Anwalt über Abschiebehaft: „Im Zweifel gegen die Freiheit“
Anwalt Peter Fahlbusch führt Statistik darüber, wie oft seine Mandanten zu Unrecht in Abschiebungshaft saßen – 738 Menschen seit 2001. Ein Armutszeugnis, sagt er.
taz: Herr Fahlbusch, wie viele Ihrer Mandanten saßen 2017 unrechtmäßig in Abschiebungshaft?
Peter Fahlbusch: Seit 2001 saßen mehr als 50 Prozent meiner Mandanten zu Unrecht in Abschiebungshaft. Wie viele es 2017 sind, kann ich nicht genau sagen. Manchmal sind die Leute schon 2012 festgenommen worden und der Bundesgerichtshof entscheidet erst jetzt, dass die Inhaftierung rechtswidrig war. Seit 2001 habe ich 1.407 Mandanten betreut, die in Abschiebungshaft saßen. 738 davon wurden unrechtmäßig inhaftiert.
Wann ist die Haft unrechtmäßig?
Dann, wenn es Gerichte rechtskräftig so entscheiden. Ich habe in den genannten Fällen Haftbeschwerden eingelegt. In diesen 738 Fällen haben Gerichte geurteilt, dass die Haft nicht in Ordnung war. Manche meiner Mandanten saßen „nur“ einen Tag in Haft – „nur“ in Anführungsstrichen, denn das ist ja Freiheitsentziehung. Andere saßen monatelang zu Unrecht in Haft. Im Durchschnitt waren es vier Wochen. Ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat.
Woran liegt es, dass so viele Inhaftierungen rechtswidrig sind?
Die Formalien sind bei den Verfahren sehr oft nicht erfüllt. Verfahrensrecht ist nun aber Verfassungsrecht. Im Grundgesetz steht, dass man nur unter Beachtung der einschlägigen Verfahrensvorschriften in Haft genommen werden darf. Das beinhaltet zum Beispiel, dass sich der Richter die Akten anguckt oder der Betroffene von einem Dolmetscher angehört wird und ihm der Haftantrag vor der Anhörung ausgehändigt und übersetzt wird. In manchen Fällen stimmte schon die Grundannahme, dass die Menschen das Land verlassen müssen, nicht. Bei manchen lief noch ein Asylverfahren oder es waren Bescheide gar nicht richtig zugestellt worden.
Kann es nicht auch gute Gründe für eine Abschiebungshaft geben?
Man kann schon Zweifel haben, ob es die Abschiebungshaft überhaupt geben muss. Es geht hier um Zivilgefangene. Die haben keinen Menschen umgelegt und auch nicht mit Drogen gehandelt. Man sperrt sie nur deshalb ein, weil sie angeblich das Land verlassen müssen. Da kann man sich fragen, ob das verhältnismäßig ist. Wenn man aber meint, dass es notwendig ist, muss man penibel darauf achten, dass die bestehenden Gesetze eingehalten werden.
53, der Rechtsanwalt aus Hannover beschäftigt sich schon seit dem Jahr 2000 schwerpunktmäßig mit Abschiebungshaftverfahren.
Ohne Formfehler.
Genau. Die Behörden und Gerichte halten diese Regeln häufig nicht ein – und das bundesweit. Wenn man sich das mal überlegt: Jeder Zweite sitzt zu Unrecht in Abschiebungshaft. Beträfe das deutsche Eierdiebe, würden die Verantwortlichen das politisch nicht überleben. Aber diese Gefangenen in Abschiebungshaft haben überhaupt keine Lobby.
Bekommen die Geflüchteten einen Anwalt?
In der Untersuchungshaft bekommen die Gefangenen vom ersten Tag an einen Anwalt. In Abschiebungshaft ist das anders. Einen Pflichtverteidiger gibt es nicht, egal wie lange die Menschen in Haft bleiben. Sie müssen sich selbst einen Anwalt suchen und bezahlen. Meistens haben sie dafür kein Geld.
Ein Grund für die Abschiebungshaft ist Fluchtgefahr. Ist das zu vage?
Man muss sich den Einzelfall anschauen. Ein allein reisender, gesunder 25-Jähriger könnte wohl eher untertauchen, als eine Frau mit zwei kleinen Kindern oder alte und kranke Menschen. Wo sollen die sich denn verstecken?
Kommen Familien denn auch in Abschiebungshaft?
Ja, natürlich. In Frankfurt am Main sind im Flughafengefängnis immer wieder Menschen mit kleinen Kindern inhaftiert oder auch erheblich traumatisierte Menschen. Da gibt es leider regelmäßig Suizidversuche.
Wie werden Ihre Mandanten auf Sie aufmerksam?
Weil es kaum Anwälte gibt, die diese Verfahren intensiv betreiben, spricht sich das herum. Ich schaue mir jeden Auftrag an, weil ich am Anfang gar nicht weiß, ob jemand eine Chance hat oder nicht. Das sieht man erst, wenn man sich die Akten anguckt.
Warum führen Sie über Ihre Fälle Statistik?
Anfang 2005 hatte ich das Gefühl, dass ich diese Fälle wirklich außergewöhnlich oft gewinne. Ich habe deshalb die Landesjustizverwaltungen angeschrieben und gefragt, wie viele Menschen zu Unrecht inhaftiert wurden. Alle haben geantwortet, dass sie solche Zahlen nicht erheben. Jeder Baum, der an einer Landstraße gepflanzt wird, wird gezählt. Da ist es absurd, dass es keine Zahlen über rechtswidrige Haft geben soll. Deshalb habe ich meine eigenen Akten aus dem Keller geholt und mit der Statistik begonnen. Ich kann anhand der Statistik sagen, mit welcher Behörde oder welchem Gericht es besonders gut oder schlecht läuft.
Gibt es da ein Gericht in Niedersachsen?
Das Amtsgericht in Hannover macht das relativ gut, vermutlich weil es solche Fälle dort häufiger gibt. Aber auf dem flachen Land entscheiden die Amtsrichter seltener über Abschiebungshaftanträge. Das ist eine komplizierte Materie. Man muss das Aufenthalts-, Asyl- und Europarecht kennen und dafür haben die Richter dort keine zeitlichen Kapazitäten. Die schreiben dann das ab, was ihre Kollegen vor zwei Jahren geschrieben haben und die wiederum haben es auch irgendwo abgeschrieben. Teilweise lese ich dann Entscheidungen mit Bezug auf Gesetzesnormen, die schon seit Jahren nicht mehr in Kraft sind.
Gibt es dafür eine Lösung?
Ab dem 1. Januar sollen in Niedersachsen nur noch die Amtsgerichte, in deren Städte auch Landgerichte sitzen, diese Fälle bearbeiten. Dann werden sich hoffentlich gewisse Routinen entwickeln.
Warum sollten Asylsuchende gegen die Inhaftierung vorgehen?
Wenn die Leute wieder kommen möchten oder hier bleiben dürfen, müssten sie eigentlich die Kosten der Abschiebungshaft zahlen. In Hannover sind das weit über 100 Euro am Tag, in Hamburg sogar 300 Euro. Wenn sie zu Unrecht inhaftiert waren, haben die Menschen einen Anspruch auf Schadensersatz. Auch wenn der einigermaßen jämmerlich ausfällt.
Was bedeutet es für die Schutzsuchenden, wenn sie in Haft kommen?
Sie sitzen im Gefängnis. Das kann man schön machen, wenn man den Stacheldraht von den Dächern holt, aber es bleibt einfach Freiheitsentziehung und die Leute sind bar jeder Hoffnung.
Wie sieht es denn im Gefängnis in Hannover-Langenhagen aus?
Es ist nicht das klassische Strafgefängnis, aber es gibt trotzdem nur bestimmte Hofzeiten. Tagsüber können sich die Inhaftierten in Gemeinschaftsräumen treffen, Tischtennis spielen oder etwas kochen. Mittlerweile dürfen sie ein Handy haben. Das war jahrelang umkämpft. Aber der Internetzugang ist immer noch begrenzt. Das verstehe ich nicht. Es sind keine Strafgefangenen. Warum sollen die nicht über Skype mit ihren Verwandten kommunizieren?
Welche Alternativen gibt es zur Haft?
Zum Beispiel Meldeauflagen oder eine Passhinterlegung. Ich vertrete Leute, die wollten gerade selbst ausreisen, sind dann auf dem Weg festgenommen und in Haft gesteckt worden, nur um sie dann sechs Wochen später abzuschieben. Das ist völlig schwachsinnig. Man muss vielleicht auch mal in Kauf nehmen, dass man enttäuscht wird, weil einer untertaucht. Aber bei den Gerichten und Behörden hat man manchmal das Gefühl, dass die Meinung vorherrscht, jemanden rechtswidrig einzusperren sei besser, als jemanden laufen zu lassen, der hinterher abhaut. Nach dem Motto: Im Zweifel gegen die Freiheit. Das finde ich bedenklich.
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