piwik no script img

ArbeitnehmerechteMaulkorb für Mobbing-Vorwurf

Darf der Chef der Hamburger Stadtreinigung öffentlich des „Bossings“ gegen Mitarbeiter beschuldigt werden? Darüber verhandelt jetzt das Landgericht.

Lustige Werbung: Manchen Stadtreinigungs-Bediensteten ist der Spaß vergangen. Foto: Sebastian Widmann/dpa

Hamburg taz |Es stehen handfeste Vorwürfe gegen das Personal-Management der Stadtreinigung im Raum. Doch Ricarda Rolf von der Beratungsfirma „Mobbing-Zentrale“, die sie erhebt, darf sie seit fast einem halben Jahr nicht öffentlich äußern. Die Pressekammer des Landgerichts hat ihr im März auf Antrag der Stadtreinigung ohne Anhörung im Eilverfahren einen Maulkorb verpasst. Am vergangenen Freitag wurde nun ihr Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung verhandelt. Doch die Stadtreinigung wollte sich auf einen Vergleichsvorschlag des Gerichts nicht einlassen. Nun ist eine Beweisaufnahme erforderlich.

Es geht um den Vorwurf „Bossing“. Das ist die englische Umschreibung dafür, dass Mitarbeiter auf der Abschussliste der Bosse stehen; dass sie systematisch gedemütigt, als Person demontiert und zum Ausscheiden aus dem Unternehmen getrieben werden sollen. So etwas werde bei der Stadtreinigung gerade gegenüber älteren Müllmännern praktiziert, behauptet Rolf. Für sie ist das eindeutig eine Form der Altersdiskriminierung. „15 Fälle sind mir namentlich bekannt“, sagte Rolf der taz.

Mehrere ältere Müllmänner hätten ihr berichtet, dass sie zur Aufgabe ihres Jobs gedrängt worden seien. Denn die Stadtreinigung wolle ihre Personal verjüngen. Entweder sollten Mitarbeiter einen Auflösungsvertrag unterschreiben oder in Altersteilzeit gehen oder sie würden „auf orange“ geschickt – die verharmlosende Umschreibung dafür, mit besonders schweren Arbeiten betraut zu werden. Rolf ist ein Fall bekannt, in dem ein Müllmann trotz Schwerbehinderung und Platzangst in einem engen Raum arbeiten musste, bis er krank wurde und einen Auflösungsvertrag unterzeichnete.

Betreuerin Rolf wandte sich Anfang des Jahres mit einem Schreiben an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sowie an einen Referenten der Aufsicht führenden Behörde für Umwelt und Energie sowie an die Aufsichtsräte der Stadtreinigung. Diese sollten den Chef der Stadtreinigung, Rüdiger Siechau, anweisen, diese Praxis einzustellen.

Dabei benutzte Rolf scharfe Formulierungen, die zurzeit nicht wiedergegeben werden dürfen. Das Schreiben landete bei Siechau und der rief das Landgericht an, diese Formulierungen untersagen zu lassen. Denn wären sie wahr, könnte der Einruck entstehen, Siechau wäre „nicht geeignet “, das in ihn gesetzte Vertrauen eines Geschäftsführers eines öffentlich rechtlichen Unternehmens zu erfüllen.

In der mündlichen Verhandlung am Freitag bekam die Pressekammer nun im Fall des Müllmannes Michael Harder einen konkreten Eindruck, der sich seit Jahren in einem Arbeitsrechtskonflikt mit der Stadtreinigung befindet. Die Führungskraft war zwischenzeitlich zur „blauen Tonne“ abkommandiert worden, musste Hundekot im Park einsammeln und ist nun aktuell in einem kleinen kargen Büro separat von Kollegen untergebracht.

Rolfs Anwalt Trutz von Kerssenbrock legte mehrere rechtskräftige Urteile der Arbeitsgerichte gegen die Stadtreinigung vor. „Die Parteien streiten hoffnungslos darüber, ob die Beschäftigung angemessen ist“, sagte die Vorsitzende Richterin Simone Käfer. Insofern seien gewisse Formulierungen Rolfs wohl als Meinungsäußerung zulässig, auch wenn sie auf Siechau gemünzt seien. „Er ist nun mal der Chef“, sagte Käfer. Eine endgültige Meinung wird sich die Kammer aber erst nach der Beweisaufnahme bilden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich habe mir mal die Seite der "Mobbing-Zentrale" genauer angeschaut. Und ich staune nicht schlecht! Egal wo man liest: Nirgendwo wird bessereres Cyber-Mobbing als auf und mit dieser Seite betrieben!!! Anonyme und ganz offensichtlich unbewiesene Behauptungen werden stehen gelassen, mit Gerüchten kommentiert und fertig ist der üble Brei. Die paar Verfasser dieser Seite sollten sich mal an die eigene Nase fassen, wahrscheinlich sind die Arme nicht lang genug.....Ich hab nun wirklich kein Mitleid mit VW & Co., aber so geht's auch nicht. Scheint hier eher um's Geschäfts zu gehen.

  • Was sagt denn der Personalrat dazu oder wird Mobbingverfolgung in der Stadtreinigung Hamburg gleich outgesourct ?

    • @lions:

      Outsourcing wäre im Fall von Mobbing-Verdacht sogar die bessere Variante! Das ist ja gerade die Geschäftsidee der Mobbing-Zentrale.

  • Wieso landet ein Brief an den OB beim Leiter der Stadtreinigung? "Mit der Bitte um Stellungnahme" oder was wird da in der Betreffzeile gestanden haben? Wirkt auf mich so als wenn der OB/sein Büro da ein bisschen lax mit der Verantwortung des sich beschwerenden Bürgers umgehen, zumal es ja nicht die erste erste Beschwerde über Siechau ist.

  • Hamburg. Stadtreinigung. Bossing. Passt schon. Irgendwie.

     

    Erstaunlich, dass sich hierzulande noch immer wer aufregt, wenn in irgend einem italienischen Bergdorf mehrere erwachsene Männer über Jahre hinweg eine anfangs Dreizehnjährige missbrauchen und die Mutter dazu schweigt!

     

    Rüdiger Siechau scheint nicht nur eitel und gierig zu sein, sondern auch relativ dumm. Er hätte sich sonst an den fünf Fingern einer Hand abzählen können, dass die "scharfe[n] Formulierungen", die Ricarda Rolf in ihrem schreiben an BM Olaf Scholz (SPD) benutzt hat, gar nicht wörtlich wiedergegeben werden brauchen. Auch ohne sie kann "der Einruck entstehen", dass der Mann vollkommen ungeeignet ist als Geschäftsführers eines öffentlich rechtlichen Unternehmens. Mit Betonung auf dem KANN.

     

    Wer nicht nur die eigenen Untergebenen attackiert, sondern auch jedem mit (staatlicher) Gewalt begegnet, der den Gequälten zu Hilfe kommen will, MUSS schließlich Dreck am Stecken haben. Er könnte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ja sonst ganz einfach verbal entkräften.

     

    Was die Vorsitzende Richterin Simone Käfer hatte sagen wollen mit dem Satz: "Er ist nun mal der Chef", sollte sie mir bei Gelegenheit einmal erklären. Gerne auch schriftlich, zum Beispiel im Rahmen ihrer Urteilsbegründung. Meiner Ansicht nach dürfen GERADE Chefs keine Arschlöcher sein, wenn sie Respekt erwarten. Macht sollte schließlich auf gar keinen Fall in die Hände solcher Menschen gegeben werden, die erkennbar Schindluder damit treiben müssen, weil ihre verbogene Persönlichkeit das von ihnen verlangt.

     

    Übrigens: Wieso ein Schreiben, das an Olaf Scholz adressiert war, bei Rüdiger Siechau gelandet ist, wüsste ich gern. Vermutlich hat der Volksmund ja doch wieder einmal recht, wenn er behauptet, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

  • Auch einen Chef eines öffentlichen Unternehmens kann man "wegmobben". Dazu reicht es ihm die Verwendung von unzulässigen Methoden zu unterstellen. Die Welt kann man daher nicht blind in "gut" oder "böse" aufteilen. Wer etwas behauptet, muss es auch beweisen können, denn für diejenigen über die da öffentlich hergezogen wird, hat es möglicherweise massive Konsequenzen.

    Wenn die Vorwürfe zutreffen, sollten diese in Gerichtsverfahren auch aktenkundig geworden sein. Dann gibt es dazu auch Zeugen und dann wird das Gericht sie auch nicht untersagen. Wenn die Vorwürfe dagegen nicht zutreffen oder aufgebauscht sind, dann gebührt es die Menschenwürde auch einen Geschäftsführer gegen falsche Beschuldigungen zu schützen.

    Wer einfach nur Clientelpolitik betreibt und bereits vorher weiss, wer gut und wer schlecht ist, pflegt nur seine Vorurteile und kämpft gegen Gerechtigkeit.