Antrittsbesuch in Frankreich: Merz will über europäische nukleare Abschreckung reden
Der neue Kanzler besucht Paris. Merz will die Beziehung zu Frankreich stärken – und zeigt sich offen gegenüber einer Ausweitung des nuklearen Schutzschirms.

Während einer dortigen Pressekonferenz bekräftigt Merz seine Offenheit für eine Diskussion über die nukleare Abschreckung gemeinsam mit europäischen Partnern. „Ich sehe die grundsätzliche Notwendigkeit, dass wir mit Frankreich und mit Großbritannien über die Frage diskutieren, wie wir eine Antwort der Abschreckung auch in Zukunft gemeinsam geben können“, sagte Merz. Eine mögliche Ausweitung des nuklearen Schutzschirms, wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sie ins Gespräch gebracht hatte, sei jedoch kein Ersatz für die atomaren Garantien der USA.
„Dies ist ausdrücklich gemeint als eine Ergänzung zu dem, was wir gegenwärtig mit den Vereinigten Staaten von Amerika und der Nato vereinbart haben“, betonte Merz. Über solche und andere sicherheitspolitische Themen würden Deutschland und Frankreich künftig miteinander im Format „drei plus drei“ diskutieren, also der französische Präsident, der Bundeskanzler und die jeweiligen Außen- und Verteidigungsminister.
Gemeinsam mit Präsident Emmanuel Macron forderte er außerdem Israel auf, der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen endlich humanitäre Hilfe zu liefern. Übereinstimmend betonten beide nach einem Treffen in Paris, dass ihre Regierungen Israels Rechts auf Selbstverteidigung gegen die radikalislamische Hamas respektierten, das Land aber auch eine humanitäre Verpflichtung habe. „Ich hoffe sehr, dass die israelische Regierung sich dieser Verpflichtung bewusst ist“, sagte Merz, der aber auch betonte, dass Deutschland „ohne Wenn und Aber“ an der Seite Israels stehe.
Hoffnung für deutsch-französische Beziehung
Der Besuch des frisch vereidigten Kanzlers sorgt in Frankreich für Hoffnung. Auch wenn es offiziell nicht explizit so gesagt wird, denken alle, dass es in den deutsch-französischen Beziehungen nur besser werden kann als mit Olaf Scholz, für den sich hier niemand so richtig erwärmen konnte.
Die Ära Scholz wird in Frankreichs Medien als „Eiszeit“ im Klima der deutsch-französischen Beziehungen oder „Tiefpunkt der Freundschaft seit Adenauer – de Gaulle“ bezeichnet. Merz hat dagegen Vorschusslorbeeren mit einem Profil des „überzeugten Europäers“, das er sich selber gibt. In Frankreich gilt er darum als „Chance“ für die Zusammenarbeit.
Macron hat in seiner Gratulation zur Kanzlerwahl die Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass diese Partnerschaft „stärker denn je werden“ könne oder solle. Mehr hinter vorgehaltener Hand werden laut der Zeitung Libération aber auch besorgte Bedenken geäußert, weil Merz bei seiner Wahl aus seinem eigenen Lager einen Denkzettel und gleichsam eine Vorschusskritik erhalten habe. Die macronistische EU-Abgeordnete Valérie Hayer empfand dies auf X als „politischen Schock“.
Macron und Merz haben einige Gemeinsamkeiten
Politisch scheint der konservative Christdemokrat Merz dem Liberalen Macron zumindest in der Europa- und Sicherheitspolitik näher zu stehen als der etwas spröde Sozialdemokrat Scholz. Beide kommen zudem aus der Finanzwelt und reden die Sprache der Wirtschaft. Beide sind auch einem fremdenfeindlichen und reaktionären politischen Druck ausgesetzt, der sich nicht auf die extreme Rechte (AfD in Deutschland, RN in Frankreich) beschränkt, sondern weit in das konservative bürgerliche Lager reicht und namentlich die Migrationspolitik zu einem Streitpunkt macht.
Dass Merz Deutschland nicht länger als „Zwerg“ auf der weltpolitischen Bühne einschätzen will, passt viel eher zu Macrons internationalen Ambitionen für Frankreich und die EU. Dass das deutsch-französische „Tandem“ reibungslos rollen muss und nicht die eine oder andere Seite aus innenpolitischen Gründen ständig bremst, scheint heute gleichermaßen klar zu sein. Frankreich möchte ohne Wenn und Aber der erste und wichtigste Partner Deutschlands sein.
Aus zwei präzisen Gründen erwartet man in Paris eine Erwärmung und effizientere Kooperation: Wie Macron seit Längerem scheint auch Merz sich nach der Trump-Wende vermehrt für eine eigenständige europäische Verteidigung und eine verstärkte europäische Unabhängigkeit der Rüstungsindustrie zu engagieren.
Der französische Präsident rechnet sodann auch mit einem Entgegenkommen oder mehr Verständnis für Frankreichs Verschuldung und Haushaltspolitik, nachdem Deutschland die eigenen Regeln zur Finanzierung der Rüstung gelockert hat. Wie weit dann aber Deutschland bereit ist, es selber und für die EU-Partner bei der Haushaltsdisziplin etwas lockerer als früher zu nehmen, bleibt auch nach diesem Antrittsbesuch noch offen.
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