Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften: Lehrer lernen Stunden zählen
Wie viel arbeiten Lehrkräfte neben dem Unterricht? Überstunden erfassen Länderbehörden bisher nicht. Nun bewegen sich Bremen und Hamburg ein Stück.
So ist zu erklären, dass die Bildungsbehörden aller Länder bisher der Aufforderung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) von 2019, der Aufforderung durch das Bundesarbeitsgericht 2022 und dem Arbeitsauftrag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), sich endlich mit der Arbeitszeit von Lehrer*innen zu beschäftigen, nicht nachgekommen sind.
„Fast eine Revolution“ sei es nun, moderne Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, sagt Bremens Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD). Die Revolution steckt noch in den Kinderschuhen: Diese Woche hat der Senat nur beschlossen, dass man sich mit den Interessenvertretungen zusammensetzen und Modelle entwickeln werde.
Bisher wird Arbeitszeit bei Lehrkräften eher geschätzt: Festgeschrieben ist nur die Unterrichtsverpflichtung. Für eine Vollzeitstelle liegt die in Bremen aktuell zwischen 25 und 28 Unterrichtsstunden, je nachdem, an welcher Schulform man arbeitet. Alle anderen Aufgaben sind zwar definiert, wurden aber nie mit einem echten Stundensoll hinterlegt.
Mehr Aufgaben, keine Entlastung
1998 war die Unterrichtsverpflichtung in Bremen zuletzt um zwei Stunden pro Woche erhöht worden. „Seitdem sind auf Nicht-Unterrichtsseite etliche Pflichten dazugekommen“, sagt der Bremer Personalratsvorsitzende Jörn Lütjens: Dokumentationspflichten, Kooperationszeiten, mehr Eltern- und Teamgespräche, etwa im Rahmen der Inklusion. „Lauter kleine Sachen kamen dazu“, sagt er. „Das Verhältnis von Unterrichtszeit zu Gesamtarbeitszeit ist total aus dem Ruder gelaufen.“
Das EuGH-Urteil von 2019 zielt darauf ab, zum Arbeitnehmerschutz die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer*innen individuell zu erfassen. Die Zeiten für Korrekturen und Klassenfahrten zu dokumentieren, fürs Mail-Checken und für Elterngespräche, ist nicht banal, aber letztlich eine Frage technischer Entscheidungen, die viele Arbeitgeber schon getroffen haben. Es gibt etwa die Möglichkeit, sich in einer App einzustempeln oder Arbeitszeiten in eine Tabelle einzutragen.
Da momentan die Arbeitszeit nicht erfasst wird, werden Lehrer*innen nur Unterrichtsstunden erstattet, die sie über das vorgeschriebene Maß hinaus erteilt haben. Alle andere Arbeit ist dann das Privatvergnügen der Lehrkräfte. „Viele Lehrer machen deshalb gar keine außerschulischen Projekte“, erzählt eine Bremer Oberschullehrerin. „Die Zeit dafür kommt immer auf alles andere oben drauf.“
Hamburg erfasst Arbeitszeit für eine Studie
Ein paar Schritte weiter als Bremen mit seiner Revolution ist Hamburg: Dort haben vergangene Woche über 1.000 Lehrer*innen im Rahmen einer Studie begonnen, ihre Arbeitszeiten aufzuschreiben. Sechs Monate lang vermerken sie ganz genau, was sie wann getan haben, welche von 28 vorher definierten Tätigkeitskategorien sie wann wie viel Zeit gekostet hat.
Das Detailwissen über die verschiedenen Tätigkeiten ist auch deshalb relevant, weil Hamburg auch in anderer Hinsicht schon einen Schritt weiter ist: Vor 20 Jahren wurde dort die Lehrerarbeitszeitverordnung neu erstellt.
Statt wie überall sonst für die gesamten Lehrkräfte grob zu schätzen, wie viel Zeit wohl neben dem Unterrichten noch gebraucht wird, wurden in Hamburg einzelne Aufgaben mit einem Zeitfaktor versehen. So kann sich für einzelne Lehrer*innen, beispielsweise in klassischen Korrekturfächern, die verpflichtende Unterrichtszeit verringern.
Suche nach Arbeitszeitmodellen
Das Problem: Auch in Hamburg sind in den letzten 20 Jahren Aufgaben hinzugekommen, die bisher kein Faktor erfasst. „Mittelfristig halten wir eine Anpassung für wünschenswert“, sagt Yvonne Heimbüchel, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hamburg. Langfristig will die GEW das System der Faktoren abschaffen. „Die tatsächliche Arbeitszeit bildet es einfach nicht ab“, sagt Heimbüchel.
Wie aber könnte eine Lösung aussehen? In seiner Pressemitteilung zur Lehrerarbeitszeit stellt Bremen ein Projekt von acht Grundschulen heraus. Dort wird die Präsenzzeitverordnung ausgereizt; das heißt: Lehrer*innen dort müssen den Großteil ihrer Arbeitszeit – 35 Stunden wöchentlich – tatsächlich an den Schulen selbst verbringen. Theoretisch können solche Modelle zur Begrenzung der Arbeit beitragen.
Praktisch ergeben sich zahlreiche Probleme: Es fehlt in den Bildungseinrichtungen laut Personalrat Schule an ruhigen Arbeitsplätzen; die ständig mögliche Ansprache durch Schüler*innen erschwert konzentriertes Arbeiten; und vor allem: die Präsenzpflicht nimmt Lehrer*innen die Flexibilität. Die Behörde begründet denn auch nicht, was sie sich von einem Präsenzzeitmodell verspricht.
Der Personalrat Schulen winkt ab. „Dem würden wir natürlich nicht zustimmen“, sagt dessen Vorsitzender Lütjens. Für ihn ist der Verweis auf das Präsenzzeitmodell ohnehin eher eine Ablenkung vom Wesentlichen. „Hier wird ein bisschen vorgetäuscht, dass man schon was getan habe“, findet der Personalrat. „Die Behörde will erst mal ein tolles neues Arbeitszeitmodell entwickeln, statt jetzt schon zu erfassen, wie viel gearbeitet wird.“ Dabei hätte das für ihn Vorrang: „Dabei geht es um Arbeitsschutz.“
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