: „Ich wollte nie ein Mann sein“
Interview HEIDE OESTREICH
taz: Frau Schmidt, das Amt von Familienministerinnen haben Sie mal als „unmöglich“ bezeichnet: „Sie dürfen immer nur klagen, aber ändern können sie nichts – ein unmöglicher Zustand.“ Warum haben Sie sich in diesen Zustand begeben?
Renate Schmidt: Den Satz habe ich 1993 zu Frau Nolte gesagt. Inzwischen bewegt sich etwas in der Familienpolitik. Kanzler Schröder hat zu mir gesagt: Du hast zwar keine Gesetzgebungskompetenz, aber du kannst und musst nach allen Seiten kommunizieren. In meine Sprache übersetzt heißt das: Ich muss mich überall einmischen. Das organisiere ich gerade.
Sie haben einmal erklärt, man habe Sie als Politikerin immer ernst genommen – bis sie Frauenpolitik machten. Männer würden Frauen immer noch in „Normale“ und „Emanzen“ aufspalten und sich bemühen, Letztere lächerlich zu machen, um sich nicht mit deren Forderungen auseinander setzen zu müssen. Haben Sie Hoffnung, dieser Spaltung jetzt als Frauenministerin zu entkommen?
Ich habe einen Vorteil: Die Männer in der Politik finden, ich bin eine patente Frau. Sie haben den Eindruck, dass ich Männer mag. Sie haben sogar den Eindruck, dass ich sie manchmal nicht ganz ernst nehme, aber trotzdem mag.
Dass Sie keine „Emanze“ sind, sondern zur Kategorie „normal“ gehören?
So in etwa. Ich war zum Beispiel nie in der ASF, der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, aktiv. Nicht weil ich gegen die ASF wäre, das bin ich nicht, sondern weil ich anderweitig engagiert war – im Ortsverein, als Gewerkschafterin – und dazu drei Kinder habe. Ich bin sicherlich nicht das, was man im Sinne von Alice Schwarzer eine Feministin nennt. Aber ich werde nicht zwischen mich und Feministinnen oder die ASF-Frauen einen Keil treiben lassen nach dem Motto: Das ist die vernünftige Schmidt, und das sind die überkandidelten Feministinnen. Wir müssen eine Einheit sein, bis wir erreicht haben, was wir wollen.
Und Sie landen in der Schublade, in die Sie nicht wollen.
Nein, es wird eher so sein: Die männlichen Mitmenschen, die bei dem Wort „Gender Mainstreaming“ immer die Augenbrauen hochziehen und so komisch lächeln, könnten denken: Wenn die das sogar gut findet, dann ist vielleicht doch irgendetwas dran.
Wie definieren Sie denn den Unterschied zwischen Renate Schmidt und Feministinnen?
Den Unterschied definiere nicht ich. Den definieren andere, die teilweise Vorbehalte gegen mich haben, vielleicht weil ich freundlich zu den Männern bin.
Kein einziger sachlicher Grund?
Man nimmt mir natürlich auch übel, dass ich lebenspraktische Dinge über die Ideologie stelle. Dass ich etwa nicht auf Teufel komm raus das Ehegattensplitting abschaffe, wenn sich herausstellt, dass die kinderlose „Hausfrauenehe“, die durch das Splitting begünstigt wird, was wir immer zu Recht kritisiert haben, nur noch in Spuren vorhanden ist. Die Menschen leben nicht von Systemen, sondern in ihren materiellen Lebensbedingungen. Und ich habe keinerlei Interesse, die Lebensbedingungen von Familien zu verschlechtern.
Also wird es keinerlei frauenpolitische Veränderungen bei der Steuer geben?
Doch. Ich will die Steuerklasse fünf reformieren. Das ist die Klasse, in der viele arbeitende Ehefrauen landen. Sie wird sehr hoch besteuert, sodass ein geringer Nettolohn übrig bleibt. Alle Lohnersatzleistungen richten sich aber nach dem Nettoeinkommen. Wenn man also in Mutterschutz geht oder arbeitslos wird, bleibt einem kaum etwas. Das werden wir ändern. Das nützt den Frauen wirklich und ist keine symbolische Aktion.
Vielleicht sind Frauenpolitikerinnen auch pikiert, wenn Sie verkünden, Frauen seien nun genug gefördert worden?
Das ist allerdings meine Meinung. Frauenförderung heißt ja, dass man Frauen qualifiziert und bildet. Das hat die Frauengeneration, die heute die Schulen, die Universitäten oder die betriebliche Ausbildung verlässt, beileibe nicht mehr nötig.
Frauenförderung heißt aber auch, dass man Barrieren abbaut, die das Fortkommen von Frauen behindern. Männliche Beförderungskartelle etwa gibt es auch in Ihrer Partei …
Die beste Art der Frauenförderung, füge ich ja deshalb auch immer an, ist die Emanzipation des Mannes. Und zwar dahin gehend, dass er sein Vatersein auch praktisch annimmt. Dies bezeichne ich aber nicht mehr als Frauenförderung, sondern mit dem schönen Begriff, für dessen gelungenste Übersetzung ich hiermit einen Preis auslobe: Gender Mainstreaming, also die gerechte Berücksichtigung von männlichen und weiblichen Interessen bei allen Vorhaben. Das ist wirkliche Gleichstellung. Ich möchte natürlich, dass mehr Frauen in leitende Positionen in Betriebe kommen, und vor allem dort muss Gleichstellung verankert werden.
Das hat ja Ihre Vorgängerin schon lange und vergeblich versucht. Wie lange geben Sie den Unternehmen, bis doch ein Gesetz kommt?
Ich werde mich akribisch an den Koalitionsvertrag halten. Da steht: Wir werden die EU-Richtlinie zur Gleichstellung bis 2005 umsetzen. Dort geht es auch um die Privatwirtschaft. Wir werden etwa eine nationale Gleichstellungsstelle einrichten, die die Unternehmen beobachtet und berät, bei der man sich aber auch beschweren kann. Österreich hat damit gute Erfahrungen gemacht.
Das Gleichstellungsgesetz von Frau Bergmann kommt also nicht?
Ich werde nicht das Rad neu erfinden, wo es schon erfunden ist. Wenn die Betriebsräte quotiert werden und der Arbeitgeber laut Betriebsverfassungsgesetz über seine Maßnahmen zur Gleichstellung Auskunft geben muss, warum soll ich dasselbe dann in einem Gesetz für die Privatwirtschaft noch einmal fordern?
Betriebsräte haben sich selten für die Belange der Frauen stark gemacht.
Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist erst gut ein Jahr in Kraft, über die Wirkung kann man noch nichts sagen. Dort steht, der Betriebsrat soll die Gleichstellung vorantreiben. Da hat man doch die gesetzliche Grundlage. Ende 2003 wird außerdem die Vereinbarung mit der Privatwirtschaft dahin gehend überprüft, wieweit die Mühen der Arbeitgeber gefruchtet haben. Dann wird man klarer sehen – und die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationale Gesetzgebung kommt gewiss.
Über die Hälfte aller Betriebe haben keinen Betriebsrat. Für die war eben ein Gleichstellungsgesetz vorgesehen.
Das Betriebsverfassungsgesetz erleichtert die Gründung eines Betriebsrats. Wenn eine Belegschaft das nicht auf die Reihe kriegt, wird sie auch Verstöße gegen irgendein Gesetz zur Gleichstellung nicht ahnden. Eine Beschwerde bei der Gleichstellungsstelle halte ich ohnehin für erfolgversprechender, denn dieser Weg ist kürzer und unbürokratischer als eine Klage.
Man kann die Einsicht von Unternehmen ja auch fördern, indem man öffentliche Aufträge nur an Betriebe mit Gleichstellungspolitik vergibt. So machen es die USA. Ist das ein Weg für Deutschland?
Durchaus. Auch das steht in der EU-Richtlinie, und wir werden diese Richtlinie umsetzen.
Die mangelnde Kinderbetreuung, das zweite große Hemmnis für Frauen, die erfolgreich arbeiten wollen, haben Sie damit aber nicht geregelt. Die Kommunen befürchten jetzt schon, dass das versprochene Geld für Krippen nicht zur Verfügung stehen wird.
Das Geld kommt aus der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe nach dem Hartz-Konzept. 1,5 Milliarden Euro bleiben auch im allerschlechtesten Fall übrig. Das Geld wird ab Ende 2004 jährlich zur Verfügung stehen. Daran rüttelt niemand.
Wenn die Emanzipation der Männer die beste Frauenpolitik ist, wie Sie eben sagten: Wie sieht denn Ihre Männerpolitik aus?
Dass Kinder in den ersten 10 Jahren ihres Lebens fast ausschließlich mit Frauen zu tun haben, ist in der Tat grundverkehrt. Wir werden die Väterkampagne von Christine Bergmann fortsetzen und klar machen, dass das Leben mit Kindern keine Zumutung ist. Sondern bunter, vielfältiger, reicher als das von rein berufsorientierten Männern. Ich hätte keine Sekunde meines Lebens jemals ein Mann sein wollen.
Ist es also Zeit für einen Männerbeauftragten?
Nein, noch nicht. Ich sehe die Männergruppen mit Wohlgefallen, die sich nicht mehr nur beleidigt als Scheidungsopfer definieren, sondern andere Lebensvorstellungen für Männer propagieren. Aber einen Beauftragten brauchen wir noch nicht.
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