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Die Heldin mit dem Monopol

Weder war Alice Schwarzer aktiv in der Politik, noch hat sie irgendjemands Schwanz abgeschnitten Schwarzer wirkt wie ein Kuriosum aus anderen Zeiten, für das man besser heimlich schwärmt

von KATJA KULLMANN

Als Elvis Presley im August 1977 starb, hatte mein Vater Tränen in den Augen, und ich war sieben Jahre alt. Bald darauf entführte die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, und meine Eltern versuchten mir zu erklären, was das zu bedeuten hat. Im selben Jahr erschien die erste Emma. Ungefähr in dieser Zeit muss ich das Wort „Emanzipation“ aufgeschnappt haben. Es klang interessant, denn es gehörte in die Erwachsenenwelt, so wie die Begriffe „Notstandsgesetze“ und „Ölkrise“, unter denen ich mir lange Zeit nichts vorstellen konnte. Das Wort „Emanzipation“ war auf Anhieb plastischer: Es ging um Frauen, die nicht mehr putzen, kochen und Wäsche waschen wollten, so viel verstand ich. Und es gab ein Gesicht zum Wort: Alice Schwarzer.

Schwarzer war damals öfters im Fernsehen zu sehen, sie diskutierte mit Männern, die rauchten, sie sprach sehr viel und schnell, und immer wenn im privaten Rahmen ihr Name fiel, schmunzelten die Erwachsenen seltsam, Männer wie Frauen. Stets war da dieses belustigte bis verschwörerische Grinsen. Irgendwie war es ja auch zu komisch. Ich kannte damals in den Siebzigern nur Mütter, die genau das taten, was Alice Schwarzer offenbar verbieten wollte, vom Putzen bis zum Popoabwischen. Ich kannte keinen Vater, der das alles tat.

Heute, exakt ein Vierteljahrhundert später, wird Alice Schwarzer 60, ich bin 32, und noch immer ist mir kein Mann begegnet, der sich der Hausarbeit im Hauptberuf verpflichtet hat. Bekannt sind mir dagegen zig junge Frauen, die doppelt und dreifach belastet zwischen Büro und Kinderzimmer hin und her hetzen und trotz guter Ausbildung und festen Willens auf den unteren Hierarchieebenen hängen bleiben; oder solche, die Fortpflanzung und Partnerschaft lieber verschieben beziehungsweise dankend abwinken. Derweil turnen ausgestopfte Luder durch die Öffentlichkeit und schürzen ihre allzeit bereiten „Leck mich“-Lippen. Das alles hat zu tun mit dem zur Schau getragenen Selbstbewusstsein der „Frau von heute“, die lieber bonbonfarbene „Zicken“-T-Shirts trägt als lila Latzhosen und lieber Cosmopolitan liest als Emma.

Fast scheint das Schmunzeln über Schwarzer berechtigt zu sein. Wie ein Kuriosum aus längst vergangenen Zeiten wirkt sie inmitten der silikonhügeligen, fiebrig-flexiblen Landschaft. Wer für Schwarzer schwärmt, tut dies besser heimlich. Anachronistisch erschien schon ihre PorNO!-Kampagne in den 80er-Jahren, rührend altmodisch wirkt ihr stets aufs Neue vorgebrachter Appell, auf stöckeliges Schuhwerk zu verzichten, weil Stilettos den Beckenboden senken und die Frau am Wegrennen hindern, wenn ein Vergewaltiger hinter ihr her ist. Da spricht die Mutter zur Tochter, ach was, die Großmutter spricht zur Enkelin, könnte man meinen. Und die Enkelin winkt ab, denn es muss ja weitergehen mit der Geschichte. Sie will Stilettos tragen und trotzdem stark sein dürfen und ernst genommen werden. Einige kriegen das ja auch hin. Was will dann eigentlich so eine wie Schwarzer, die sich herausnimmt, „für alle“ zu sprechen, wo sich die postmoderne Frau doch längst als freigesetztes Individuum begreift?

Viele Schwarzer-Sätze enthalten Formulierungen wie: „Drei von vier Frauen meinen …“ Immer wieder bemüht sie die Statistik, um den Einzelfall im Licht der Gesamtheit zu sehen. So hält es auch die Emma. In anderen so genannten Frauenzeitschriften geht es eher um die Kunst der individuellen work life balance, das liest sich natürlich leichter. Wut über die Verhältnisse ist anstrengender als Entertainment, und mit dem Mobilitätsdruck und der Altersvorsorge hat man schließlich schon genug um die Ohren. Auch deshalb taugt Alice Schwarzer nicht zur Heldin.

Dabei könnte sie genau das sein: eine Heldin. Warum eigentlich nicht? Heldentum ist ein genügsames Ding, es braucht nicht viel dafür, und es wird sowieso sehr schlampig umgegangen mit diesem Begriff. Gert Müller zum Beispiel gilt als Held, weil er vor 30 Jahren ein paar entscheidende Tore schoss. Joschka Fischer hat das Zeug zum Helden oder wenigstens zum Antihelden, weil er sich vom Straßenkämpfer zum Außenminister wandelte.

Alice Schwarzer hingegen ist eine Frau. Sie hat jahrelang gegen den Paragrafen 218 gekämpft, weshalb die nachfolgende Generation nach einer Abtreibung kein Verbluten und keinen Prozess mehr befürchten muss. Sie hat mit ihrem 1975 erschienenen Buch „Der Kleine Unterschied“ am patriarchalisch geprägten Privatleben von Millionen Frauen gerührt. Sie hat – vergeblich – den Stern wegen frauenfeindlicher Titelbilder verklagt. Alice Schwarzer hat all das getan in einem Land, in dem der Ehemann seiner Ehefrau den Job verbieten konnte, und zwar bis 1976, zu dem Jahr meiner Einschulung. Schwarzer prangerte die frauenfeindliche Praxis des Scharia-Rechts in islamischen Ländern schon an, während andere noch gar nicht sicher waren, ob das politisch korrekt ist. Alice Schwarzer ist eine Frau. Hätte sie Tore geschossen, wäre sie auch eine Heldin. Vorausgesetzt natürlich, Frauenfußball hätte jemals interessiert.

Das Aufeinandertreffen von Alice Schwarzer und Verona Feldbusch in der viel besprochenen „Johannes B. Kerner Show“ im Juni 2001 – von Bild angekündigt als Duell zwischen Geist und Körper – geriet zum schmerzhaften Aneinandervorbeireden. Feldbusch wurde aggressiv, Schwarzer zynisch. Der Spiegel schrieb danach ironisch vom „Punktsieg für Pumps“. Aufschlussreich am Schwarzer-Feldbusch-Treff war vor allen Dingen eines: Es ist dem Kerner-Stab offenbar niemand Besseres als Feldbusch eingefallen. Aber wer wüsste schon eine, die als ernst zu nehmende Sparringspartnerin taugte, auf Anhieb, meine ich? Feldbusch sollte in der TV-Dramaturgie die Rolle der aufmüpfigen Epigonin übernehmen und äußerte erwartungsgemäß nur Quatsch mit Soße.

Es gibt im Grunde keinen Anlass zur Verklärung. Weder war Alice Schwarzer jemals aktiv in der Politik, noch hat sie irgendjemands Schwanz abgeschnitten oder im Knast gesessen. Sie hat das Bundesverdienstkreuz erhalten, was Skepsis durchaus rechtfertigen könnte, und das Illegalste, was ihre Biografie hergibt, ist eine Verwarnung der Kölner Verkehrsbetriebe wegen Schwarzfahrens. Schwarzer ist Journalistin, Buchautorin, Verlegerin, nicht mehr und nicht weniger. Sie macht als Publizistin Werbung für die Sache der Frau, unermüdlich und auf hohem agitatorischem Niveau. Sie verdient damit gutes Geld. Sie ist etabliert und hat stets mit dem Promi-Status geflirtet. Und sie hat für vieles und viele den Kopf hinhalten müssen.

Heute werden die Zeitungen wieder einmal voll von Schwarzer-Porträts sein, und nicht wenige Schreiber werden sich in Hohn und Häme versuchen, wofür in Porträts über männliche Jubilare nur selten Platz ist. Auch diese Zeitung hat ihre Probleme mit Frau Schwarzer. Die Bild schrieb einst von „Miss Hängetitt“, die taz vom „feministischen Funkenmariechen“. Zum Weltfrauentag 1996 durften ehemalige Emma-Mitarbeiterinnen hier unter der Überschrift „Retten Sie sich vor Alice“ verbreiten, wie herrisch Frau Schwarzer sich mitunter benimmt. Noch nie habe ich in der taz oder sonstwo einen Exmitarbeiter von Ron Sommer, Friedrich Küppersbusch, Gerhard Schröder oder einem anderen Herrn entdeckt, der namentlich zitiert über seinen Exchef lästert. Bei Alice Schwarzer hingegen lässt man Fünfe gerade sein und schickt noch eins hinterher. Ein „borniertes Bewegungsblatt“ sei die Emma, weiter nichts.

Ja, es wäre wirklich toll, wenn es neben der Emma noch andere Magazine gäbe, die Frauen nicht nur als Konsumentinnen-Zielgruppe behandeln, und wenn es neben Schwarzer noch andere gäbe, die die Ungerechtigkeit und die Gefahr des Backlash mit solcher Ausdauer thematisierten. Es wäre prima, wenn es verschiedene Stimmen, Tonfälle, Dialekte gäbe, die die Idee des Feminismus weitertragen, nicht nur den Schwarzer-Tenor. Mag sein, dass Schwarzer die Boxhandschuhe angezogen hat, um sich den Platz zu erkämpfen, den sie heute hat. Schade, dass andere Frauen sie zur Monopolistin werden ließen und nicht ebenso kampflustig in den Ring stiegen. Gäbe es viele verschiedene Vorstreiterinnen, die sich Gehör verschafft hätten wie Schwarzer und auch die Niederungen der Massenmedien nicht gescheut hätten, könnte jede junge Frau sich heute eine aussuchen und wäre empathischer an die Zeitgeschichte angebunden. Und würde vielleicht lautstark protestieren, wenn die Chancengleichheit rücklings wieder bedroht ist.

Alice Schwarzer wird heute 60. Es gibt nur eine, und es sei ihr gratuliert.

KATJA KULLMANN, 32, Autorin des Buchs „Generation Ally“, hat Gesellschaftswissenschaften studiert und schreibt u. a. für die FAZ und die Financial Times Deutschland

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