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Wenn der Bürgermeister die Rechnung nicht zahlt …

Viele Berliner Betriebe sind unzufrieden mit der Zahlungsmoral der städtischen Behörden. Für solche Streitfälle gibt es nun eine Schlichtungsstelle

Im Flur von Norbert Wenneburgs* Wohnung stapelt sich unnützes Papier. Ausschreibungen, Kostenvoranschläge, von ihm gelegte Rechnungen. Vor allem Letztere sind schuld an der Unordnung. Wenneburg hatte einmal ein Büro, 15 Mitarbeiter und 30 Jahre Erfahrungen in der Baubranche. Jetzt ist Wenneburg pleite.

„Ick hab mich uff de falschen Leute valassen“, sagt er. Das Aus für Wenneburgs Firma kam, als ein öffentlicher Auftraggeber in Berlin einen fünfstelligen Eurobetrag nicht zahlte. „Die vom Amt“ hätten seine Rechnungslegung bemängelt. Teilweise zu Recht, aber „die hätten ja ooch mal eher den Mund uffmachen jekonnt“.

Der Streit Wenneburgs gegen „die vom Amt“ ist kein Einzelfall. Rund 20 Prozent der kleinen Berliner Betriebe, die öffentliche Aufträge ausführen, sind unzufrieden mit der Zahlungsmoral der Berliner Behörden. Und weil jede Insolvenz ein schlechtes Licht auf den Wirtschaftsstandort Berlin wirft, fuhr Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) gestern morgen in die Kreuzberger Blücherstraße. Im dunkel getäfelten Meistersaal der Handwerkskammer setzte er neben Vertretern von IHK, Handwerkskammer, Bezirksämtern und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung seine Unterschrift unter die Vereinbarung über eine „Schlichtungsstelle zur Regelung von Streitigkeiten zwischen öffentlichen Auftraggebern und privaten Auftragnehmern“.

Das Pilotprojet mit dem umständlichen Namen soll zunächst für zwei Jahre in Streitfällen zwischen öffentlicher Hand und mittelständischen Unternehmen vermitteln.

Bei der Schlichtungsstelle können Unternehmer zum Preis von maximal 100 Euro Recht bekommen, wenn sie Aufträge für die Stadt Berlin ausgeführt, aber kein Geld gesehen haben. Dazu müssen sie nachweisen, dass sie den Auftrag korrekt ausgeführt haben. Und sie müssen sagen, wer ihnen das Geld verweigert.

Zwar streute Harald Wolf vor der Vertragsunterzeichnung das Wort „Aufbruch“ in die Runde, aber die Zünfte selbst verfolgen die Verwaltungsinitiative eher skeptisch. „Wer gegen die Verwaltung aussagt, muss doch damit rechnen, dass er von dort keinen Auftrag mehr bekommt“, beschreibt der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, Norbert Atzler, das Problem. Und er hat es auch in der Branche schwer, heißt es. Auf vermeintliche Störenfriede wird sensibel reagiert. Wer redet, muss um seine Lieferantenkredite fürchten. Und wenn dann der Auftraggeber nicht zahlt, reicht die dünne Finanzdecke kleiner Betriebe nicht für einen langen Atem. Wer den aber hat, fährt mit öffentlichen Aufträgen gut. Denn: „Die Stadt begleicht Rechnungen vielleicht spät, aber irgendwann überweist sie garantiert“, sagt Gaetano Foti, Chef der Berliner Mittelstandsvereinigung.

Solche Weisheiten kommen für Wenneburg zu spät. Seine letzten Rechnungen hat der 63-Jährige gar nicht mehr eingereicht. Es sei hart, nach 30 Jahren aufzuhören, sagt er. „Aber ick kann ja, Jott sei Dank, uff Rente jehn.“ MATTHIAS BRAUN

* Name geändert

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