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Aquarium mit Aussicht

Wenn Bushaltestellen plötzlich zu Flachbooten werden und ein Taxi zu einem Segelschiff: Auf Einladung des Goethe-Instituts stellen deutsche und mexikanische Künstler an unterschiedlichsten Orten von Mexico-Stadt Arbeiten zum Thema Wasser aus

Tatsächlich liegt die dramatischste Misere von Mexiko-Stadt heute nicht mehr in seiner versmogten Luft, sondern im Mangel an Wasser, einer Ressource, die sehr ungleich verteilt ist

von Anne Huffschmid

Der Karpfen macht einen leicht verstörten Eindruck. Nervös schlingert das schlammfarbene Tier zwischen den neonbunten Plastikalgen umher, schnappt mit der Schnauze gegen die Scheibe des schmalen Beckens. Bis vor ein paar Tagen dümpelte er noch friedlich in seiner Heimstatt, einem modrigen Stadtsee, herum. Dann verfrachtete ihn ein junger Mexikaner in das „höchste Aquarium der Welt“. Hier habe der Fisch zumindest „einen grandiosen Ausblick“, behauptet Miguel Calderón. In der Tat ist vom 44. Stock des stolzen Torre Latinoamericana, so etwas wie die mexikanische Antwort auf das Empire State Building, der Ausblick atemberaubend. Der urbane Teppich wuchert weiter, als das Auge reicht, ein paar Sprengel von Grün blitzen auf, der Smog liegt wie ein Weichzeichner über dem Häusermeer. In der Ferne erinnern dunstumwobene Bergsilhouetten daran, dass die Megastadt ein Tal ist. Nur eines ist von hier oben nicht zu sehen: Wasser.

Womöglich hatte gerade dies die Turmbetreiber auf die aberwitzige Idee gebracht, ausgerechnet hier, hundertfünfundzwanzig Meter über einer der verseuchtesten Metropolen der Welt, „die fantastische Welt des Meeres“ auszustellen. Was wiederum Calderón – einer von 14 Künstlern, die das Goethe-Institut (GI) um Arbeiten zum Thema Wasser bat – dazu bewog, in das künstliche Meeresparadies ein wenig Wirklichkeit hineinzuholen. Das „Casting“ seines Hauptdarstellers habe sich mühsam gestaltet. Erst das Bezirzen der Firma, dann wochenlanges Gerangel um eine Angelgenehmigung im Chapultepec-See, einst Süßwasserquelle der Azteken, heute ein trübes Gewässer im riesigen Stadtpark, an dem die Chilangos, die Hauptstadtbewohner, sich bei Picknick und Bötchenfahren erlaben.

Der Turm ist nur einer von vierzehn Orten im Megamoloch, an denen deutsche und mexikanische Künstler dem Lebenselixier Wasser bizarre Denkmale setzen. Bushaltestellen werden zu Flachbooten und Taxen zu Segelschiffen umdekoriert, Palmen sind mit Wüstensand umschüttet, es gibt Begräbnisse und Wünschelruten, Pfützen- und Cyberkunst, Comics, verfremdete Billboards und Video-Installationen. Eröffnet wird die Event-Collage „agua-wasser“, die das GI mit der Nationaluniversität konzipiert hat, in einem leer stehenden Augustinerkloster am Rand der kolonialen Altstadt.

In dem wuchtigen Bau hat der in Mexiko arbeitende Texaner Thomas Glassford aus Haus- und Industrieabfällen einen gigantischen Wasserkreislauf gezaubert. Durch zehn Seitenkapellen hindurch schlängeln sich Schläuche und Rohre, Kübel- und Schüssellandschaften um einen „Brunnen“ aus Satellitenschüsseln. Vom Deckengewölbe hängt an metallenen Kordeln ein Plastik-Aquädukt, etwas schief gegen die Schräge des uralten Gebäude angelehnt. Sein Recycling-Spiel, das bei aller Raffinesse ohne jede Elektronik auskommt, nennt der Hydrauliker Glassford selbst eine „ziemlich wörtliche Arbeit“. So primitiv, fügt er mit charmantem Understatment hinzu, „wie das Wasser eben ist“.

Das Vorhaben selbst könnte kaum weniger primitiv formuliert sein: Man wolle, sagt Bernd Scherer, Leiter des mexikanischen Goethe-Instituts, „die Geschichte der Stadt aus der Perspektive des Wassers erzählen“. Zugleich soll der Moloch zum „Paradigma“ für das werden, was Kolonisierung, vermeintliche Zivilisation und Moderne anrichten kann. Und es ist eine denkbar triste Story. Die damit anfängt, dass das Hochtal von Mexiko, ursprünglich gar kein Tal, sondern eine Bucht war. Die 1325 gegründete Aztekenmetropole Tenochtitlán, von den Eroberern bei ihrer Ankunft noch als „amerikanisches Venedig“ gepriesen, war inmitten einer Seenplatte nur über Brücken erreichbar, es gab ausgeklügelte Kanalisation und jede Menge Wasserkulte. Kaum hatten die neuen Machthaber das aztekische Imperium unterjocht, begannen sie schon, Kanäle zuzuschütten und ringsherum die Seen auszutrocknen.

„Die Spanier haben das Wasser als Feind behandelt“, notierte einst der Berliner Reisewissenschaftler Alexander von Humboldt, „sie wollten anscheinend, dass dieses Neuspanien genauso trocken wie die Innenbezirke ihres alten Spanien wird“. Die Kreisläufe waren aus der Balance gebracht, es kam zu Versalzung und Lufttrockenheit, zu Knappheit und verheerenden Überschwemmungen. Im letzten Jahrhundert waren es dann die Einheimischen selbst, die der einstigen Wasserstadt den Garaus machten, das Tal rasant industrialisierten, die letzten Flussläufe trockenlegten oder in Rohre verlegten und darüber Straßen bauten. Flüsse gibt es in Mexiko-Stadt heute nur noch auf den Straßenschildern

So war der spanische Trockenwahn, wie es im Konzept heißt, schon „der erste Schritt zur Beerdigung des Wassers“. Diese Feststellung hat der Berliner Architekturfotograf Frank Thiel wörtlich genommen. Im Nordosten, wo die Aguas Negras, die schwarzen Gewässer, wieder aus der Stadt hinausfließen, wo Böden und Luft noch dreckiger, die Menschen noch kränker sind als anderswo, ist eine kleine Exkursion auf der Suche nach einem Wassergrab, „möglichst ohne Zivilisation drumrum“, wünscht sich Thiel. Wo einst der prächtige Texcoco-See plätscherte, ist heute versalzene, von Müllhalden gesäumte Ödnis, faulige Schwaden ziehen vorbei, und knurrende Hunde streunen zwischen den kargen Hügeln umher. Vom jahrzehntelangen Bemühen rühriger Experten, das verödete Areal in eine grüne Lunge zu verwandeln, zeugt immerhin ein künstlicher See aus geklärtem Wasser.

Nein, Fische gebe es hier noch keine, räumt der Mann von der Wasserkommission ein. Dafür kämen im Winter die ersten Pelikane. Und Enten, fügt er stolz hinzu, aus Alaska. Hier und da steht hinter Stacheldraht eine Kläranlage mit der surrealen Aufschrift „lodos activados“, aktivierte Schlämme, in denen bräunliches Wasser brodelt; bislang werden weniger als acht Prozent der urbanen Abwassermassen überhaupt geklärt. Endlich sagt Thiel „perfekt“. Weithin erstreckt sich struppiger Boden, nichts als Staub, Schlamm und schmutziges Grün. An dieser Stelle wird später der Plexiglassarg verscharrt werden, der zuvor mit Schmutzwasser gefüllt und mit dem Leichenwagen einer renommierten Bestattungsfirma transportiert wurde. Die Firma, von der sich sonst nur gut betuchte Mexikaner unter die Erde bringen lassen, hat dem Künstler zudem vier livrierte Sargträger an die Seite gestellt. Seine Begräbnis-Performance bleibt der Nachwelt per Video erhalten.

Tatsächlich liegt die dramatischste Misere von Mexiko-Stadt heute nicht mehr in seiner versmogten Luft, sondern im Wasser. Oder besser: im Mangel an Wasser. Die Zahlen übersteigen jedes Vorstellungsvermögen: Insgesamt braucht das Ballungszentrum 64.000 Liter pro Sekunde, im Jahr werden insgesamt 3 Milliarden Kubikmeter aus dem Grundwasser hochgepumpt. Dieses sinkt durch die Überausbeutung kontinuierlich und bringt den ohnehin schlammigen Untergrund Jahr für Jahr in immer größere Schieflage – durchschnittlich sinkt die Stadt alljährlich um 10 Zentimeter ab, in manchen Bezirken bereits um das Vierfache.

Schon heute muss ein Drittel des städtischen Wasserbedarfs aus benachbarten Gebieten, sehr zur Empörung der dort ansässigen Bauern, abgezogen werden – Tendenz steigend. Zudem drohen die Aguas Negras, die aufgrund defekter Rohre immer mal wieder ein paar Straßen überschwemmen, über den porösen Boden das Grundwasser zu verseuchen. Und kaum eine Ressource ist in Mexiko ungleicher verteilt. Im statistischen Schnitt verbraucht jeder Stadtbewohner 174 Liter am Tag. In den Randzonen, wo die Tankwagen nur alle paar Tagen die Kanister füllen, ist es eher ein Zehntel davon, in den reichen Vierteln geht für Autowaschen und Gartenbewässerung am Tag schon mal das Zehnfache drauf.

Über die Ökomisere und mögliche Auswege debattierten bei der vom GI organisierten Konferenz „Acuapolis“ im letzten Oktober internationale Urbanisten und Ingenieure. Das dezentral angelegte Kunstprojekt ist nun die Fortsetzung, wenn auch mit sehr anderen Mitteln. Auch deshalb, weil es sich vor Ort und in den öffentlichen Raum begibt. Und dabei mit allerlei kunstfernen Instanzen in Berührung gerät: mit Werbefirmen und Wasserwerken, mit Stadtverwaltung und Comicverlagen, und nicht zuletzt mit politisch brisanten Kontroversen wie dem umstrittenen Flughafenausbau auf dem Texcoco-Areal.

Ein derart offenes Projekt ist ein Risiko, das nicht gerade im Mainstream in- oder auswärtiger Kulturpolitik liegt. Sparzwänge fördern Output-Denken und damit das, was Scherer als „Agentur-Modell“ bezeichnet, also die Tendenz, „fertige Produkte von A nach B zu bringen“. Das Wasserprojekt, bei dem es hingegen um kreative „Freiräume mit unbestimmtem Ausgang“ gegangen sei, ist gewissermassen der Gegenentwurf. Private Gelder schließt das keineswegs aus, zu einem Viertel ist das Projekt von Sponsoren finanziert. Bei der Suche nach kommerziellen Financiers sei ihm aufgefallen, berichtet Scherer, „dass die meisten gar kein Interesse daran haben, dass ein Kulturinstitut nach derselben Logik funktioniert wie sie selbst“.

Unweigerlich erzählt die sprudelnde Collage, die bis zum Internationalen Wassertag am 24. März zu sehen ist, von Verlust und Zerstörung. Oft genug aber ist sie mit heiterer Ironie unterlegt, die sich gegen allzu viel Apokalypse oder Didaktik sperrt. Etwa bei den Wassertaxen von Helen Escobedo: 20 der über 50.000 VW-Käfer-Taxis, die tagtäglich durch die Straßen flitzen, hat sie mit einem Segel und einem Tonband ausgestattet, die Fahrer sind angewiesen, ihren Gästen Gespräche zum Thema zu entlocken. Oder die orangefarbene Box mit Guckfenster, die Arcángel (Erzengel) Constantini in einen U-Bahnhof gestellt hat. Drinnen hockt einer der ältesten Bewohner des Tals, der Lurchsalamander Axolotl, der die Evolution überlistet hat, sich mit seinen niedlich zerzausten Kiemen zu Wasser wie zu Lande fortbewegen kann und bis zu einem Vierteljahrhundert alt wird. Aufgrund seines dualen Wesens und seiner Metamorphose-Fähigkeit hatte der Anthropologe Roger Bartra das Zwittertierchen schon vor Jahren zur „Metapher des Mexikanischen“ erklärt. Die tägliche Begegnung zwischen Axolotl und den heutigen, nicht minder zählebigen Bewohnern des Tales wird Tag für Tag per Webcam live ins Internet eingespielt (www.agua-wasser.unam.mx).

Wie sie und andere es schaffen, in der durstigen Monsterstadt bis heute zu überleben, bleibt bei alledem noch immer ihr Geheimnis. Dieses nicht wirklich lüften zu wollen, bewahrt den kunstvollen Wasserreigen vor soziologischen Banalitäten oder ökotechnischen Belehrungen. Beim zwangsverpflanzten Karpfen ist es übrigens ein simpler Trick: Dem schüttet der mitfühlende Aquariumswärter hin und wieder ein wenig „Antistresspulver“ ins Wasser.

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