Arabische Israelis in Jerusalem: Angst und Repression
Arabische Israelis und jüdische Aktivisten werden vermehrt verhaftet, suspendiert und angezeigt. Als Auslöser reicht oft ein Post in sozialen Medien.
Es ist das erste Mal seit dem Terrorangriff der Hamas, dass Mohammed Idkedik wieder zur Arbeit geht. Idkedik ist israelischer Palästinenser. Als mit dem Massaker vom 7. Oktober an mehr als 1.400 israelischen Bürgern der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas begann, wusste der 23-Jährige, dass sich alles ändern würde: für ihn, für seine Familie im Ostjerusalemer Stadtteil Wadi al-Dschos und für seine jüdischen Freunde in Westjerusalem. „Die Angst und das Misstrauen sind überall zu spüren“, erzählt Idkedik.
Mohammed Idkedik arbeitet in einer Pizzeria im mehrheitlich jüdisch bevölkerten Westjerusalem. Fast vier Wochen nach Kriegsbeginn sind viele Geschäfte und Restaurants dort weiter geschlossen. Dafür gibt es Gründe: Während des letzten Konflikts zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel im Mai 2021 kam es in Städten, in denen – wie in Jerusalem – Juden und Muslime zusammenleben, zu heftigen Zusammenstößen, die gar Tote forderten.
Dieses Mal ist es in Westjerusalem bisher noch vergleichsweise ruhig geblieben. Dem Aufruf der Hamas, sich dem Kampf gegen Israel anzuschließen, sind die israelischen Palästinenser, die rund ein Fünftel der Bevölkerung des Landes ausmachen, nicht gefolgt.
Dennoch haben die brutalen Terrorakte sowie die israelischen Gegenangriffe auf Gaza gegenseitiges Misstrauen erzeugt. Lokale Medien berichten von vereinzelten Übergriffen auf arabische Israelis. Demonstrationen in arabischen Gemeinden Israels wurden teilweise verboten.
Zwar haben sich unter den arabischen Israelis bekannte Stimmen wie der Knesset-Abgeordnete Ayman Odeh schnell und deutlich gegen den Terror der Hamas positioniert. Doch es gibt auch viele, die den Terror bisher nicht verurteilt haben. Mohammed Idkedik wollte deshalb ein Zeichen setzen: Er traute sich am 18. Oktober mit der arabisch-jüdischen Aktivistengruppe „Wir stehen zusammen“ auf die Straße, um in Jerusalem Plakate aufzuhängen. Der Text: „Wir stehen das zusammen durch“ – auf Hebräisch und Arabisch.
Weit kamen er und sein jüdischer Mitstreiter Rimon Lavi nicht. „Nach ein paar hundert Metern stoppte uns die Polizei und wir mussten die Plakate abgeben“, erzählt der 79-jährige Lavi. Zudem bekamen sie eine Strafe von umgerechnet mehr als einhundert Euro. „Sie sagten, wir hätten keine Genehmigung. Dabei hängt ganz Jerusalem voller Plakate.“
Verhaftungen, Suspendierungen und Anzeigen
Knapp einen Monat nach dem schlimmsten Terroranschlag in der Geschichte Israels häufen sich Berichte über Verhaftungen, Suspendierungen und Anzeigen. Behörden, Arbeitgeber oder Privatpersonen gehen laut der NGO Adalah vor allem gegen arabische Israelis und Aktivisten vor. Seit dem 7. Oktober hat die NGO Ermittlungen in 170 Fällen gezählt. Polizeiangaben zufolge gab es bisher 110 Festnahmen sowie 24 Anklagen. Der überwiegende Teil steht Adalah zufolge in Verbindung mit Posts in sozialen Medien.
Außerdem hätten Universitäten und andere Bildungseinrichtungen in mehr als 100 Fällen Disziplinarmaßnahmen gegen Studierende erlassen. Adalah-Sprecher Ari Remez sieht darin eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu trägt das harte Vorgehen mit. Die Polizei hat dabei großen Ermessensspielraum bei der Einschätzung, was sie als Unterstützung von Terrorismus wertet. Israels Polizeichef Kobi Shabtai sagte in der ersten Woche des Krieges, jeder, der ein Bürger Israels sein möchte, sei willkommen. Jeder, der sich mit dem Gazastreifen identifizieren möchte, solle sich „in die Busse setzen, die jetzt dorthin fahren“.
Idkedik erzählt, Freunde hätten in Polizeikontrollen ihre Handys entsperren müssen. Einem sei das Telefon zerstört worden, als er sich weigerte. Die Polizei suche gezielt in Chats nach aus ihrer Sicht problematischen Aussagen. Dabei geht es längst nicht nur um so eindeutig unverhohlene Unterstützung für den Hamas-Angriff, wie ihn die bekannte palästinensisch-israelische Schauspielerin Maisa Abd Elhadi geäußert hat. In einem öffentlichen Post schrieb sie zu einem Bulldozer der Hamas, der am 7. Oktober den Grenzzaun zu Gaza einriss: „Let’s go Berlin style“. Abd Elhadi wurde festgenommen und angeklagt. Israels Innenminister Mosche Arbel will sogar prüfen lassen, ob ihr die Staatsbürgerschaft entzogen werden kann.
Ein „Like“ kann ausreichen
Betroffen von Verhaftungen sind aber auch viele, die sich weniger eindeutig äußerten. In Tiberias, am Westufer des Sees Genezareth, wurde eine israelisch-arabische Lehrerin suspendiert, weil sie einen Beitrag der populären Instagram-Seite „Eye on Palestine“ gelikt hatte, die Ereignisse in Gaza und im Westjordanland dokumentiert. In Nazareth nahm die Polizei die bekannte palästinensisch-israelische Sängerin Dalal Abu Amneh fest.
Sie hatte am 7. Oktober auf Arabisch den Satz „Es gibt keinen Sieger außer Gott“ mit ihren rund 350.000 Followern geteilt. Laut ihrer Anwältin sei der Post von ihrem PR-Büro veröffentlicht worden. Abu Amneh befinde sich nun an einem geheimen Ort, weil sie Todesdrohungen erhalten habe. In Haifa verbrachte ein palästinensischer Automechaniker vier Tage in Polizeigewahrsam, nachdem er zu den israelischen Bombardierungen in Gaza gepostet hatte: „Wir werden unser Volk weiter unterstützen, trotz deren Politik.“
Ari Remez von Adalah kritisiert: „Jeder Ausdruck von Solidarität mit palästinensischen Opfern, von Opposition zum Krieg in Gaza oder von Kriegsverbrechen wird als Unterstützung terroristischer Vereinigungen gewertet.“
Auf Nachfrage teilt die israelische Polizei mit, sie halte das Grundrecht der Meinungsfreiheit aufrecht. Es sei jedoch „notwendig, gegen jene vorzugehen, die dieses Recht ausnutzen, um zu Gewalt aufzurufen“, sagte ein Sprecher. Festnahmen habe es nur wegen Aufrufen zu Gewalt gegeben oder bei „erheblicher Bedrohung der Stabilität der öffentlichen Ordnung“.
„Wir werden dich finden“
Wie schwierig diese Abwägung allerdings sein kann, zeigt die Geschichte von Jasmin Suleiman. Die taz hat ihren Namen aus Sicherheitsgründen geändert. Wenige Tage nach ihrer Freilassung sitzt die palästinensische Mitarbeiterin einer Universität in einem Café im Osten Jerusalems. Am 7. Oktober hatte sie gegen Abend, als in den Nachrichten bereits von hunderten durch die Hamas ermordeten Kindern, Frauen und Männern die Rede war, auf Facebook geschrieben: „Ich fühle mich wie in einem Traum.“ Daneben postete sie Herzen in den palästinensischen Nationalfarben.
Tage später wurde ihr Post von anderen Nutzern entdeckt und verbreitet. „Mein Telefon hörte nicht mehr auf zu klingeln“, erzählt die 32-Jährige in Anwesenheit ihres Anwalts Nabil Izhiman in Jerusalem. Sie habe hunderte Nachrichten, E-Mails und Anrufe bekommen. „Wir werden dich vergewaltigen, wir werden dich finden“, lauteten einige der Nachrichten. Schließlich schrieb Jasmin Suleiman einen weiteren Post, in dem sie beschwor, sich mit ihrem Traum-Post nicht auf „die tragischen Ereignisse am 7. Oktober“, sondern auf ein „intimes, persönliches Ereignis“ in ihrem Leben bezogen zu haben.
Ihr Telefon klingelte trotzdem weiter. Dutzende Menschen hätten sie bei der Polizei angezeigt. Schließlich seien Beamte zum Haus ihrer Familie in Ostjerusalem gekommen. Auf Fotos zeigt Suleiman die zerstörte Einrichtung der Wohnung, kaputtgeschlagene Möbel, Löcher in den Wänden. Sie selbst musste für drei Tage ins Gefängnis, wurde verhört und schließlich wieder freigelassen. Übertrieben, findet Suleimans Anwalt: „Eine Vorladung hätte gereicht.“ Izhiman und mehrere palästinensische Kollegen vertreten noch mehrere ähnliche Fälle. Sie pochen auf den Schutz der Redefreiheit, auch in Kriegszeiten.
Kann er das Vorgehen der Behörden nachvollziehen, angesichts der problematischen Äußerungen seiner Mandantin zu einem Zeitpunkt, als das schreckliche Ausmaß der Hamas-Massaker längst ersichtlich war? „Was sie veröffentlicht hat, rechtfertigt diese Maßnahmen nicht“, sagt Izhiman. So deplatziert ihr Post zu diesem Zeitpunkt gewesen sein möge, er beziehe sich mit keinem Wort auf die Ereignisse am 7. Oktober. Auch für sie müsse gelten: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Mit einer Anklage rechnet er nicht.
Wütender Mob droht nach Trauergebet
Dass nicht nur palästinensische Israelis wegen ihrer Äußerungen in Schwierigkeiten geraten können, musste der linke jüdisch-orthodoxe Journalist Israel Frey erleben. Er hatte in Tel Aviv ein Trauergebet sowohl für die Opfer der Hamas als auch für die in Gaza getöteten Frauen und Kinder gesprochen. „Kein Kind sollte den Preis für die Taten von Fanatikern bezahlen müssen“, sagte Frey in dem Trauergebet unter anderem. Vor seiner Wohnung in der ultraorthodoxen Nachbarstadt Bnei Brak versammelte sich daraufhin ein wütender Mob. Die Demonstranten riefen „Verräter“ und warfen Feuerwerkskörper. Er musste seine Wohnung unter Polizeischutz verlassen.
Wenige Tage später meldete er sich mit einer Videobotschaft von einem unbekannten Ort, an dem er sich aus Angst um sein Leben versteckt hielt. Darin erhob er schwere Vorwürfe gegen rechte Gruppen und kritisierte die Festnahme von „fast einhundert Palästinenserinnen und Palästinensern wegen Hetze“ für Posts auf Instagram und Facebook.
Für Alon-Lee Green, den Co-Direktor von „Wir stehen zusammen“, sind Fälle wie der von Frey nur ein Beispiel für die Einschüchterung von Israelis, die sich gegen die Politik der Regierung oder in Solidarität mit Palästinensern äußern. „Wir bekommen täglich hunderte Anrufe von Menschen, die etwa von ihrer Arbeit suspendiert wurden. Einige Dutzend von ihnen haben tatsächlich Unterstützung für die Hamas ausgedrückt. Die große Mehrheit aber hat lediglich das Ende des Krieges oder Rücksicht auf die Kinder im Gazastreifen gefordert.“
Israel brauche seine arabischen Mitbürger, als Ärzte, Psychologen, an Universitäten. Auch sie seien Teil der Gesellschaft und hätten durch die Angriffe der Hamas ein Trauma erlitten. Die Mehrheit von ihnen zu kriminalisieren, sei gefährlich und könne neue Fronten und Gewalt innerhalb Israels schüren.
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