piwik no script img

Appetito Der Autor Daniel Speck erklärt, warum man über das Essen effizient Dinge erzählen kann und wie italienische Einwanderer die deutsche Esskultur verändert habenRebellion gegen die Behaglichkeit

Es gibt Pasta: italienische Gastarbeiter in München, 1960 Foto: Fritz Neuwirth/SZ Photo

Interview Jörn Kabisch

taz.am wochenende: Herr Speck, Sie sind ursprünglich Drehbuchautor. Ich möchte sie nach der Rolle fragen, die Essen im Film spielt.

Daniel Speck: Du bist, was du isst. Das gilt auch für Filmfiguren. Über das Essen kann man effizient Dinge erzählen, für die man sonst viel Raum bräuchte. Dadurch, wo, was und wie sie essen, kann man die Protagonisten sofort verorten: Ihre Herkunft, ihre Rollen, ihre Beziehungen untereinander.

Der familiäre Esstisch, die Küche, sind in Filmen und Serien oft präsent, wahrscheinlich mehr als in der heutigen Realität vieler Menschen . . .

In schlechten Filmen wird da gern die heile Rama-Familie zelebriert. In guten Filmen werden dabei familiäre Spannungen erzählt. Wenn sich die Sopranos ständig am Kühlschrank treffen, erfahren wir alles über sie: Tonys scheiternde Versuche, seinen Kindern traditionelle Werte zu vermitteln, die Unzufriedenheit seiner Frau in der Ehe und ihre Loyalität zu ihrem Mann vor den Kindern. All das wird über einem Capocollo, also Nackenschinken, verhandelt.

Der Esstisch ist das Symbol für Familie?

Und gleichzeitig ein gesellschaftlicher Mikrokosmos. Kennen Sie die Spargelszene aus „American Beauty“? Das Esszimmer spiegelt die Langeweile und Leblosigkeit der Vorstädte wider. Die Familie sitzt zu dritt am Tisch, in einem durchgestylten Raum, völlig steril und kalt. In der Mitte des Films schmeißt Kevin Spacey einen Teller mit Spargel an die Wand. Das ist die Schlüsselszene für seine Rebellion gegen Suburbia.

Sie haben nun einen Roman über italienische Einwanderer in den 60er Jahren geschrieben, in dem es viel ums Essen geht. Eine Szene spielt im Münchner Nobelrestaurant Tantris.

Essensszenen in Restaurants handeln gern von Charakteren, die aus ihrer Familienwelt auszubrechen versuchen. Meine Protagonistin, die aus einer Arbeiterfamilie stammt, lässt sich von ihrem heimlichen deutschen Geliebten ausführen. Das Tantris steht für das Deutschland der Siebziger, das beginnt, Feinschmeckerei offen zu zelebrieren. Doch dieser neumodische Schnickschnack ist Giu­liet­ta völlig fremd. Anders als ihr Kochen zu Hause, das immer etwas Improvisiertes hat. Die italienische Küche beherrscht ja die Kunst, aus wenigen lokalen und guten Zutaten etwas Leckeres zu komponieren. Wie eine Insalata Caprese oder eine Caponata. Weshalb die Gastarbeiter immer vollbepackt mit Salami, Pecorino, Wein und Oliven aus dem Sommerurlaub zurückkamen und irgendwann, so wie Giuliettas Bruder, daraus ein Geschäft machten.

Die Familie in ihrem Roman bringt die sizilianische Küche mit . . .

. . . die in Italien übrigens als die beste des Landes gilt. Und sie spiegelt auch das Thema des Romans wider, Migration. Durch seine Lage im Mittelmeer war Sizilien oft von anderen Völkern beherrscht und hat die kulinarischen Einflüsse der Besatzer geschickt integriert. Von den Römern kam das Eis, von den Normannen stammten die Rouladen und der Stockfisch, die Spanier brachten die Schokolade aus Mexiko mit, die Griechen den Wein und die Araber Pistazien, Mandeln und Zitronen.

Sie haben für den Roman viel recherchiert. Wir essen heute wie selbstverständlich Spaghetti, Lasagne und Pizza. Vor 60 Jahren war das längst nicht so?

Nein, mich hat amüsiert, wie die ersten Italienurlauber in den 50er Jahren noch ihren Filterkaffee in den Süden mitbrachten, weil der ihnen bekömmlicher vorkam. Auch die Italiener mussten sich mit ihrer Esskultur erst noch durchsetzen.

Zum Beispiel?

Foto: privat
Daniel Speck

46, ist Drehbuchautor aus München und Grimme-Preisträger. Ende Juli erscheint sein erster Roman: „Bella Germania“ (Fischer).

Die Italiener sind es gewöhnt, draußen zu essen, auf der Piazza. Sie kamen in ein Land, in dem man das nicht tat. Die Gaststube war das Symbol bürgerlicher Gemütlichkeit. Nicht nur Italiener, alle Südeuropäer stellten dann verbotenerweise Stühle und Tische vor ihre Läden, bei wichtigen ­Fußballspielen auch den Fernseher, so entstand das Public Viewing.

Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen. Das war auch die Zeit der jungen 68er, oder?

Und die fanden es toll, was die Einwanderer da machten. Sie machten mit und rebellierten damit gegen die Behaglichkeit des Wirtshauses. Da trafen sich zwei gesellschaftliche Gruppen. So entstand auch die große Sympathie der Linken für die Einwanderer. Schon damals gab es diesen Begriff „Authentizität“, aber mehr in dem Sinne, dass man im Plenum oder im WG-Kollektiv ganz authentisch die Gefühle rausließ. Authentizität bekam dann eine andere Bedeutung. Er wurde aufs Essen übertragen.

Im Roman zieht Giulietta in eine linke WG.

Aber nur, weil sie von Deutschen keine andere Wohnung bekommt. Und sie trifft auf die Essgewohnheiten der Linken. Denen ging es damals ja nicht um Genuss, sondern um die Rettung der Welt. Da gab es im Kühlschrank eben nichts ­außer Tomatenmark in Dose und Waldmeisterwackelpudding. Giulietta wird schnell zur Köchin bei den Blumenkindern. Ich glaube, in dieser Zeit wurde tatsächlich die Keimzelle für die Toskana-Fraktion gelegt. Denn über die Esskultur der Ein­wanderer konnte man ein neues Gemeinschaftsgefühl finden, eine andere Kultur, sich gemeinsam an den Tisch zu setzen, nachdem die jungen Generation die Tische ihrer Familien, die so vermufft und belastet ­waren, hinter sich gelassen hatte.

Die Essecke: Jörn Kabisch befragt auf dieser Seite jeden Monat Praktiker des Kochens. Außerdem im Wechsel: Philipp Maußhardt schreibt über seinen offenen Sonntagstisch, taz-Autoren machen aus Müll schöne Dinge und treffen sich mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Kochen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen