radio oder den Fernseher, mit deren Hilfe die Kunde von der Größe der Stadt in die Welt getragen wird.
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