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Appelle an Bür­ge­r:in­nen zeigen Wirkung

In der Gaskrise haben Aufrufe zum Energiesparen und andere Faktoren Ver­brau­che­r:in­nen eher dazu gebracht, weniger zu heizen, als höhere Preise, zeigt eine Studie

Mit Wollmütze und Fäustlingen auf der Couch: Viele Deutsche stellten im Winter 2022 die Heizung niedriger Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

Von Anja Krüger

Appelle zum Sparen und andere nicht finanzielle Faktoren haben in der Energiekrise 2022 mehr bewirkt als die drastischen Preiserhöhungen fürs Heizen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, die der taz vorliegt. „Sollen kurzfristig ­Einsparungen beim Energieverbrauch erreicht werden, gelingt das besser über Appelle und Spartipps als über den Preis“, sagte Studienmit­autor Till Köveker aus der Abteilung Klimapolitik des DIW Berlin der taz.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 war die Angst vor einem Mangel an Gas groß. Deutschland bezog einen erheblichen Teil seines Erdgases aus Russland. Der russische Staatschef Putin nutzte die Lieferungen als Drohpotenzial, indem er sie mal mehr, mal weniger drosselte. Seit Herbst 2022 kommt kein russisches Erdgas mehr über Pipelines nach Deutschland. Eine Folge waren drastisch steigende Preise fürs Heizen. Weil der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und andere für die Energieversorgung Verantwortliche fürchteten, dass Gas knapp werden könnte, appellierten sie an die Bürger:innen, weniger zu heizen. Etliche Organisationen gaben Energiespartipps.

Tatsächlich verbrauchten die privaten Haushalte in Deutschland 2022 gegenüber dem Vorjahr insgesamt 16 Prozent weniger Heizenergie. Davon gehen nur zwei Prozentpunkte auf die gestiegenen Preise zurück, so die DIW-Forscher:innen. Nicht monetäre Faktoren hatten im Krisen­jahr einen mehr als viermal so großen Einfluss auf das Verbrauchsverhalten der Bür­ge­r:in­nen als die höheren Kosten, sagt Köveker. Die übrigen Einsparungen führen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen auf das wärmere Wetter zurück sowie nach der Coronakrise die Rückkehr von Beschäftigten aus dem Home­office.

„Appelle und Spartipps hatten zumindest kurzfristig einen starken Effekt“, ist Köveker überzeugt. Welche Motive genau die Bür­ge­r:in­nen bewegten, die Raumtemperatur zu drosseln, ist aus den Daten nicht ablesbar. Die For­sche­r:in­nen gehen davon aus, dass die anhaltende Debatte etwa über die Gasspeicherfüllstände oder Informationskampagnen Spuren bei den Bür­ge­r:in­nen hinterlassen haben.

Für die Studie haben die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Heizungsabrechnungen von mehr als 140.000 Mehrfamilienhäusern in Deutschland für das Jahr 2022 ausgewertet, die sie vom Immobiliendienstleister Ista SE erhalten hatten. Die Ergebnisse seien auf den gesamten Gebäudebestand übertragbar, so Köveker. Die For­sche­r:in­nen verglichen die Haushalte, deren Heizkosten gestiegen waren, mit denen ohne Preiserhöhung. In den Wohnungen mit steigenden Kosten sank der Verbrauch um zwei Prozent stärker als in den anderen – umso mehr, je höher die Kosten kletterten. „Der Preis hat schon einen Effekt“, sagt Köveker. „Aber recht schwach.“

Ein höherer Preis hat nur einen schwachen Effekt für den Verbrauch

Stiegen die Heizkosten um weniger als 25 Prozent, konnten die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen keinen signifikanten Effekt erkennen. Eine Erklärung dafür ist, dass Vermietende in diesen Fällen die Abschlagszahlungen fürs Heizen nicht angepasst haben und den betroffenen Haushalten die Erhöhung nicht klar war. Das Wissen um den Preisanstieg könnte auch die Ursache für einen weiteren Effekt sein: Haushalte, die mit Fernwärme heizten, sparten mehr als die mit Gasheizungen. Bei Fernwärme gibt es in der Regel nur einen Anbieter, Nachbarschaften sind gleichermaßen von Preiserhöhungen betroffen – weshalb eher darüber gesprochen wird.

Bei einer künftigen Energiekrise wäre es für die Regierung sinnvoll, nicht monetäre Instrumente wie Appelle gezielt zu nutzen. „Sich allein auf eine Preiserhöhung zu verlassen, würde wahrscheinlich nicht funktionieren“, sagte er. Die Studie gebe keine Auskunft darüber, wie nachhaltig Appelle langfristig wirken, etwa um Verhaltensänderungen mit Blick auf die Klimakrise zu bewirken.

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