Arbeitgebergesetz in der Ukraine: Neoliberale Politik mitten im Krieg
Ein neues Gesetz verschlechtert die Rechte von Arbeitnehmern in der Ukraine. Das sorgt für Kritik von Linken und Gewerkschaften.
Das ukrainische Parlament hatte das Gesetz am Dienstag in zweiter Lesung verabschiedet. Es soll die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen vereinfachen. Das Gesetz Nr. 5371, so seine Autoren, soll den Verwaltungsaufwand erleichtern. Nun können Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst ihre Arbeitsverträge ausformulieren, sich über Beginn und Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen sowie über das Vergütungssystem, die Arbeitsbedingungen, Löhne, Zulagen, Prämien, Entschädigungen, Arbeits- und Ruhezeiten.
Das neue Gesetz soll bis zum Ende des Kriegsrechts in Unternehmen mit weniger als 250 Angestellten gelten und bei Arbeitnehmern, deren Lohn das Achtfache über dem monatlichen Mindestlohn von 140 Euro liegt. Das trifft auf 70 Prozent der Unternehmen zu.
An der Ausarbeitung des Gesetzes waren ukrainische Wirtschaftsverbände, die „Union Ukrainischer Unternehmer“ und Experten des USAID-Programms „Wettbewerbsfähige Wirtschaft der Ukraine“ beteiligt, berichtet der Pressedienst der Werchowna Rada der Ukraine.
Auch Privatisierungen sollen vorangetrieben werden
Vonseiten der Gewerkschaften und Linken kommt Kritik an dem Gesetz. Früh waren die Gewerkschaften aus den gemeinsamen Beratungen ausgestiegen. Sie fürchten, dass die Arbeitgeber nun ganz auf Individualverträge setzen und Kollektivverträge an Bedeutung verlieren. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit hätten die Arbeitnehmer keine gute Verhandlungsposition beim Aushandeln von Individualverträgen.
„Leider hat sich das ukrainische Parlament wieder einmal auf die Seite der Reichsten geschlagen“, kommentierte Vitali Dudin, Vorsitzender der linken „Sozialen Bewegung“ und Arbeitsrechtler, das Gesetz gegenüber der taz. Es füge sich nahtlos in die Gesamtstrategie der neoliberalen Transformation ein. Und da gehe es um eine Deregulierung des Arbeitsmarktes.
Für Dudin ist es kein Zufall, dass man sich ausgerechnet jetzt an dieses Gesetz gemacht hat, seien doch die politischen Umstände für ihre Durchsetzung gerade sehr günstig. „Das Kriegsrecht erschwert einen Widerstand gegen solche Initiativen.“ Dudin fragt sich, warum unter Kriegsrecht ein Gesetz verabschiedet wird, das nicht im Interesse der Arbeitnehmer ist.
Letztendlich könnte das Gesetz Nr. 5371 die Kollektivverträge abschaffen, diese durch Individualverträge ablösen, erklärt Jura Samojlow, Vorsitzender der Unabhängigen Gewerkschaft der Beschäftigten in Metallindustrie und Bergbau (NPGU) in Kriwij Rih.
Die ukrainischen Gewerkschaften sind in der Defensive. Der Krieg zehrt an ihnen, viele sind derzeit an der Front, gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Ungefähr 30 Prozent aller Arbeiter haben seit dem 24. Februar ihren Job verloren, zitierte am Dienstag das Portal strana.news Timfej Milowanow, Präsident der Kiewer Schule für Wirtschaft.
Unterdessen erklärte Premierminister Denys Schmyhal, es sei nun an der Zeit, die Privatisierung von Staatseigentum zu erleichtern. Ein entsprechender Gesetzesentwurf zur Beschleunigung der Privatisierung sei schon ausgearbeitet, zitiert „ukrinform“ den Premier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört