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Logos werden eingepackt

Wer an den Adventssamstagen über den Alex bummelt, bekommt es dieses Jahr mit der Kunst zu tun. Mit ihren Einkaufstüten aus Packpapier will Gabriele Zygor ein Zeichen gegen den Verpackungswahn setzen – und schreibt eine Diplomarbeit darüber

von ANNE HAEMING

„Hast du was vergessen?“ In Mandarinen-Orange und Schwarz flammt die kantige Typo vom Packpapier. Die Antwort wird auf einer anderen Tüte vorbeigetragen: „Leben nicht vergessen.“ Das sind nur zwei von 4.000 Packpapiertüten, die die Kommunikationsdesignstudentin Gabriele Zygor und ihre vielen Hilfsengel auf dem Alexanderplatz verteilen. An jedem Adventssamstag stehen sie dort zwischen Kaufhof, Saturn und Weltzeituhr und arbeiten dem Weihnachtskonsum entgegen. Tenor der Aktion: „Du kannst nicht alles kaufen.“ Leiser Einsatz mit Megafonwirkung, die Aktion heißt nicht umsonst „Alex-Flüstertüte“.

Was im Warenrausch der Vorweihnachtszeit bezahlt und eingetütet über den Alex getragen wird, verschwindet früher oder später in einer von Zygors No-Name-Taschen. „So wollte ich erreichen, dass sich Käufer von ihrem gerade konsumierten Gut distanzieren“, erklärt die Studentin ihr Projekt, „zumindest unbewusst.“

Die Aktion ist Teil ihrer Diplomarbeit, Thema: Marken und deren Wertevermittlung. Zygor sieht sich damit in der „No Logo“-Tradition Naomi Kleins. Es ist ein Appell an Werte jenseits Swoosh, Krokodil und Co. „Die Grundidee war, mit den Aufschriften das zu adressieren, was wir uns eigentlich alle wünschen“, erklärt Zygor. „Die Frage- und Antworttüten unterhalten sich also über Liebe, Mut, Respekt, Gerechtigkeit und so weiter.“ So entstehe idealerweise ein Netzwerk aus visueller Kommunikation, das sich mit den Trägern über den Platz, die Verkehrswege und die Stadt ausbreite.

Die Flüstertüten sollten nicht für Werbebetüten gehalten werden – deswegen die schlichten Buchstaben, die schräge Anordnung der Sätze und die an den russischen Konstruktivismus erinnernde Grafik.

Zygors Botschafter sind leicht zu erkennen, mit großen Pappflügeln auf dem Rücken schwirren sie auf dem Alex herum, beladen mit Flüstertüten. Wer auf seiner Geschenketour vorbeigeht, wird angesprochen und bekommt eine der bunt auf braunen Henkeltaschen in die Hand gedrückt. Die Reaktionen seien grundsätzlich positiv, erzählt die Initiatorin Zygor. „Die Leute merken sehr schnell, dass das kein Kommerz ist, keine Werbeaktion, keine Firma dahinter steckt, sondern wirklich nur ein Geschenk ist.“ Sie missbraucht die Tüten als Werbeträger für ihre eigene Botschaft. Es sei zwar ideelle Werbung, aber: „Im Prinzip mache ich das Gleiche wie Kaufhof.“

Die Alexflüstertüten werden heute und am 21.12. zwischen 14 und 18 Uhr auf dem Alexanderplatz verteilt.

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