Architekturbiennale Venedig: Textungeheuer, bunte Grafiktools
Gerade findet in Venedig die 17. Architekturbiennale statt. Die Rolle und Möglichkeiten der Architekten und Planer werden dort überschätzt.
Die diesjährige Biennale 2021 neigt sich dem Ende zu. Was aber bleibt? Die auf das Gelände der Giardini und des Arsenale konzentrierte Ausstellung ist, mit 61 nationalen Beiträgen und 17 kollateralen Events, naturgemäß in sehr vielen Händen von Unterkuratoren. Dieser Umstand birgt die Gefahr der Verzettelung einer ausgegebenen Leitlinie.
Die Architekturbiennale in Venedig geht noch bis 21. November. Katalog, engl./ ital.: 2 Bände; 450 und 220 Seiten, 80 Euro
Auch das diesjährige Motto – „How will we live together“ – ist kein gutes Bindemittel, weil jeder die Vorgabe sehr individuell auslegt, was schon in der Unschärfe der Formulierung dieses Themas angelegt ist.
Damit sind wir bei einem immer wiederkehrenden Problem aller Architekturbiennalen: Fast nichts von dem, was man sieht, ist selbsterklärend oder Anschauungsobjekt an sich, das ohne Erklärungen auskommt, es sei denn man, gibt sich mit den vielen bunten „Bildchen“ zufrieden, auf denen manchmal tatsächlich Gebautes zu sehen ist.
Meist aber sehen wir Textungeheuer, bunte Grafiktools oder geknipste Fotos: Mal schaut man Menschen beim Bauen zu, beim Zimmern, mal bei der Zurichtung und Handhabung von Wellblech, Dachpappe und Lehmziegeln. Viele Kabinette sind ärgerlich textlastig über das zuträgliche Maß einer verdaubaren Rezeption hinaus.
Wände mit Blättern tapeziert
Ein weiteres Problem: Die meisten Kuratoren können nicht komprimieren, eine Sachlage anschaulich auf den Punkt (zur Anschauung) bringen, konzentriert ein Resümee in Text und Bild vorlegen. Es gibt Räume in denen Hunderte (sic!) eng bedruckte DIN-A4-Blätter an die Wände tapeziert sind; in einem anderen Raum sind 104 spielkartengroße Texte zu einem Thema an die Wand gepinnt: Gut gemeint – schlecht gemacht resp. nachgedacht.
Überall begegnet man komplizierten Grafiken, mehrfarbigen Diagrammen (deren Decodierung schwerfällt), Renderings ohne wirkliche Botschaft, kryptischen Installationen und elend langen Listen von irgendetwas. Was sie aussagen oder belegen wollen ist – na ja, dass es überall Probleme gibt: Katastrophen, Ressourcenknappheit, Ausbeutung, konzerngesteuerte Raffgier, Raubbau an der Natur.
Wenn man den Parcours im zentralen Pavillon beginnt, muss man aufpassen, dass einem die Zeit nicht fortläuft. Man muss sich selbst antreiben, um an „Eingemachtes“ zu kommen: Man ist froh, wenn man hier mal einem abgebildeten Gebäude (Architektur!) begegnet, auch wenn sich der Sinn des Gezeigten nicht immer gleich erschließt.
Fragen ohne Antworten
In den Länderpavillons wird eingangs eine missliche Lage mit vielen Worten skizziert; es wird eine Frage aufgeworfen. Dann werden Belege dafür vorgelegt, die Lage wird illustriert – meist aber ohne Aha-Effekt, denn selten wird eine Lösung angeboten. Vor allem keine, für die Architekten mit ihrem Metier und Vokabular zuständig sind. Dänemark präsentiert sich als Teestube, in der im Pavillon selbstgereinigtes Wasser, selbstangebauter Tee und selbstgetöpferte Tassen geboten werden. Upps! Na ja … politisch korrekt. Architektur?
Spanien hängt tausend DIN-A4-Blätter an die Decke – unlesbar. Der Schweizer an sich problematisiert Grenzerfahrungen. Die Ausstellung selbst bleibt kryptisch modellhaft. Russland rekapituliert die Geschichte seines Pavillons auf kopierten Buchseiten in Postkartengröße und zeigt einen martialischen Animationsfilm mit in Uniformen gekleideten und schwer bewaffneten Menschen. Architektur?
Japan zerlegt ein klassisches (Tee-)Haus und sortiert fein säuberlich die Bauteile nach Typus, Stärke, Länge auf dem Boden des Pavillons; immerhin gibt dies Einblick in den Prozess des Baues vor der Architektur. Schön gemacht. – So geht es weiter. Das metiersbedingte Architektonische der Architektur diesseits der Katastrophen bleibt zumeist auf der Strecke.
Der Inhalt des Deutschen Pavillons ist zynisch, banal und genau deshalb nicht sonderlich originell, weil er besonders originell sein will. Das aber reicht nicht. Zu sehen ist nichts. Barcodes an die Wand zu tapezieren ist nicht zeigen, sondern verweisen. Wenn man aber selbst nichts zu sagen hat, soll man das Feld anderen überlassen und schweigen. Stimmen im Netz raunen zu lassen hat auf einer Ausstellung nichts zu suchen.
Als Kontrast empfiehlt sich der Belgische Pavillon: Architekturmodelle im ungewohnten Maßstab 1:15. Man sieht auf Augenhöhe präsentierte fantasiegetränkte bauliche Capriccios gleichsam wie am Straßenrand aufgestellt. Ein sinnliches Vergnügen, eins der wenigen – irgendwie entwaffnend.
Bescheidene Auftritte
Und die Schatzkammer Arsenale? In der Summe sind hier, in den Werfthallen, auf sehr angenehme Weise, bescheidene Auftritte zu beobachten. Angesichts der auch an diesem Ort aufgezählten globalen Probleme (Wasser- und Materialknappheit, Überschwemmungen, Erdbeben) sieht man nachdenkliche, lösungsorientierte, am Einfachen entlang gedachte Inszenierungen und auch bauliche Vorschläge.
Keine architektonischen Triumphgebärden vergangener Biennalen, keine eitlen Starallüren einzelner Architekten, sondern quasi der Twist zwischen ruralen und urbanen Strategien des Bauens (noch nicht der Architektur).
Manchmal wird es hier arg gemütlich, denn das vorherrschende Darstellungsmittel sind puppenstubenartig anmutende Modelle, denen man dann auch wieder nicht traut. Hier setzt sich aber eine Art trotzig vorgetragener Optimismus durch, der in starkem Kontrast zu den Problemen steht.
Eine interessante Beobachtung: Das klassische Hofhaus als architektonisch immer noch raffinierter Typus ist mittlerweile weltweit in vielerlei Variationen und Kombinationen (gereiht, gestapelt, verwoben) eine Grundfolie für die Organisation von Wohnmodellen für alle sozialen Schichten und Altersgruppen. Ein Beweis dafür, dass sich Bewährtes morphologisch weiterentwickeln lässt.
Raumschiff Enterprise
Man begegnet aber auch hier Überinszenierungen à la Raumschiff Enterprise, Geschichten, die in Comicmanier erzählt werden und mit unnötigen Effekthaschereien versehen sind. Durchlaufende Themen bleiben aber Nachhaltigkeit (im Bau und im Gebrauch), modulares (also preiswertes) Bauen, Formen der Landerschließung, handwerkliche Traditionen, Materialrecherche, Schutz vor Kälte, Hitze, Wind und Regen.
Damit sind wir bei den Urfragen der Architektur. Zu deren Kern aber dringt die Biennale nicht vor. Manchmal wünscht man sich etwas Schönes: etwas Gebautes, vor dem man einfach stehen bleibt und staunt, etwas, um „dessentwillen es sich lohnt, auf Erden zu leben, zum Beispiel Tugend, Kunst (Baukunst), Musik, Tanz, Vernunft, Geistigkeit – irgendetwas Verklärendes, Raffiniertes, Tolles und Göttliches“. Friedrich Nietzsche hatte gut reden.
Aber draußen wartet ja das begehbare Kunstwerk Venedig: In touristenbereinigten Coronazeiten unwiderstehlich und zum Tränenerweichen schön, verklärend, raffiniert, toll und manchmal einfach göttlich.
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