piwik no script img

Archäologie des Kommenden„Zukunft lächelnd ruinieren“

Das „Dokumentationszentrum Zukunft“ hat in Hamburg nach Resten des zukünftigen Nationaldenkmals „Walhalla 2“ gegraben. Die Ergebnisse präsentiert eine Ausstellung.

Wurde am Domplatz am Speersort ausgebuddelt: Ein Staubsaugerroboter, dessen Cache Informationen über die Raumaufteilung in Walhalla 2 gibt. Foto: Jonas Fischer & Philipp Meuser
Interview von Robert Matthies

taz: Am Domplatz am Speers­ort die Reste eines zukünftigen Nationaldenkmals ausgraben: Wie sind Sie auf diese Idee gekommen, Herr Sistig?

Bastian Sistig: Es gibt diese Forderung vom AfD-Funktionär Björn Höcke, mehr Denkmäler statt Mahnmale zu bauen. Da taucht eine Partei auf, die sich perfiderweise „Alternative“ nennt und von der oft behauptet wird, sie sei rückwärtsgewandt. Aber natürlich hat sie etwas vor, in der Zukunft. Und das offenbart sich auch am Denkmaldiskurs …

… in der Suche nach positiven nationalen Bezugspunkten in der Vergangenheit.

Das Vogelschiss-Zitat von Gauland ist nichts anderes: Lasst uns nicht auf diese zwölf dunklen Jahre fokussieren, es gibt ja eine tausendjährige deutsche Geschichte. Ein neoidentitäres, ein romantisches Projekt also. Das hat uns erst mal Angst gemacht. Aber Angst vor der Zukunft zu haben, ist eine problematische Haltung, weil sie gegenwartsfixiert ist.

Der Denkmal-Diskurs bekommt so ein autoritäres Moment.

Genau, da wird mit brutaler Rethorik an der Fiktion einer alternativen Vergangenheit gearbeitet, um ein identitäres Projekt voranzutreiben, dass auf Ausschluss basiert. Unsere Frage war deshalb: Kann man diese Zukunft im Jetzt verunmöglichen? Kann man sie jetzt schon ausgraben und als Geschichte abschließen, sie ins Museum stecken, in einen Glaskasten, um eine kritische Distanz zu ihr zu bekommen? Wenn wir sie uns als abgeschlossene Zukunft anschauen, können wir dann eine Haltung zur Zukunft bekommen, die uns souveräner macht?

Man kehrt die Perspektive der Archäologie also einfach um: Was können wir aus den Fehlern der Zukunft lernen?

Bild: Jonas Fischer & Philipp Meuser
Im Interview: Bastian Sistig

28, ist Sprecher der Gruppe "PARA International", die sich auf spekulative Archäologie an der Schnittstelle von Kunst und Forschung spezialisiert hat.

Wir können Zweifeln lernen. Zweifeln ist ja ein sehr produktives Gegenteil von autoritärer Behauptung. Es geht uns bei dieser Perspektivverschiebung darum, sich mit einem ganz konkreten Möglichkeitsraum zu konfrontieren. Das ist also erst mal eine Haltungsfrage. Und natürlich eine Frage der Recherche.

Wie sind Sie dann auf „Walhalla 2“ gestoßen?

Das Original-Walhalla bei Regensburg ist genau das, was es zu problematisieren gilt. Nämlich, dass da eine kulturelle Fiktion erschaffen wird im Rückgriff auf vermeintliche Vergangenheiten – griechisches Pantheon, ein nordischer Mythos, den niemand richtig gelesen hat und dann noch ein paar Bezugspersonen dazu, auf die sich alle einigen können sollen: Goethe, Schiller und eventuell noch Hildegard von Bingen als einzige Frau – als bedeutende Personen „deutscher Zunge“, wie es heißt. So war es ja von Ludwig II. geplant: Ein identitätsstiftendes Moment, eine kulturelle Fiktion zu schaffen, die es ermöglicht, dass zukünftig ein deutscher Nationalstaat möglich ist.

Und die zugleich darüber wacht, wer dazugehört.

Das ist letztlich quasi eine Frage der Kuration beim Nation Building: Wer darf rein und wer bleibt draußen? Wir haben uns dann gefragt: Was wäre ein Walhalla 2, wie würde eine solche denkmaltechnische Idee in Zukunft konzipiert werden? Wie wiederholt sich Geschichte?

Im Marx’ schen Sinne? Walhalla einmal als Tragödie, das andere Mal als Farce?

Unbedingt.

Mit was für Techniken gräbt man die Zukunft aus?

Man braucht erst mal Techniken, sich selbst auszutricksen. Wir betreiben spekulative Archäologie, weil wir die Zukunft als Rest untersuchen wollen. Wir wollten aber vermeiden, dass wir uns diese Zukunft komplett ausmalen, als wüssten wir alles. Dann könnten wir ihr ja nicht mehr mit der gebotenen Distanz begegnen.

Walhalla 2 ist also ausdrücklich keine Science-Fiction?

Es ist eine Para-Fiktion, die von der Realität permanent eingeholt wird. Walhalla 2 ist zum Beispiel, wenn Horst Seehofer sich an seinem Geburtstag darüber freut, dass 69 Menschen abgeschoben werden. Wir haben Autor*innen und bildende Künstler*innen beauftragt, in Reaktion auf unser Konzept Artefakte aus dieser Zukunft zu erzeugen. Sie fälschen die Zukunft und wir graben sie aus. Wir haben also textliche und objekthafte Artefakte bekommen, die wir nicht kontrolliert haben. Dieses Abgeben der Kontrolle war total wichtig, weil wir uns die Sachen wieder wie Gespenster angucken konnten, also rätseln und Fragen und Bezüge herstellen: Was hat es mit dieser Zukunft auf sich?

Zum Beispiel?

Eine Autorin hat in einem Text eine „Bundeszentrale für Politische Ordnung“ auftauchen lassen und wir waren mit der Frage konfrontiert: Was ist denn in der Zukunft eine Bundeszentrale für Politische Ordnung? Der Begriff hat natürlich sofort assoziativ funktioniert. Das gruselt einen, hat aber wieder etwas Farcenhaftes.

Die Ausstellung

"Zukünftige Ruinen. Mythos des Möglichen. Walhalla 2 und das deutsche Denkmal ab 2021": bis 30. 9., Dokumentationszentrum Zukunft, Sootbörn 22

Infos und Öffnungszeiten: dokumentationszentrum.info

Sie arbeiten also mit Überbleibseln, mit Fragmenten, die aber kein Ganzes ergeben.

Wir arbeiten mit den Lücken der Fragmente. Auch die Erzählung in der Ausstellung funktioniert vor allem über das, was nicht erzählt wird. Also über die Fantasie des Betrachters. Wir arbeiten mit kleinen Ausschnitten von Geschichte. Wir haben keine abgeschlossene Erzählung, nirgendwo wird ein Bogen geschlagen. Alles, was wir präsentieren, präsentieren wir im Zweifel.

Bei ihren Ausgrabungen haben Sie Zuschauer*innen vor der Gefahr von „Wahrnehmungsstörungen“ gewarnt, wenn sie den Arbeiten zu nahe kommen. Was macht die Archäologie der Zukunft für die Psyche so gefährlich?

Im Deutschland der Zukunft wird viel mit psychotropen Substanzen gearbeitet worden sein. Wir haben in einer Design­zeitschrift, das ist einer unserer Archivfunde, ein Interview mit dem „Chief Emotional Pigment Designer“ der Firma „drM55“, Jens Maatissen, gefunden. Der wird ein sogenanntes „Pigment+“ erfunden haben, was erst in Kunstperformances und dann vor allem in der Werbung benutzt worden sein wird. Das hat eine psychoaktive Wirkung und kann den Betrachter unmittelbar mit einem Gefühl affizieren.

Leni Riefenstahl wäre begeistert gewesen.

Genau, die Affizierung mit Gefühl, das ist sozusagen das superfaschistische Moment: Jemanden direkt zu erreichen, mich zum Weinen zu bringen und am besten alle gemeinsam zum Weinen zu bringen – die werden in diesem Weinen dann zum Volkskörper. Offenbar wird dieses Pigment auch in Walhalla 2 viel verwendet worden sein, um durch dieses gemeinsame Weinen Gemeinschaft zu erzeugen.

Schöne neue Welt. Was haben Sie noch über die Zukunft herausfinden können?

Diese Idee vom „Pigment+“ etwa taucht auch in anderen Objekten und Texten auf. 2051 wird es offenbar der „Bundeszentrale für Politische Ordnung“ unterstellt, nachdem der Erfinder wegen Volksverhetzung verurteilt worden war. Zuvor gab es wohl unter anderem in Hamburg, Berlin und Trier Proteste gegen den Einsatz bewusstseinsverändernder Werbemittel und anschließend eine Verschärfung der Versammlungsgesetze.

Das klingt wieder nach einer Zukunft, vor der man aus gutem Grund Angst haben darf.

Natürlich. Aber wenn sich Geschichte wiederholt haben wird, dann eben als Farce. Und man kann ja die Zukunft, auf die man mit großen Schritten hinsteuert, auch lächelnd ruinieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!