Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen: „Wir reden, bis es eine Lösung gibt“
Streiks passen nicht zur „christlichen Dienstgemeinschaft“ sagen Kirchenvertreter – schlechte Bezahlung offenbar schon. Seit Jahren streiten deshalb Kirche und Ver.di.
BERLIN taz | Michael Passior, Mitarbeitervertreter in der Dachstiftung der Diakonie Niedersachsen, muss gut verhandeln. Mit den kirchlichen Dienstgebern saß er bisher regelmäßig in der sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommission am Tisch, um die Arbeitsbedingungen für sich und seine Kollegen in den Altenpflegeheimen und Jugendhilfeeinrichtungen des Stephansstiftes Hannover und der Diakonie Kästorf auszuhandeln. Denn direkte Gespräche mit Gewerkschaften sieht der sogenannte Dritte Weg der Kirchen nicht vor.
Wird sich die Arbeitsrechtliche Kommission nicht einig, kann Passior wenig tun: Das Kirchenrecht verbietet ihm, zum Streik zu rufen. Auch Betriebsräte sind in den diakonischen Krankenhäusern, Altenpflegeheimen oder Kindergärten nicht zugelassen.
Doch in Niedersachsen war 2011 Schluss mit den Verhandlungen. Nachdem Ver.di die Mitarbeitervertreter schon zwei Jahre lang aufgefordert hatte, die Arbeitsrechtlichen Kommissionen nicht mehr zu besetzen, verweigerten die Beschäftigtenvertreter die Mitarbeit. „Wir wollen nicht mehr mittragen, dass die Altenpfleger keine Gehaltssteigerung bekommen. Wir haben Unterschriften dagegen gesammelt und in Mittagspausen debattiert“, sagt Passior.
Die evangelischen Kirchen und die katholische Kirche in Deutschland gehören mit rund 1,3 Millionen Angestellten zu den größten Arbeitgebern in Deutschland - nach der Metall- und Elektroindustrie, dem öffentlichen Dienst und dem Einzelhandel. Die meisten der Beschäftigten arbeiten als AltenpflegerInnen, KindergärtnerInnen oder JugendarbeiterInnen unter dem Kirchendach. Die evangelische Diakonie beschäftigt rund 450.000 Menschen, die katholische Caritas rund 500.000.
Unter dem Dritten Weg werden die besonderen Regeln des kirchlichen Arbeitsrechts verstanden. Die Arbeit in kirchlichen Einrichtungen soll für die Mitarbeiter religiös fundiert sein und sie zu einer "Dienstgemeinschaft" verbinden. Die Kirchen berufen sich dafür auf das im Grundgesetz anerkannte Selbstbestimmungsrecht. Daraus leiten sie auch ab, die Arbeitsbeziehungen ohne äußeren Einfluss von Gewerkschaften oder das Druckmittel des Streiks zu regeln. (voe)
Konfrontationen sind kein Einzelfall, seitdem Ver.di vor drei Jahren eine Kampagne gegen das kirchliche Arbeitsrecht begonnen und zu Protesten aufgerufen hat. Anfang August schloss Ver.di einen Tarifvertrag für das diakonische Albertinen-Krankenhaus in Hamburg ab. Auch mit den Behinderteneinrichtungen der Diakonie Himmelsthür in Hildesheim gelang ein Vertrag, ebenso mit dem Evangelischen Krankenhaus Oldenburg.
Arbeitsstandards stark aufgeweicht
Die EKD-Synode, das evangelische Kirchenparlament, erlebte bereits 2011, dass das Thema Arbeitsrecht Wucht entwickelt hat. Synoden-Präses Katrin Göring-Eckardt (Grüne) wurde in Magdeburg von 1.500 Demonstranten ausgebuht. Die Synode bestimmte, dass dauerhafte Leiharbeit nicht mit dem Kirchenrecht vereinbar sei, bekräftigte aber das Streikverbot.
„Wir in der Kirche reden so lange miteinander, bis wir zu einer Lösung kommen. Streiks und Aussperrung passen nicht zur christlichen Dienstgemeinschaft“, sagt Hartmut Spiesecke, Sprecher des Verbands diakonischer Dienstgeber. Das Thema kochte vor Jahren hoch, da sich die Finanzierung der Sozialwirtschaft verändert hat. Jahrelang ging es in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen nur darum, den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) auf kirchliche Einrichtungen zu übertragen.
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Doch seit Mitte der 1990er Jahre erstatten die Sozialkassen die Kosten von Alten- und Krankenpflege nicht mehr komplett, sondern zahlen Fallpauschalen. Seither sparen die Träger bei den Personalkosten, der flächendeckend übertragene TVöD ist passé. Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung stellte fest, dass es insbesondere bei der Diakonie zu einer „starken Aufweichung bislang gültiger Arbeits- und Entlohnungsstandards“ komme.
Laut Ver.di erhält eine Alten- und Krankenpflegerin zu Berufsbeginn in der Kirche einen höheren Lohn. Doch ab dem 16. Berufsjahr geht sie mit rund 250 Euro Brutto weniger nach Hause, als nach dem TVöD. Noch schlechter stehen Pflegehelfer da: Sie verdienen in der Kirche nach 15 Berufsjahren rund 550 Euro weniger im Monat als im öffentlichen Dienst.
„Der TVöD als Leitwährung ist ein schöner Gedanke“, sagt Hans-Peter Hoppe, Vorstand der Dachstiftung Diakonie Niedersachsen. Aber: „Die Kirche hat das fortschrittlichere Modell, bei dem Arbeitgeber und -nehmer gleichberechtigt miteinander verhandeln.“ Ver.di-Chef Frank Bsirske hingegen pocht darauf, dass das Streikrecht ein Menschenrecht ist – und unteilbar für alle gelten muss.
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