Archäologie in der Türkei: Tourismus und Nationalstolz
Die Türkei will stärkeren kommerziellen Nutzen aus ihren antiken Stätten ziehen. Ausländischen Archäologen werden jedoch die Grabungslizenzen verweigert.
Der Wintertag an der Ägäis neigte sich bereits seinem Ende zu, als der deutsche Ingenieur Carl Humann endlich den ersten Blick auf ein Bauwerk werfen konnte, das sein Leben verändern und zum Beginn der deutschen Archäologie in der Türkei werden sollte.
In seinen Erinnerungen beschrieb Humann die Szene wie folgt: „Eine meiner Reisen führte mich im Winter 1864/65 an die Küste von Äolien … Und natürlich, für einen Zögling der Bauakademie in Berlin, der seine halbe Zeit mit Zeichnen nach der Antike im Museum verbracht, lag nichts näher, als dem nur fünf Stunden von Dikili entfernten Pergamon einen Besuch abzustatten.
Der Weg führte in die Ebene hinauf, bis endlich, eine Stunde bevor man die Stadt erreicht, die hohe Akropolis von Pergamon in der Ferne breit und majestätisch vor mir lag.“ Für Humann veränderte der Besuch in Pergamon sein Leben. Er, der bislang damit beschäftigt war, im Auftrag des osmanischen Sultans Straßentrassen durch eine bis dahin weitgehend unwegsame Landschaft zu vermessen, entdeckte in Pergamon seine Liebe zur Antike.
Er durchstöberte den von Gestrüpp überwachsenen und mit Trümmern übersäten Burgberg, sah angeblich mit Entsetzen, wie einheimische Bewohner des nahen Ortes Bergama antike Marmorblöcke in Kalköfen verschwinden ließen, und machte sich zielstrebig an die Rettung des antiken Bauwerks. Zunächst sammelte er Förderer in Berlin, dann beantragte er eine Grabungslizenz bei den osmanischen Behörden.
Buddeln ohne Lizenz
Fast zeitgleich mit Humann durchstreifte ein anderer deutscher Hobbyarchäologe 200 Kilometer weiter nördlich die Landschaft am südlichen Ausgang der Dardanellen. Mit Homer in der Hand suchte Heinrich Schliemann in der Troas nach der Burg des Priamos. Auch Schliemann beantragte eine Grabungslizenz, begann aber auch schon mal ganz forsch ohne das Plazet aus Konstantinopel den Boden auszuheben.
Während Schliemann 1871 loslegte, wartete Humann bis 1878, um dann graben und vor allem die Fundstücke mit Erlaubnis der Behörden außer Landes bringen zu können. Humanns Highlight: der Pergamon Altar, für den das Pergamonmuseum in Berlin gebaut wurde.
Die dritte Großbaustelle deutscher Archäologen entstand anfang des 20. Jahrhunderts etwas nordöstlich von Ankara in Bogazkale. Hier wurden und werden die Geheimnisse der hethitischen Hauptstadt Hattuscha und des hethitischen Reichs insgesamt erforscht.
In einer kürzlich in Istanbul gezeigten Fotoausstellung sind 106 Jahre Arbeit deutscher Archäologen in Hattuscha dokumentiert; Pergamon ist sogar die weltweit am längsten kontinuierlich archäologisch erforschte antike Stätte überhaupt.
Die deutsche Fundgrube
Über ein Jahrhundert wurde die Türkei zur wichtigsten Fundgrube für deutsche Archäologen. Während Engländer und Franzosen sich vor allem in Ägypten, Mesopotamien und dem Mahgreb tummelten, gruben die Deutschen hauptsächlich zwischen der Ägäisküste und den östlichen Taurusbergen. Bis heute betreibt das Deutsche Archäologische Institut zehn Projekte in der Türkei, Engagements einzelner deutscher Universitäten kommen dazu.
Doch die Ära deutscher archäologischer Forschung in der Türkei könnte demnächst zu Ende gehen, zumindest stehen wohl erhebliche Veränderungen bevor. Das deutete sich schon 2010 an, als die türkische Regierung ultimativ die Rückgabe einer steinernen Sphinx aus Hattuscha, die 1917 zu Reparaturarbeiten nach Berlin geschickt worden war, verlangte und damit drohte, andernfalls sämtliche deutsche Grabungslizenzen in der Türkei zu widerrufen.
Obwohl die Sphinx mittlerweile wieder in Hattuscha steht, ist das Problem nicht gelöst. Die türkische Regierung ist über die konkreten Streitfälle hinaus insgesamt unzufrieden mit ausländischen Grabungen im Land. Aus Gründen des nationalen Prestige und der besseren Verwertbarkeit der antiken Stätten für den Tourismus will man die Ausgrabungen zukünftig lieber selbst in die Hand nehmen.
Obwohl Deutschland bei der Sphinx, oder auch die USA in einem anderen Fall, erst kürzlich eingelenkt haben, setzt Kulturminister Ertugrul Günay Schritt für Schritt eine Renationalisierung der Archäologie durch. Zuerst verlor die Bundesrepublik eine Grabungslizenz in der griechisch-römischen Stadt Aizanoi in Westanatolien, wo das Deutsche Archäologische Institut mit Unterbrechungen seit 1926 engagiert war. Dann kam in diesem Jahr das Aus für Troja.
Das Projekt geht an die Türkei
Schliemanns Burghügel und die umliegende Unterstadt, eines der bedeutendsten deutschen archäologischen Projekte überhaupt, endete nach 25 Jahren Ausgrabungen durch die Universität Tübingen in diesem Sommer. Für Grabungsleiter Ernst Pernicka wurde die Lizenz nicht verlängert, stattdessen geht das Projekt nun an die Universität von Canakkale.
Auch zwei französischen Teams wurden die Lizenzen in diesem Jahr nicht verlängert. Und bei knapp hundert neuen Ausgrabungsprojekten, die in den letzten zehn Jahren begonnen wurden, sind fast nur noch türkische Universitäten zum Zuge gekommen.
Felix Pirson, Leiter des deutschen Archäologischen Instituts in der Türkei und gleichzeitig Grabungsleiter in Pergamon, will sich zum Konflikt „im Moment“ lieber nicht äußern. Dasselbe sagte Mehmet Özdogan, Doyen der türkischen Archäologie und normalerweise durchaus kritisch seiner Regierung gegenüber. „Jedes Wort von mir wäre derzeit eher schädlich.“
Prestige und Tourismus
Neben dem Archäologen Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der in einem aktuellen Spiegel-Gespräch von „Chauvinismus“ spricht, macht lediglich der renommierte Historiker Edhem Eldem, Professor an der Bosporus-Universität in Istanbul und kürzlich auch als Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin tätig, seinem Ärger über den Kurs der Regierung auch öffentlich Luft.
Drei Gründe nennt Eldem, warum ausländische Archäologen in der Türkei Probleme haben. Erstens nehme die Regierung die ausländischen Grabungsteams in ihren Auseinandersetzungen mit Rückgabeforderungen in Geiselhaft, nach dem Motto: „Wenn eure Museen oder Regierungen sich weigern, strittige Exponate zurückzugeben, erteilen wir euch keine Lizenz mehr.“
„Zweitens“, so Eldem, „gibt es heute, anders als noch vor 20 Jahren, genügend gut ausgebildete türkische Archäologen, die in die prestigeträchtigen Ausgrabungsorte drängen.“ Und drittens, bediene die Regierung mit der Kritik an „ausländischen Grabräubern“ ein nationalistisches Sentiment.
Vor allem aber will die Regierung „stärkeren kommerziellen Nutzen aus den antiken Stätten ziehen“, sagt Eldem. Tourismus und Prestige seien die entscheidenden Faktoren. „Dabei kommt die wissenschaftliche archäologische Arbeit dann zu kurz.“
Die Teams sind international
Dabei, so hört man sowohl aus türkischen wie auch deutschen archäologischen Kreisen, sei der „nationale Kampf um die Claims“ sowieso völlig überholt, denn „alle Teams, egal welche Fahne über der Grabung weht, sind doch längst international zusammengesetzt“, wie Edhem Eldem bestätigt.
Andernfalls wäre man wissenschaftlich gar nicht mehr konkurrenzfähig. Spektakuläre Funde werden schon lange nicht mehr außer Landes gebracht. Für die Exponate, die hauptsächlich im 19. und frühen 20. Jahrhundert nach Europa und in die USA geschafft wurden, müssten nun sinnvolle Lösungen gefunden werden.
Das ist auch die Hoffnung der allermeisten Archäologen, die in erster Linie ungestört von der Politik in Ruhe weiterforschen wollen. Wie eine konstruktive Lösung aussehen könnte, hatte vor einigen Jahren schon der damalige, mittlerweile verstorbene, langjährige Grabungsleiter in Troja, Manfred Korfmann beschrieben: In einem neuen Troja-Museum, das die türkische Regierung neben der historischen Stätte an den Dardanellen bauen will, könnten die in aller Welt verteilten Fundstücke im Rotationsverfahren zwischen verschiedenen Museen ausgestellt werden.
Letztlich weiß auch die Türkei, dass sie durch platte Drohungen nicht weiterkommt. Selbst Kulturminister Günay sagte schon vor einem Jahr gegenüber dem Tagesspiegel: „Wenn wir all das zurückfordern würden, was aus unserem Land abgeschleppt worden ist, würden wir uns in endlose Rechtsstreitigkeiten und Konflikte verstricken.“ Der Pergamonaltar dürfte deshalb wohl noch länger in Berlin bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste