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Anwalt über Berliner Polizeigesetz„Menschen verhalten sich anders, wenn sie überwacht werden“

Die geplante Neufassung des Asog ist zum Teil verfassungswidrig, sagt der Anwalt Lukas Theune. Er fordert einen Stopp des Gesetzgebungsverfahrens.

Bald mit KI? Überwachungskamera an der Polizeiwache auf dem Berliner Alexanderplatz Foto: Future Image/imago
Hanno Fleckenstein

Interview von

Hanno Fleckenstein

taz: Herr Theune, Berlins schwarz-rote Koalition will das Polizeigesetz an vielen Stellen verschärfen. In einem offenen Brief fordern Sie mit anderen, das Gesetzgebungsverfahren auszusetzen. Warum?

Lukas Theune: Die geplante Neufassung des Polizeirechts ist nicht einfach nur eine Reform eines kleinen Fachgesetzes, die ohne öffentliche Debatte stattfinden kann. Es geht hier um viel größere Fragen: Wie wollen wir in dieser Stadt miteinander leben? Nehmen wir in Kauf, komplett überwacht zu werden? Oder wollen wir uns Raum zum Atmen lassen? Der Gesetzesentwurf soll der Polizei gläserne Bür­ge­r*in­nen ermöglichen. Zugleich hat der Senat hat diesen umfassenden Entwurf still und heimlich kurz vor der Sommerpause eingebracht und das Gesetz soll noch dieses Jahr verabschiedet werden. Das entspricht nicht den demokratischen Gepflogenheiten und auch nicht der Bedeutung der Sache. Deswegen muss die Koalition das Verfahren stoppen, um eine umfassende öffentliche Diskussion zu ermöglichen.

taz: Die Berliner Polizei soll weitreichende neue Befugnisse erhalten – etwa beim Staatstrojaner und der Videoüberwachung – und Vorgaben zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Droht hier der Überwachungsstaat?

Theune: Überwachungsstaat ist ein hartes Wort. Aber das, was in dem Entwurf steht, geht wirklich weit. Natürlich könnte man behaupten, die Maßnahmen betreffen ja nur Verdächtige. Aber am Ende droht jedem von uns, dass eine KI-gestützte Kamera verdächtig findet, wie man sich verhält und das dann an die Polizei meldet.

Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa
Im Interview: Lukas Theune

Lukas Theune arbeitet seit 2015 als Rechtsanwalt in Berlin; seit 2018 ist er zugleich Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) und seit 2019 Fachanwalt für Strafrecht.

taz: Sie sprechen von dem Vorhaben, künftig an „kriminalitätsbelasteten Orten“ dauerhaft Videoüberwachung einzurichten und das Material live mithilfe von KI auszuwerten. Was bringt das?

Theune: Das weiß niemand und das ist auch schwer zu prognostizieren. Es hängt auch davon ab, wie die entsprechenden Technologien funktionieren – die das Land Berlin ja noch gar nicht besitzt. Was wir aber wissen ist, dass sich Menschen anders verhalten, wenn sie überwacht werden. Wir Ju­ris­t*in­nen nennen das „Chilling Effects“: dass man Handlungen unterlässt, weil man befürchtet, sonst in den Fokus staatlicher Behörden zu geraten.

taz: Auch im digitalen Raum sollen die Überwachungsmöglichkeiten ausgeweitet werden. Handys zu orten, zu infiltrieren und abzuhören wäre dann nicht mehr nur zur Strafverfolgung, sondern auch präventiv zur „Gefahrenabwehr“ möglich. Ist das ein Trend im Polizeirecht?

Theune: Ja, das sehen wir auch in anderen Bundesländern. Aber Berlin versucht mit dem Entwurf, sich an die Spitze eines solchen Überwachungstrends zu setzen. Ein Smartphone gibt heutzutage fast alles über uns preis. Wenn sich da der Staat reinhackt, hat er den gläsernen Menschen vor sich. Das ist also eine sehr weitreichende Befugnis – zumal ja noch gar keine Straftat passiert ist und der Kreis an Personen, die es treffen kann, wegen der Begründung der Gefahrenabwehr wirklich sehr groß ist. Im Polizeirecht geht es um Menschen, denen gar keine Straftat vorgeworfen wird. Und dennoch sollen die Befugnisse der Polizei jetzt hier weiter als im Strafrecht gehen. Das kann doch nicht sein.

taz: Weitreichend sind auch die geplanten Regeln zum KI-Einsatz: Die Polizei soll künftig das Internet anhand biometrischer Merkmale nach Verdächtigen durchforsten dürfen. Sehen wir hier das Ende der Privatsphäre?

Theune: Die biometrische Echtzeit-Internetsuche ist in Zeiten von Social Media enorm effektiv und grundrechtsintensiv. Genau deshalb ist sie auch explizit verboten durch die EU-Verordnung zu KI. Es ist also völlig absurd, dass man jetzt genau diese Suche ermöglichen will – und zwar mit einem Trick. Angeblich soll die Polizei das gesamte Internet kopieren und auf lokalen Servern speichern. Diese Kopie soll dann vermeintlich legal durchforstet werden. Das wird nicht funktionieren. Am Ende macht die Polizei genau das, was sie nicht darf: das Internet live nach Gesichtern absuchen.

taz: Geht es nach der Koalition, darf die Polizei demnächst sogar gesammelte Daten auf einer automatisierten Analyseplattform zusammenführen, verknüpfen und aufbereiten. Baut sich die Behörde hier ein Überwachungsprogramm, vergleichbar mit der umstrittenen Ermittlungssoftware Palantir?

Theune: Dass die Polizei selbst eine Software entwickelt, ist abwegig. Ich befürchte, dass die Koalition am Ende doch Palantir anschaffen könnte, obwohl sie das bislang abstreitet. Aus meiner Sicht ist auch dieser Teil des jetzt vorgelegten Gesetzentwurfs problematisch und verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat ähnliche Normen aus Hamburg und Hessen beanstandet.

taz: Dabei ist die Neufassung des Berliner Polizeigesetzes ja eigentlich eine Reaktion auf eine veränderte Rechtslage auf Bundes- und EU-Ebene sowie infolge von Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Theune: Berlin vermittelt hier die Botschaft: Uns ist das Bundesverfassungsgericht egal. Dabei wäre der richtige Weg, von neuen Technologien wie dem Einsatz von KI und der automatisierten Verknüpfung von Datenbanken abzulassen, weil diese mit den Grundrechten nicht vereinbar sind.

taz: Wie steht es um die Grundrechte in Berlin, wenn das Gesetz in der derzeitigen Fassung in Kraft tritt?

Theune: Es gibt sowieso schon viele Grundrechtsverletzungen in Berlin. Zum Beispiel das Recht auf Wohnen, das überhaupt nicht gewährleistet wird, sowie das Recht auf menschenwürdiges Leben oder auf Schutz vor Gewalt. Das neue Polizeigesetz würde einen deutlichen Einschnitt in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedeuten. Wir müssten uns dann in dieser Stadt vergegenwärtigen, dass wir immer mehr überwacht werden, ohne überhaupt etwas davon mitzukriegen.

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