Arbeiten in Brasilien: Wie Sklaven schuften für Biosprit
Cosan, der größte Zuckerproduzent Brasiliens, landet auf der schwarzen Liste des Arbeitsministeriums. Minderjährige wurden zu Schwerstarbeit eingesetzt.
Brasiliens größter Zucker- und Ethanolproduzent Cosan hat ein Imageproblem: Kürzlich setzte das Arbeitsministerium den Konzern auf die "schmutzige Liste" jener Unternehmen, die Arbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen beschäftigen. Demnach hätte der Multi auf die Förderung der staatlichen Entwicklungsbank verzichten müssen, so auf einen Kredit in Höhe von 256 Millionen Euro für den Bau einer neuen Zuckerfabrik.
Doch nach einer richterlichen Anordnung musste das Ministerium Cosan am Montag von der Liste nehmen - ganz im Sinne von Agrarminister Reinhold Stephanes, der dies als übertrieben bezeichnet hatte. Mindestens bis zur endgültigen Entscheidung des Obersten Bundesgerichts in einem halben Jahr heißt es jetzt wieder: business as usual. Selbst Wal-Mart hatte kurzzeitig die Lieferverträge mit Cosan storniert.
Im Juni 2007 hatten Inspektoren des Arbeitsministeriums auf Zuckerrohrfeldern bei einer der 21 Cosan-Fabriken im Bundesstaat São Paulo 42 Arbeiter entdeckt, die unter sklavenähnlichen Bedingungen schufteten. 13 Verstöße gegen die Arbeitsgesetzgebung wurden festgestellt, darunter schlechte Wohnbedingungen, Einsatz von Minderjährigen bei Schwerstarbeit oder das Fehlen von Trinkwasser am Arbeitsplatz. Die Wanderarbeiter aus dem nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco waren einem Subunternehmer in Schuldknechtschaft ausgeliefert. In einer Presseerklärung wälzte Cosan die Verantwortung auf das Drittunternehmen ab, von dem es sich längst getrennt habe.
An der Börse von São Paulo fiel letzte Woche der Aktienkurs des Zucker- und Ethanolriesen. "Die Investoren fürchten die schlechte Publicity und flüchteten aus dem Papier", schrieb der Börseninformationsdienst Emfis. Der Konzern hat Verarbeitungskapazitäten für 61 Millionen Tonnen Zuckerrohr. Das entspricht genau einem Zehntel der für 2009 geschätzten Erntemenge in ganz Brasilien. Zudem ist Cosan der größte Ethanolexporteur der Welt, im dritten Quartal 2009 kam er auf einen Umsatz von 1,43 Milliarden Euro. Wegen der Rezession in den USA geht der größte Anteil des exportierten Agrosprits derzeit in die EU.
2009 wurden in Brasilien nach Angaben der katholischen Kirche 4.236 moderne Sklaven befreit, 36 Prozent davon in den Staaten des Südwestens. "Doch die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher", sagte Xavier Plessat von der Landseelsorge CPT der taz. Jahr für Jahr träten 25.000 bis 40.000 neue Wanderarbeiter in den "Zyklus der Sklavenarbeit" ein. "Je mehr Kontrollen stattfinden, desto mehr Opfer werden sichtbar", berichtet der französische Mönch.
Dass sich Zuckerfirmen, die sich lediglich zur Einhaltung der gesetzlichen Mindeststandards verpflichten, mit Ökosiegeln schmücken, hält er für absurd. "Technisch ist die Zuckerindustrie im Bundesstaat São Paulo auf dem neuesten Stand, sozial ist sie genauso rückständig wie im Nordosten," sagt auch Staatsanwalt Marcelo Goulart.
Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen herrschen aber nicht nur auf Zuckerrohrfarmen, sondern auch bei der Obsternte im Süden, auf Soja- oder Baumwollplantagen in Bahia oder in den Köhlereien Amazoniens. Sieben Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sei die Regierungsbilanz "widersprüchlich", findet Xavier Plessat: "Im Arbeitsministerium gibt es echtes Engagement gegen die Sklavenarbeit, aber der Ausbreitung des Zuckerrohrs und anderer Monokulturen werden keinerlei Schranken gesetzt."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt