piwik no script img

Zahnlos in einem Kaff mit 65 Seelen

Seinen 60. Geburtstag darf nachträglich auch Hamburg mit ihm feiern: Rosa von Praunheim zeigt am Freitag seine neue Spieldokumentation „Kühe vom Nebel geschwängert“ im Neuen Cinema am Steindamm – wo sonst

Die Obdachlosen rebellieren und nehmen die Therapeutin als Geisel

von KATRIN JÄGER

Vergangenen Montag wurde er sechzig Jahre alt. Er gilt als Vater der deutschen Schwulenbewegung, ein Prominenten-Outing Anfang der Neunziger Jahre brachte ihm einige Prozesse ein. Seine ironischen Filme haben ihren festen Platz in der internationalen Filmkunst. Rosa von Praunheims neuer Film ist nun gar nicht schwul, ein bisschen lesbisch, urkomisch und – da bleibt er sich treu – provokant.

In der Spieldokumentation Kühe vom Nebel geschwängert mimen die Mitglieder des Berliner Obdachlosentheaters Ratten 07 sich selbst. „Ich habe sie auf ein Schloss nach Mecklenburg eingeladen, um mit ihnen dort drei Wochen zu leben, zu wohnen und zu arbeiten. Entstanden ist eine Parodie auf Therapie“, erzählt der Regisseur.

Die Story: Eine reiche Therapeutin bietet den Obdachlosen freie Kost und Logis auf ihrem Schloss an, wenn die sich im Gegenzug therapieren lassen. Die Gruppe willigt ein, muss aber bald Farbe bekennen. Die Schlossherrin hält sie an der Kandarre: keine Drogen, kein Alkohol, dafür Obst und Unmengen von Wasser zum Ausschwemmen blockierter Energien. Die Obdachlosen rebellieren, nehmen die Therapeutin kurzerhand als Geisel und wollen im Schloss „was Vernünftiges“ aufziehen.

Zur Wahl stehen mehrere Vorschläge: eine Haschplantage, ein Heim für alte russische Lesben und ein Ausbildungscamp für die Hisbolla. Wie im Film, so waren auch im wahren Leben die Bewohner vonWrodow nicht gut auf die Darsteller zu sprechen. Der Bürgermeister Klaus Schröder spielt im Film mit. Er hat es geschafft, das Klima zwischen Dorf und Filmcrew zu verbessern, so der Regisseur. „Der Bürgermeister hat sich sofort mit den Ratten gut verstanden, hat mit den zusammen gesoffen und mit sehr viel Humor das Ganze gut überstanden.“ Bei einigen Menschen im Dorf hatte der Filmemacher allerdings schon vorher einen Kredit. Denn vor zwei Jahren hat er über Ort und Menschen einen Film gedreht mit dem Titel Wunderbares Wrodow. Der Film zeigt die ehemalige DDR nicht so jammernd, sondern als positives Beispiel, wie West und Ost zusammen arbeiten können.“

Mit eigenwilligem Blick sucht der Regisseur in seinen rund sechzig Filmen die Perspektive von Außenseitern, von Personen, die sich nicht in das gängige Gesellschaftsbild einpassen. Die Bettwurst, eine Parodie auf heterosexuelles Spießbürgertum, verhalf dem jungen Regisseur 1970 zum Durchbruch. Sein folgender Dokumentarfilm, Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt markiert den Beginn der deutschen Schwulenbewegung. Von Praunheim forderte darin mit dem Aufruf „Werdet stolz auf eure Homosexualität! Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“ zur Offensive in der Öffentlichkeit auf. Zunächst hagelte es dafür Beschimpfungen, von konservativen Heterosexuellen ebenso wie von ängstlichen Homosexuellen. Mit dem Effekt, dass „wir nach den Diskussionen zu dem Film über 50 Schwulengruppen in Deutschland gegründet haben“, erklärt von Praunheim.“ Als viele seiner Freunde an AIDS starben, klärte er in seiner sehr persönlichen AIDS-Trilogie über das Virus auf.

Sein Konzept der eigenen Biographie als Grundlage für das künstlerische Schaffen vermittelt von Praunheim heute seinen Studenten an der Filmhochschule Babelsberg. „Meine Gewohnheiten, meine Kultur, die Details, der Geruch. Die großen traurigen Erlebnisse, Verletzungen. Damit muss ich sozusagen umgehen. Das ist das Material für meine Filme.“ Streng genommen hatte Rosa von Praunheim gar keine Jugend. Denn der verträumte Junge, der viel zeichnete und in den prüden 50ern Schwierigkeiten mit seiner Homosexualität hatte, hieß Holger Mischwitzky. Rosa nannte er sich erst, als er den muffigen Frankfurter Stadtteil Praunheim in Richtung Berliner Kunsthochschule verlassen hatte.

Fr, 20 Uhr, Neues Cinema, Steindamm (in Anwesenheit von Rosa von Praunheims und den Mitgliedern des Obdachlosentheaters Ratten 07)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen