: Keine Randale bei den Medici
Aktivisten, die sich vor Jahren noch feindlich gegenüberstanden, sitzen in Florenz nun zusammen an einem Tisch. So viel Dialogbereitschaft gab es selten
aus Florenz MICHAEL BRAUN
„Was soll ich bloß schreiben?“ Milde verzweifelt wendet sich der Journalist, der zur Registrierung beim European Social Forum (ESF) Schlange steht, an einen Kollegen. „Hier ist ja gar nichts los.“ Gar nichts auf jeden Fall von dem, was nach der in Italien wochenlang hysterisch geführten Debatte viele erwarteten: ein zweites Genua, der Sturm der Vandalen, Plünderung und Brandschatzung.
Dennoch, die surreale Angstkampagne hat Spuren hinterlassen. Spuren in der weitgehend ausgestorbenen Stadt. Viele Florentiner sind aufs Land geflüchtet oder haben sich zu Haus verbarrikadiert – die Supermärkte jedenfalls meldeten in den Tagen vor dem Start des ESF Spitzenumsätze. Und die US-Touristen sind gleich gar nicht erst angereist; das State Department hatte Florenz zum dringend zu meidenden Krisengebiet erklärt. Im Zentrum sind zahlreiche Läden verbarrikadiert, und der McDonald’s am Bahnhof macht Ernst mit „No Logo“ und hat die Neonreklamen abgeschraubt.
Etwas Verunsicherung ist auch auf dem Forum spürbar – doch sie beschränkt sich auf den Eingangsbereich. Wer hinein will, muss durch ein Spalier von Ordnern aus den Reihen des Gewerkschaftsbunds CGIL, die finster blickend die am Hals baumelnde Registrierungskarte prüfen. Drinnen im großen Innenhof der Fortezza da Basso, der Medici-Festung aus dem 16. Jahrhundert, gibt es dann nur noch ein Problem: den durchschlagenden Erfolg der Veranstaltung. Statt der erwarteten 18.000 sind schon am Samstag 40.000 registrierte Teilnehmer da, versuchen sich im Geschiebe und Gedränge auf Spanisch, Englisch, Dänisch, Deutsch zu Sälen, zu Treffpunkten, zu Ständen durchzufragen.
„Ein anderes Europa ist möglich“, dieses Motto des ESF wird schon auf den Transparenten im Innenhof auf recht unterschiedliche Weise durchdekliniert. Ein Schriftzug fordert „Eine Verfassung für Europa“, ein anderer reklamiert etwas weniger bescheiden „World Revolution!“ Radikale Unterschiede, die aber so recht kein trennendes Potenzial entfalten wollen – dies fällt immer wieder auf beim ESF. Die größte Halle präsentiert sich als eine Art Messe der „Bewegung der Bewegungen“, und als sei es die größte Selbstverständlichkeit, findet sich der Stand der Anarchisten neben dem der orthodoxen Kommunisten, der Tisch eines Missionswerks neben dem der „International Socialists“.
Nicht der Protest gegen irgendeinen G-8- oder IWF-Gipfel hält die Globalisierungskritiker diesmal zusammen, sondern der Wunsch, über Perspektiven nachzudenken. Denn das ESF ist vor allem eine gigantische Bildungsveranstaltung. 5.000 Leute drängen sich auf der Konferenz über „Ernährungssouveränität“, hören die Abrechnung José Bovés mit der EU-Agrarpolitik und dem weltweiten Business mit gentechnisch modifizierten Pflanzen. Über 2.000 Teilnehmer haben bis auf den letzten Stehplatz den Saal gefüllt, in dem über die Reform der Finanzmärkte diskutiert wird. Konzentrierte Stille, eifriges Mitschreiben über drei Stunden – Uni-Professoren könnten neidisch werden auf dieses Publikum.
Ein Publikum, das zeigt, dass es nicht gerade auf der Suche nach dem Trennenden ist. Rauschender Beifall für die Podiumsreferenten, die Reformen des IWF und der Weltbank einklagen und den ökonomischen Sinn der Tobin-Steuer darlegen, rauschender Beifall aber auch für den Diskussionsredner von „Globalise Resistance“ aus Großbritannien, der nicht bei der Kritik am Neoliberalismus stehen bleiben will, sondern „against capitalism“ wettert und die Abschaffung des IWF fordert.
Natürlich ist da auch viel schon Bekanntes zu hören, und Anna aus Berlin ist denn auch ein wenig enttäuscht über die Konferenz zum Rechtsextremismus. Da sei bloß mal wieder an die Verantwortung der Linken erinnert worden, Rechtsextremen und Populisten nicht das Feld der Globalisierungskritik zu überlassen – „das wissen wir in Berlin schon seit Jahren“. Dann aber setzt sie versöhnlich nach: „Aber es ist wohl auch wichtig, dass wir alle in Europa zusammen das Gleiche sagen.“
Immer wieder sitzen in Florenz Leute an einem Tisch, die noch vor ein paar Jahren gar nicht miteinander geredet hätten, die aber auf dem „neutralen“ Terrain der globalisierungskritischen Bewegung plötzlich zum Dialog kommen. Bei der Veranstaltung über „Gewerkschaften und soziale Bewegungen“, tritt die Vertreterin des „etablierten“ Europäischen Gewerkschaftsbundes ganz selbstverständlich gemeinsam mit „antagonistischen“ Basisgewerkschaftern aus Italien und Frankreich auf. Bei der Debatte über „Institutionen und soziale Bewegungen“ stellt sich Claudio Martini, der Präsident der Region Toskana, radikalen Predigern zivilen Ungehorsams.
So viel Dialogbereitschaft scheint ansteckend zu sein. Am Abend bricht zwar endlich der gefürchtete Anarchistentrupp in Richtung Einkaufsstraßen des Stadtzentrums auf. Doch die Anarchisten wollen nicht randalieren – sie wollen bloß den Ladenbesitzern danken, die trotz Panikkampagne ihre Geschäfte offen gehalten haben.
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