Apothekenmarkt soll geöffnet werden: Mit dem Rezept zum Discounter
Die EU will den deutschen Apothekenmarkt öffnen. Doch Apothekerverbände warnen, dass die Beratung von Patienten leiden könnte.
Nichts wird bleiben, wie es ist. Der deutsche Apothekenmarkt steht vor einem massiven Umbruch. Nachdem die Drogerieketten Rossmann, dm und Schlecker schon in den Online-Handel mit Medikamenten eingestiegen sind und auch die Post in einigen Filialen Bestellungen entgegennimmt, denkt jetzt auch der Einzelhandelsriese Rewe darüber nach, den Apotheken Konkurrenz zu machen.
Die Drogerien sind dabei bisher nur Zwischenhändler: Sie bestellen die Arzneimittel bei Online-Apotheken, die seit 2004 zugelassen sind, und geben diese an ihre Kunden weiter. Ob diese Praxis rechtens ist, darüber verhandelt heute das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Kläger in diesem Musterprozess gegen die Drogeriekette dm ist die Stadt Düsseldorf.
Allerdings könnte dieser Zwischenweg über die Online-Apotheke ohnehin bald überflüssig werden. Denn weil die Europäische Union auf eine Liberalisierung des deutschen Medikamentenmarktes drängt, könnten Drogerien und Supermärkte Medikamente bald direkt verkaufen. Apotheken setzen hier jährlich 35 Milliarden Euro um, bisher in einem wohl behüteten Rahmen, der Eindringlingen kaum Spielraum lässt. Nur Pharmazeuten dürfen Apotheken besitzen und nicht mehr als drei Filialen betreiben. Für die EU verstoßen diese Regeln gegen das europäische Gemeinschaftsrecht. Brüssel will es auch ausländischen Kapitalgesellschaften ermöglichen, Apotheken in Deutschland zu betreiben, und klagt darum vor dem Europäischen Gerichtshof. Experten rechnen bis Jahresende mit einer Entscheidung, die den deutschen Markt öffnen würde.
Dagegen laufen die Apothekerverbände Sturm. Sie sehen sich von Großkonzernen bedroht und sorgen sich um die Gewinne. "Rewe, Schlecker, Rossmann - die wollen keine Patienten versorgen, sondern ihre Erträge maximieren", sagt Heinz-Günter Wolf, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Für die Verbraucher bedeutet das weniger Beratung. Auch sei die flächendeckende Versorgung gefährdet.
Gesundheitsökonom Gerd Glaeske, einer der sieben "Gesundheitsweisen", hält die Liberalisierung hingegen für sinnvoll. "Die Qualität bei der Beratung würde steigen, wenn sich große Ketten bilden", sagt er. Denn Qualität sei dann das entscheidende Wettbewerbskriterium. Die "Horrorszenarien" der Apothekerverbände seien ohnehin "an den Haaren herbeigezogen". Gesetze würden auch in Zukunft verhindern, dass Kassiererinnen im Supermarkt Medikamente verkaufen. Auch nach der Liberalisierung müssten Einzelhandelsketten dafür Apotheker anstellen, meint Glaeske. "Und die würden ihren Job nicht schlechter machen."
Die Politik hält mehrheitlich noch an dem bewährten System fest. Einzig die Grünen machen sich für eine Marktöffnung stark. "Studien haben ein Einsparpotenzial von ein bis zwei Milliarden Euro im Jahr ergeben", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin Birgitt Bender. Schon jetzt sind Online-Apotheken meist deutlich billiger als die herkömmlichen. Ketten könnten Rabatte mit Pharmahändlern vereinbaren, sagt Bender, sodass die Preise fallen würden.
Vor einer kompletten Liberalisierung, also dem Wegfall der Apothekenpflicht, warnt Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Der Medikamentenverkauf sollte Apothekern vorbehalten bleiben. "Arzneimittel sind keine Ware wie Lebensmittel, die Sicherheit muss gewährleistet bleiben", sagt er. Versandapotheken und Bildung von großen Ketten seien aber aus Verbrauchersicht durchaus zu begrüßen.
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