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Appell an Nicht­wäh­le­r:in­nenRafft euch!

Nicht-Wählen als revolutionärer Akt ist peinlich. Gerade weil diejenigen, die unter rechten Parteien am meisten zu leiden haben, kein Wahlrecht haben.

Die Qual der Wahl und das Privileg der Verweigernden- wer nicht wählen will, lässt jene hängen die nicht wählen dürfen Foto: Sebastian Gollnow/dpa

L inke, die erklären, dass sie nicht wählen werden. Zum Glück habe ich in den letzten Wochen erst wenige Statements dieser Art gehört. Doch langsam tröpfeln die ersten ein und wie sagen wir so schön: „Wehret den Anfängen“.

Sätze wie „Ich wähle nicht, denn ich kann nicht mehr in den Spiegel gucken, wenn ich einer von diesen Parteien meine Stimme gebe“, sind für mich absolut nicht nachvollziehbar. Wie narzisstisch muss man sein, um angesichts des drohenden Faschismus zuerst an sein Spiegelbild zu denken? Klar ist mir meine Stimme wichtig. Die gebe ich nicht einfach so an irgendeine Partei ab. Wählen ist auch keine Pflicht, aber Wählen-Dürfen ist ein Privileg, und ich kann und will über jede Person die Augen rollen, die es nicht nutzt.

Nicht-Wählen als revolutionärer Akt ist einfach peinlich. Gerade weil diejenigen, die unter dem Erstarken rechter Parteien am meisten zu leiden haben, gar kein Wahlrecht haben: So viele Menschen, die hier leben, arbeiten und das Land mit prägen, haben nicht das Recht, mitzuentscheiden, wer sie regiert, weil sie nicht den richtigen Pass haben.

Und Kinder und Jugendliche, die von den Entscheidungen, die wir jetzt für diesen Planeten treffen noch wesentlich länger betroffen sind, auch nicht. Die Menschen, auf deren Köpfen und Rücken dieser rassistische Wahlkampf ausgetragen wird, dürfen nicht wählen. Aber irgendein Malte in Friedrichshain denkt, dass er linken Parteien einen Denkzettel verpassen kann, weil keines der Angebote auf ihn zugeschnitten ist. Er will abgeholt werden.

Macht keinen Spaß, aber ist lebensverlängernd

Nun gibt es sehr gute Gründe, keine Partei mit vollster Überzeugung zu unterstützen. Für viele ist der Gang ins Wahllokal eher ein Walk of Shame als eine Parade. Für mich ist es wie Joggen. Macht keinen Spaß, aber unter Umständen lebensverlängernd. Ich verstehe, wenn Menschen sagen, ich kann nicht ohne Bauchschmerzen die Linke wählen wegen ihrer Außenpolitik. Oder die Grünen wegen ihrer Migrationspolitik. Und die SPD wegen der SPD. Aber wenn ihr das nicht wollt, wollt ihr erst Recht nicht mehr Prozente für CDU und AfD.

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Wer das wirklich nicht über sich bringen kann, kann ja auch drüber nachdenken, im Namen einer anderen Person zu wählen. Ich erinnere mich an Aktionen, bei denen Menschen, die nicht wählen wollten, Menschen gefragt haben, die nicht wählen durften und dann in deren Sinne ihre Stimme abgegeben haben.

Dieser Wahlkampf ist ermüdend und die Hetze gegen Minderheiten, besonders gegenüber PoC, Mi­gran­t*in­nen und Menschen mit Migrationshintergrund, ist kaum zu ertragen. Ich will, dass dieser Wahlkampf aufhört – aber ich habe große Angst vor dem, was aus ihm folgt, „gelernt wird“ und danach kommt. Sollten Menschen diesen Text lesen, die aus Bequemlichkeit oder Gewohnheit ihr Wahlrecht verfallen lassen: Rafft euch!

In meiner letzten Kolumne habe ich mir mehr Sichtbarkeit für linke Themen gewünscht. Das gilt auch für sogenannte „innerlinke Debatten“. Führt sie und stellt Forderungen an die Parteien. Aber lasst sie um eure Stimmen kämpfen und nicht darum, ob sie euch überhaupt an die Urne bekommen. Und vor allem: Nehmt sie in die Verantwortung, wenn sie gewählt wurden. Erinnert sie auch gern dran, dass sie eure Stimmen aus antifaschistischer Not heraus bekommen haben und nicht aus vollster Überzeugung und fordert sie auf, entsprechende Politik zu machen.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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4 Kommentare

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  • In den USA ist das Argument immer, wenn man nicht für die Demokraten stimmt, stimmt man für die Republikaner. Was ja auch irgendwo so stimmt. Aber am Ende des Tages stimmt das auch: Widerstand ist Widerstand, und Kollaboration ist Kolllaboration. Wer auch immer da mit macht, was auch immer gerade passiert, ist eben ein Kollabortör. Zieh Dir den Strumpf einfach an.

  • Ist es nicht so, daß AfD und sowas für jede/n NichtwählerIn Geld bekommt? Allein der Gedanke schickt mich zum Wählen.

  • Zitat: "Nicht-Wählen als revolutionärer Akt ist einfach peinlich. Gerade weil diejenigen, die unter dem Erstarken rechter Parteien am meisten zu leiden haben, gar kein Wahlrecht haben: So viele Menschen, die hier leben, arbeiten und das Land mit prägen, haben nicht das Recht, mitzuentscheiden, wer sie regiert, weil sie nicht den richtigen Pass haben."

    Und nicht nur das. Nicht zu wählen, stärkt, da so etwas bei den Anhängern der Parteien rechts der Mitte nicht oder nur sehr viel weniger verbreitet ist, garade deren Stimmenanteile. Weil das so offensichtlich ist, muß man das

    Zitat: "Aber wenn ihr das nicht wollt, wollt ihr erst Recht nicht mehr Prozente für CDU und AfD."

    zumindest bezweifeln. Es kann und wird nichts anderes dabei rauskommen. Rechts geht man wählen, links bleibt man eher zu Hause - damit ist das Ergebnis vorgezeichnet. Auf die Wahlbeteiligung und die daraus resultierenden Anteile an der Gesamtheit der Wahlberechtigten kommt es ja beim Verteilen der Mandate nicht an.

  • Wählen ist wichtig, viel wichtiger ist die Lehren aus dem Wahlkampf zu ziehen und aktiv wahrzunehmen in was für einer Gesellschaft man sich befindet. Diese über 50% Rechts sind im Alltag sehr wohl sehr wahrnehmbar und in der Gesellschaft und Behörden aktiv.

    Wählen, für die anderen, sehr gerne. Und Koffer packen.