„Wir sind doch auch NGO

Andy Müller-Maguhn, Direktoriumsmitglied der „Netzregierung“ Icann, sieht noch viel Potenzial für die Kooperation von CCC-Hackern und Globalisierungskritikern: „Uns geht es ähnlich wie denen“

Interview ANNE HAEMING

taz: Herr Müller-Maguhn, in der aktuellen Hochzeit basisdemokratischer Bewegungen scheint das Internet das Medium der Zivilgesellschaft schlechthin?

Andy Müller-Maguhn: Ich würde nicht von einem neuen Zeitalter der Demokratie sprechen. Im Grunde sind Internet und Computer nur Werkzeuge, Strukturverstärker. Und wir alle wissen, dass man mit technischen Netzwerken den perfekten Überwachungsstaat betreiben genauso wie NGOs eine bessere Vernetzung bieten kann. Was bei Icann für mich der rote Faden ist, ist die Frage, wie die Architektur eines Netzes letztendlichAuswirkungen auf die gesellschaftlichen Zustände hat.

Attac bezeichnet sich als „Netzwerk ohne hierarchische Strukturen oder geographische Zentrale“, Icanns Grundverständnis ist das einer „global, consensus, non-profit corporation“ Lassen sich die beiden vergleichen?

Bei Attac kenne ich die Statuten nicht so genau, aber im Grunde geht es auch dort darum, Raum für Informationsvielfalt zu bieten. Natürlich ist das nicht hierarchisch, aber klar gibt auch in der links-progressiven Bewegung Auseinandersetzungen darüber. Dieses Spannungsverhältnis ist vergleichbar mit der Situation von Icann: Einerseits orientiert man sich nicht national, sondern international, gleichzeitig kann man die Nationalstaaten mit ihren unterschiedlichen Empfindlichkeiten nicht übersehen. Und bei Icann ist es nun mal die US-Regierung, die da ihre Empfindlichkeiten durchdrückt und ganz interessante Methoden gefunden hat, den anderen Staaten das Gefühl zu geben, sie dürfen auch ein bisschen mitmachen.

Sie würden also nicht sagen, dass Icann und Attac dem gleichen ideologischen Hintergrund verpflichtet sind?

Nein, ich fürchte nicht. Bei Icann geht es vorgeblich nur ums Technische, das Domain-Name-System ist zentralistisch und hierarchisch. Theoretisch wäre es möglich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika kraft geistiger Umnachtung auf die Idee kommen, ein Land als terroristisch zu deklarieren, sagen wir mal den Irak. Dann könnten sie den Irak aus dem Domain-Name-System austragen, ein paar Stunden später gäbe es den Irak weltweit im Internet nicht mehr. Man könnte auch ein Land komplett simulieren.

Gibt es innerhalb von Icann eine Möglichkeit, NGOs eine Plattform zu bieten?

Ein Thema, für das ich mich stark gemacht habe, ist ein so genanntes Privacy Committee, in dem drei der Icann-Vorstandsmitglieder sitzen, aber auch drei Externe, Vertreter aus dem NGO-Bereich etwa – Leute, die sich glaubwürdig um Datenschutz kümmern. Ein anderes Projekt stößt auf größere Widerstände innerhalb von Icann. Es geht da um Urheberrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit.

Wenn Icann und Attac so wenig gemein haben, wie sieht denn der Kontakt zwischen Attac und dem CCC aus?

Zum einen gibt es personelle Überschneidungen wie auch gemeinsame handfeste Projekte, zum anderen sehen wir uns durchaus als NGO, die sich um digitale Bürgerrechte kümmert.

Wie groß schätzen Sie den Einfluss des Internets auf die Bewegungen?

Zumindest hat soziale Vernetzung durch die technische Vernetzung einen enormen Aufschub bekommen. Es ist wichtig, eine gemeinsame soziale und kulturelle Realität aufrechtzuerhalten, voneinander zu lernen und gemeinsam politische Diskussionen zu führen. Wir Computerfreaks sitzen etwas autistisch vor unseren Geräten, aber natürlich entstehen da auch soziale Netze. Nicht umsonst treffen uns einmal wöchentlich hier in unseren Räumen und einmal im Jahr auf dem Kongress.

Werden auf dem Kongress neben den technischen Fragen auch derartige politische Themen diskutiert?

Das ist immer eine Mischung, wie der Club selbst ja auch eine Mischung aus „Technikern“ und „Politikern“ ist. Wir versuchen sowohl aktuelle technische Entwicklungen zu beleuchten, als auch aktuelle gesellschaftliche, industrielle Entwicklungen. Mein Gefühl ist, dass es zur Zeit der Hackerszene so ähnlich geht wie der NGO-Szene, man ist viel zu beeindruckt von dem, was da so vor sich geht, als dass man schon eine richtige Antwort gefunden hätte.

Und was hat der Kongresstitel „Out of Order“ damit zu tun?

Der Titel hat einerseits mit unserem Selbstverständnis als Diskordia zu tun, gepflegte Streitkultur. Andererseits verweist es auf das Kongresssymbol, das Pentagon mit dem ausgebrochenen Zacken. Wir waren uns einig, dass die amerikanische Regierung im Moment sehr dominierend ist – es läuft ein Schema ab, wo nicht mal mehr so getan wird, als ginge es um einen ordnungsgemäßen demokratischen Zustand.