Arbeitskampf bei Gorillas: „Riders“ protestieren weiter
Die Fahrer des Lieferdiensts sehen ihre Forderungen nicht erfüllt. Am Samstag riefen sie in Berlin zu Streiks auf und blockierten einzelner Lager.
Aufgerufen zu dem Aktionstag hatte das Gorillas Workers Collective (GWC), eine selbstorganisierte Gruppe von Gorillas-Arbeiter:innen. Ob es tatsächlich wieder zu einem wilden Streik kommen sollte, ließ das GWC anfänglich trotz den eindeutigen Mottos noch offen. Das Konzept des Aktionstages ist, dass alle Angestellten gemeinsam über die nächsten Schritte beraten. So beschließt während der ersten Versammlung des Tages die Belegschaft des Warenlagers am Kaiserkorso – gegenüber vom ehemaligen Flughafen Tempelhof – die Arbeit niederzulegen und gemeinsam mit den rund hundert weiteren Arbeiter:innen und Unterstützer:innen zum nächsten Lager am Hermannplatz zu fahren. Der Plan ist, die dortige Belegschaft aufzufordern, sich dem Streik anzuschließen.
Der Name „always be striking“, zu deutsch etwa „sei immer auffällig“ – und gleichzeitig eine Anspielung auf das Streiken -, bezieht sich direkt auf die „always be riding“ genannte PR-Aktion des Gorillas-Chef Kağan Sümer. Der CEO kündigte Mitte Juni an, alle Gorillas Warenlager in Deutschland während einer Radtour besuchen zu wollen. „Sümer hat seine Tour nie umgesetzt“, erklärt Zeynep Karlidağ vom GWC die Idee des Aktionstags, „deshalb haben wir seine Idee übernommen“.
Das GWC kritisiert, dass das Gorillas Management zu wenig tue, um die Arbeitsbedingungen der Fahrer:innen – genannt „Rider“ – zu verbessern. „Das Management hat nicht einmal annähernd etwas dafür getan, die Forderungen der Arbeiter:innen zu erfüllen“, kritisiert Karlidağ. Bei einem früheren Protest Ende Juni vor der Zentrale des Unternehmens hatten die Streikenden dem Management eine Liste von Forderungen übergeben. Die Liste beinhaltet insgesamt 19 konkrete Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen der Rider zu verbessern. Die Rider fordern unter anderem eine Verringerung der Probezeit und unbefristete Verträge, aber auch besseres Equipment wie Jacken und Schuhe oder konsequenteres Handeln gegen Fälle sexueller Belästigung und Diskriminierung.
Gorillas ist ein im vergangen Jahr gegründeter Online-Supermarkt, der verspricht, Dinge des täglichen Bedarfs innerhalb von zehn Minuten direkt nach Hause zu liefern. Erreicht wird dies durch ein engmaschiges Netz an Lagern, die über die gesamte Stadt verteilt sind. Das Start-Up wurde von Investor:innen jüngst mit über einer Milliarde Euro bewertet und zählt damit als „Einhorn“. Um die Erwartungen zu erfüllen, setzt Gorillas auf aggressives Wachstum – auch weil mittlerweile immer mehr Konkurrent:innen mit ähnlichem Geschäftsmodell, wie Getir und Flink, auf den Markt drängen. (jowa)
Nur dürftige Verbesserungen
Das GWC setze für ihre Forderungen einen Stichtag am 14. Juli, den das Gorillas Management allerdings verstreichen ließ, ohne einen Großteil der Forderungen zu erfüllen. Vom Unternehmen angekündigte Maßnahmen, wie etwa die Einführung eines Maximalgewichts pro Lieferung, halten viele der in Tempelhof anwesenden Rider für Augenwischerei: „Die Lieferungen werden jetzt zwar in mehrere Einzeltüten verpackt, am Gesamtgewicht ändert sich jedoch nichts“, kritisiert ein Rider, der seinen Namen lieber nicht nennen will, gegenüber der taz.
Bevor sich die streikende Belegschaft am Samstag auf dem Weg zum nächsten Lager machen kann, dauert es allerdings noch eine Weile. Zunächst muss eine Demo bei der Polizei angemeldet werden. Die Beamt:innen sind aber schon vorsorglich mit einem Großaufgebot vor Ort, zumindest im Verhältnis zu den rund hundert Anwesenden.
Gegen 14.00 setzt sich der Fahrradkorso in Bewegung. Mit lauten Klingeln und Slogans wie „The riders united will never be divided“ und „Apes together strong“ bewegen sich die Streikenden Richtung Hermannplatz. Dort angekommen positioniert sich die Gruppe vor dem Warenlager in der Urbanstraße und fordern die Arbeiter:innen mit lauten „Join the Strike“-Rufen auf, sich an dem Streik zu beteiligen.
Doch anstatt der Arbeiter:innen erscheint nur der Manager des Warenlagers in der Tür. Der Streik sei nicht rechtlich legitimiert, deswegen werde er den Angestellten nicht erlauben das Warenlager zu verlassen, erklärt der Manager in einer Diskussion mit einem Vertreter des GWC.
Insgesamt drei Warenlager blockiert
Die Streikenden blockieren das Warenlager noch bis zum nahenden Schichtwechsel, beschließen dann aber weiter zum Lager in der Muskauer Straße in Kreuzberg zu fahren. Im Laufe des Tages werden die Streikenden noch ein weiteres Warenlager in Friedrichshain blockieren. Wie das GWC auf Twitter mitteilte, waren in den Warehouses allerdings kaum noch Fahrer:innen anzutreffen: diese seien vorsorglich vom Management auf die umliegenden Lager verteilt worden, um zu verhindern, dass sich weitere Rider dem Streik anschließen und es zu größeren Störungen im Betriebsablauf kommt, heißt es beim GWC.
Zu ersten wilden Streiks bei Gorillas, also spontane Arbeitsniederlegungen ohne gewerkschaftliche Organisation, kam es zum ersten Mal am 9. Juni, nachdem ein Rider angeblich ohne Vorwarnung entlassen worden war. Arbeiter:innen anderer Warehouses solidarisierten sich daraufhin mit dem entlassenen Kollegen und blockierten mehrere Lager an den darauffolgenden Tagen. Seitdem kam es immer wieder zu einzelnen Streiks und Blockaden. So wurde während der heftigen Regenfälle vor einigen Wochen in mehreren Lagern die Arbeit niedergelegt, weil die bereitgestellte Ausrüstung aus Sicht der Arbeiter:innen unzureichend war.
Die in Deutschland sehr ungewöhnliche Form des Arbeitskampfes hat in den Medien für ein großes Echo gesorgt. Am Dienstag wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf Einladung der SPD-Bundestagsabgeordnete sich sowohl mit Gorillas-Arbeiter:innen als auch mit dem Management des Unternehmens treffen, um die Arbeitsbedingungen des Liefer-Start-Ups zu diskutieren.
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