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Antrieb Seit Kurzem gibt es eine Milliarde Autos auf der Welt, so viele wie noch nie. Wer Alternativen sucht, stößt auf ein Problem: die Leidenschaft fürs Fahren. Kann man Autos weiter lieben und trotzdem alles besser machen? Ein BeziehungsratgeberIt must have been love

Von Ingo Arzt

Der Kongo in den Siebziger Jahren und das Potsdam von heute sind wirklich kein Vergleich. Im Kongo waren die Schlaglöcher viel tiefer, richtige Krater waren das. Da sind bisweilen ganze Trucks drin verschwunden. Einfach so, mitsamt der Ladung. Kann man sich kaum vorstellen, wenn man vierzig Jahre später einen Waldweg in Potsdam entlangheizt.

Am Steuer, damals wie heute, sitzt Hans Joachim Schellnhuber, Deutschlands bekanntester Klimaforscher. Gerade erzählt er Abenteuer aus der Jugend, sitzt dabei etwas kantig zurückgelehnt, aber doch relaxt, beide Hände am Lenkrad. In den Siebzigern kurvte er in einem VW-Käfer durch die Sahara bis in den Kongo, jetzt surrt er in einem völlig neuartigen Sportwagen über einen Waldweg nahe des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, das er leitet.

„Da kommt das alte Offroad-Feeling wieder. Wir bewegen uns gefühlt immer am Rande des Gesetzes“, sagt Schellnhuber, grinst bübisch, drückt aufs Gaspedal, oder wie auch immer das Ding zum Schnellerwerden jetzt heißt, und legt keinen anderen Gang ein.

Ja richtig, keinen anderen Gang. Wie auch? Es gibt keinen. Schellnhuber beschleunigt einen Tesla, ein Elektroauto mit sehr vielen Batterien und 332 Pferdestärken. Da wo sonst Radio und Lüftungsknöpfe sind, leuchtet ein A3-Touchpad; im Armaturenbrett flackert die Leistungsanzeige des Motors wie das unruhige EKG eines Herzkranken.

Elektroautos haben kein Getriebe, keinen Tank, und weil keine Abgase im Spiel sind, müsste die Autoindustrie das „Gaspedal“ streng genommen in „Wattpedal“ umbenennen. Schließlich erhöht man die Leistung, gemessen in Watt, wenn man draufdrückt.

Beim Tesla gibt es auch kein Motorenöl mehr. Nichts für richtige Kerle mit verschmierten Gesichtern, die unter ihren Karren liegen und ein Kupplungsseil oder eine Blattfeder austauschen. So wie Schellnhuber, der anno dazumal ständig unter seinem VW-Käfer lag. 1.600 D-Mark hat er 1973 gekostet, knallgelb, optimal für die Sahara, weil er eine Luftkühlung hatte, da kann das Kühlwasser nicht verdampfen.

Ein Versprechen, das zum Verbrechen wurde

Schellnhuber, 1950 geboren, ist in der unbeschwerten Ära der Automobilität aufgewachsen. In den Sechzigern war Fahren ein Versprechen von Freiheit. Dann kamen die Siebziger, die Ökobewegung und das Versprechen wurde zum Verbrechen. Der Klimawissenschaftler Schellnhuber hat die Diskus­sio­nen über das Wachstum und seine Grenzen seitdem nicht nur mitbekommen. Er hat die Jahrhundertdebatte in Deutschland entscheidend geprägt.

Vor Kurzem haben wir Menschen eine Schwelle überschritten: Es gibt jetzt weltweit ein Milliarde Autos, wie der Verband der Deutschen Automobilindustrie ausgerechnet hat. 2050 werden es mindestens 2,5 Milliarden, sagt die Interna­tio­na­le Energieagentur. Der pure Wahnsinn. Mit Verbrennungsmotoren nicht zu machen, das ist Standardtalk auf jeder Automesse. Wir müssen runterkommen von Benzin und Diesel. Es spricht einiges dafür, dass das klappt. Und einiges dagegen.

Eine Sache, die dagegen spricht, sind Männer, deren Liebesbeziehung zum Auto so lange gewachsen ist, dass an Trennung nicht zu denken ist. Schellnhuber kennt das Gefühl.

Hans Joachim Schellnhuber hat sich neu verliebt

„Ich weiß nicht, wie oft wir den Käfer ausgegraben haben. Wenn man in der Wüste stecken bleibt, lädt man den komplett aus, legt gelöcherte Bleche unter die Reifen und fährt raus. Das passierte ständig“, sagt er. Am Unterboden des Tesla britzeln derweil die Steinchen des Waldwegs, ein paar Äste knarzen an der Karosserie. „Da müssen Sie jetzt durch“, sagt Schellnhuber, unbeeindruckt von dem Einwurf, ein durchlöcherter Waldweg könnte möglicherweise nicht der richtige Umgang für einen Tesla sein.

Schellnhuber kann von zwei Dingen wunderbar erzählen. Davon, wie schön Autofahren sein kann. Und von den Folgen dieser Begeisterung.

„Beschleunigung ist faszinierend. Mein Sohn jauchzt, wenn ich das zelebriere“, sagt er und spricht dabei von seinem privaten Elektroauto, einem BMW i3. Ein Auto, das mit seiner eindrückten Schnauze aussieht wie der Mops unter den Sportwagen.

Und dann geht er auch schon los, der Männermonolog über die beste Automarke – also selbstverständlich die, die man selbst fährt. Sein i3 habe eine Karosserie aus extraleichten Carbonfasern. Etwas wirklich Neues – und damit eine ganz andere Liga als der Tesla. „Der Tesla ist eine typisch amerikanische Sache. Man macht, was möglich ist, und verkauft es aggressiv“, sagt er. Der Wagen sei eine Nachäffung der Autos, die wir kennen, nur eben vollgestopft mit Batterien. „Ich vermute, die Tesla-­Linie wird untergehen.“ Schellnhuber ist BMW-Fan, da macht er keinen Hehl draus.

Der Punkt ist, dass Schellnhuber selbstverständlich auch weiß, wie gefährlich sie ist: diese Liebe zum Auto. „Selbstverbrennung“ heißt sein neues Buch, weil es das ist, was die Menschheit macht, wenn sie auf der ganzen Welt Öl und Kohle verfeuert, bis das Klima kippt.

Und trotzdem ist er Optimist. Schellnhuber glaubt, dass die Menschheit ihre Selbstverbrennung verhindern kann. „In 30 Jahren werden wir natürlich elektrisch unterwegs sein“, sagt er. Elektrisches Fahren ist die einzige Form nachhaltiger Mobilität, so lange sie unbedingt individuell sein muss. Allerdings nur, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt. Mittlerweile gibt es in Frankreich, China und 13 anderen Ländern Kaufprämien für Elektroautos – bald auch in Deutschland.

Die Industrieländer pudern ihre Wirtschaft mit Steuermilliarden, zahlen den Gutverdienern eine Art Umerziehungsprämie. Norwegen will ab 2025 keine neuen Verbrennungsmotoren mehr erlauben.

Ein Anfang. Und trotzdem steht da diese Zahl: potenziell 2,5 Milliarden Autos 2050.

Denken wir also mal einen Moment darüber nach, wie sehr wir Deutschen am Auto hängen. Wie tief ein ganzes Jahrhundert automobiler Freiheit in der DNA unserer Gesellschaften steckt. Knutschen auf dem Beifahrersitz, Waschen in der Carportauffahrt. „Das Auto, das war für uns Autonomie, die Abnabelung vom Elternhaus, Freiheit“, sagt Schellnhuber.

Hans Joachim Schelln­hubers emotionaler Absprung vom Benzin begann mit der Faszination für die Alternative, dem Neuverlieben. „Ein Benzinauto stinkt, kracht, rumpelt und kann explodieren. Wenn sie dagegen mit 30 in einem E-Auto unterwegs sind fügt sich alles harmonisch zusammen. Da hat man das Gefühl: So muss sich Fahren anfühlen, wenn es richtig ist“, sagt er.

Aber muss es unbedingt wieder die alte Lust am Fahren sein? Tut es nicht auch die menschliche Vernunft?

Anruf bei Marianne Reeb, Sozialforscherin, Professorin an der Fachhochschule Potsdam und Managerin beim Automobilkonzern Daimler. Sie leitet das Team „Future, Life, Mobility“, in der Psychologen, Designer und Ingenieure arbeiten, mit Dependancen im Silicon Valley und in Peking.

Entwickelt Daimler ein neues Auto, dann ist Reebs Abteilung ganz am Anfang dabei. Sie soll beschreiben, wie die Welt in zehn Jahren aussieht, was für Wertvorstellungen die Menschen in China, den USA oder Deutschland haben werden.

Was für eine Rolle spielt Ökologie bei einer Kaufentscheidung, Frau Reeb? „Natürlich sagt jeder, den sie heute fragen, dass ihm die Umwelt wichtig ist. Allerdings ist das kaum verhaltensrelevant.“ Sie hat dafür einen wundervollen Begriff entwickelt: „Painlessly Green“. Schmerzfrei öko, frei übersetzt. Der Tesla zum Beispiel hat Erfolg, weil er einem nichts abverlangt, außer einen dicken Geldbeutel.

Wir denken an die Umwelt, solange es nicht wehtut

Reeb schätzt den Anteil der, im Fachjargon, sozialkritischen und liberal-intellektuellen Mi­lieus, die auch auf etwas verzichten, auf maximal 10 Prozent. Und die seien dann auch noch inkonsequent. Nirgends sei die Differenz zwischen geäußerten und gelebten Wertvorstellungen so groß wie beim Thema Umwelt, sagt sie.

Nun gut, Reeb arbeitet für einen Autokonzern, der unentwegt Luxuskarossen als Ökospaß verkauft. Aber sie sagt: „Glauben Sie mir, wir haben einen brutalen Wettbewerb. Wenn man uns das reine Ökoauto aus der Hand reißen würde, dann würde es jeder bauen.“

Autokäufer sind Maulhelden in Sachen Umwelt. Sie ändern ihr Verhalten nicht. 2014 ist hierzulande so viel Auto gefahren worden wie noch nie zuvor.

Deshalb ist es auch so schön billig, im Dieselskandal einfach auf die Hersteller zu schimpfen. Natürlich ist es obszön, wenn VW-Motoren mit Schummelsoftware ausstattet. Aber leider besteht die ganze Nation aus Ökoheuchlern. Nehmen wir die Behörden: Seit dem Jahr 2000 steht jedes Jahr, schwarz auf weiß, mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden erhoben im „Handbuch der Emissionsfaktoren“, veröffentlicht vom Umweltbundesamt, dass Dieselfahrzeuge ein Vielfaches dessen an Schadstoffen und Klimagasen ausstoßen, was die Hersteller behaupten. Interessiert hat es niemanden, bis die US-Behörden die Betrugssoftware nachgewiesen haben.

Und was sorgt die Autofahrer selbst wohl im Zuge des Diesel-Abgasskandals am meisten: Wie umweltschädlich ihr Wagen ist? Nein, sagt der ADAC, der abgeschätzt hat, mit welchen Fragen Autofahrer sich im Dieselskandal am häufigsten an den Verband wenden. Ganz vorn: das richtige Verhalten beim Rückruf eines Fahrzeugs, Sorgen um den Wiederverkaufswert der Autos, die Frage, ob Fahrverbote in den Innenstädten drohen.

Übrigens hat VW in den ersten drei Monaten 2016 seinen Verkauf in Europa und Deutschland, den vom Diesel-Skandal am stärksten betroffenen Re­gio­nen, gesteigert.

Mit einem reinen Appell ans Umweltbewusstsein wird das also offensichtlich nichts mit der Mobilitätswende. Es bringt wenig, darauf zu hoffen, dass all die Autoverliebten zur Vernunft kommen. Dass alle, die in eingefahrenen Zweckehen zum Familienwagen stecken, ihre Routinen ändern. Für die Verliebten braucht man ein neues Gefühl, wie die Euphorie von Schellnhuber in seinem BMW i3. Und für die Routinierten braucht man schlicht eine Lösung, die besser funktioniert, als der Alltag mit eigenem Wagen.

Vor einiger Zeit geisterte die Behauptung durch die Medien, das Auto werde immer unwichtiger für junge Menschen. Die würden lieber ohne Auto leben als ohne Handy. Das könnte den angenehmen Nebeneffekt haben, dass sie das Klima retten. Das deckt sich zwar nicht ganz mit anderen Umfragen, nach denen die Bedeutung des Autos als Statussymbol immer noch hoch ist. Aber immerhin zeigt die Auto-Trendkurve nach unten.

Eine, die jederzeit ohne Wagen, aber schwerlich ohne Han­dy leben könnte, ist Leonie Müller. Für Autokonzerne könnte es zukunftssichernd sein, ihr zuzuhören. Sie hat sich im letzten Jahr viele Gedanken darüber gemacht, wie wir künftig von einem Ort zum anderen kommen. Momentan schreibt sie neben ihrer Bachelorarbeit ein Buch über die Zukunft der Mobilität, diskutiert auf Kongressen mit Vertretern der Autoindustrie und war in vielen Medien mit ihrer Geschichte: 23-jährige Studentin der Me­dien­wissenschaften und Soziologie, obdachlos, aber mit Bahncard 100, wohnt im Zug.

Dort kann man sie treffen. Wenn sie durch die Tür eines ICEs geht, dann kommt sie nach Hause. Der typische Geruch des Teppichs, kaum zu beschreiben, aber sie hat ihn schon vorher in der Nase. Wie der Geruch eines Menschen, den man gern hat. Sie hat daheim, im Zug, ihre gemütlichen Routinen: Rein, Platz suchen, die teuren Kopfhörer auf, die alles Brummen und Knarzen wegfiltern, Brille ab. Laptop auf. Setzen wir uns neben sie.

Leonie Müller istim ICE zu Hause

„Heute riecht es irgendwie nach Bratfett“, sagt sie. Jemand hat Fastfood mitgebracht. „Willkommen im ICE der Deutschen Bahn“, sagt eine Stimme aus dem Lautsprecher.

Ihre Geschichte ist medial etwas übertrieben worden. Sie übernachtet eigentlich bei Freunden und Familie, zahlt deshalb keine Miete und hat sich vom Ersparten eine Bahncard 100 gekauft. Darüber hat sie gebloggt und, nachdem ein Radiosender über das Leben in Zügen interviewt hatte, stand sie zwei Wochen später sogar in der Washington Post. Seit über einem Jahr fährt sie jetzt durch die Republik.

Wann ist sie zum letzten Mal Auto gefahren?

„Gestern, mit dem Golf meiner Mutter.“

Was für ein Golf?

„Keine Ahnung. So ein langer“, sagt sie und denkt angestrengt nach, ob das nun ein Dreier-, Vierer, Fünfer-Golf war, oder wie viele es davon gibt. Es spielt auch keine Rolle. Sie hat eben ein Transportmittel benutzt.

So ein wirklich prägendes Erlebnis mit einem Auto, so wie Schellnhuber mit seinen gelben Käfer, gibt es bei ihr nicht. Oder doch, eine Sache fällt ihr ein: Es gab da mal einen Audi Q7, das ist so eine Mischung aus Gelände- und Sportwagen, ein Sport Utility Vehicle, kurz SUV. Es-ju-wi gesprochen, gern zitiertes Symbol für die Verlogenheit umweltbewusster Menschen, die, so steht’s in jedem Ökobashing-Artikel, angeblich vornehmlich in Berlin mit diesen spritschluckenden Großstadtpanzern vor Biosupermärkten vorfahren, um die Welt zu retten. Man kann in Berlin fragen, wen man will, niemand hat je einen SUV vor einem Biosupermarkt gesehen, aber das Gerücht hält sich hartnäckig.

Jedenfalls unternahm Leonie Müller in der 9. Klasse einen Schulausflug in das Audiwerk nach Ingolstadt, und dort präsentierte die Firmenvertreter den Schülern einen gelben Audi Q7. „Und auf dem Rückweg haben die Jungs im Bus die ganze Zeit gesungen: We all live in a yellow Audi Q7“, erzählt sie. Es ist das einzige Mal, dass sie sich den genauen Modellnamen eines Auto gemerkt hat. Sie kann selbstverständlich ein iPhone 4 von einem iPhone 6 unterscheiden.

Die Soziologen Weert Canzler und Andreas Knie haben dem Thema ein kürzlich erschienenes Buch gewidmet: „Die digitale Mobilitätsrevolution – Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten“. Die Grundthese ist, dass es vor allem die Digitalisierung ist, die unsere Mobilität bereits jetzt grundlegend verändert – es merkt nur kaum einer. Wer Carsharing nutzt, kennt es: Die Marke eines Fahrzeugs ist total egal. Genutzt wird das Auto, das auf einer Karte auf dem Smartphone aufblinkt.

„Was nicht digital nutzbar ist, existiert einfach nicht mehr“, schreiben Canzler und Knie. Statt Marke oder technischer Ausstattung geht es um „Slots“, also Zeitfenster, in denen jemand von A nach B will. Was schnell und günstig ist, wird genommen, ein Zug, ein Car­sharing-Wagen, ein Rad.

Bei der Begegnung mit Leonie Müller ist interessant, was sie nicht sagt. In zwei Stunden Gespräch darüber, wie sie sich künftig Mobilität vorstellt, fällt ein Wort nur ein einziges Mal: Umwelt. Darauf angesprochen sagt sie, das sei doch völlig klar. Dass es möglichst ökologisch sein soll und sowieso elektrisch. Falls Müller die Jugend ist, dann gibt es die Kategorie Benzin einfach nicht mehr.

Was wird aus dem Gefühl? „Diese Autofreiheit, der große Männlichkeitsmythos, den muss man wohl für alle Zeiten begraben“Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher

Daimler-Forscherin Marian-ne Reeb überrascht das nicht weiter. Die junge Generation sei mit dem Thema Umwelt aufgewachsen und zum Teil von den Eltern damit genervt worden, sagt sie. Es gehöre dazu, aber vom Auto wegbringen würden sie andere Themen. „Die ärgern sich eher, wenn die Stadt mit Autos zugestellt ist, als darüber, dass die Polkappen schmelzen.“

Spricht man mit Reeb, wird klar, dass die Autobauer diese Generation sehr gut verstanden haben. Nur verdienen sie gutes Geld mit dem alten Geschäftsmodell: dem eigenen Auto.

Grundsätzlich wäre natürlich viel gewonnen, würden die alle elektrisch fahren. Aber angesichts des Verbrauchs an Ressourcen und Energie allein für die Produktion und Infrastruktur ist klar, dass das nicht reicht. Und wenn die Menschen nicht aus Vernunft verzichten, dann müssen ihnen weniger Autos eben Spaß machen und praktisch sein. Solche Angebote gibt es nur, wenn der Staat die Regeln dazu macht.

Leonie Müller ist bei mehreren Carsharing-Diensten angemeldet. Sie hat die schöne Idee, dass man die Mietwagen doch personalisieren könnte. Bucht man ein Auto, könnte es sich doch gleich auf den neuen Fahrer einstellen. Sitze und Spiegel in die richtige Höhe, die Playlist aus dem Smartphone übernehmen.

Google propagiert die Freiheit, nicht zu fahren

Klar, schon in Planung, sagt Marianne Reeb von Daimler. Steht ganz oben auf ihrer Liste.

Die Autozukunft

Gegenwart: In Deutschland sind 45.100.000 Pkws unterwegs, so viel wie nie. Davon 55.000 Elektroautos. Eingerechnet sind die Hybriden, die auch Benzinmotoren haben. Weltweit gibt es knapp über 1 Milliarde Pkws, 1,27 Millionen davon sind E- und Hybrid-Autos. Weltspitzenreiter: China. Deutsche Hersteller bieten 7 Elektroautos an, dazu 22 Hybriden.

Entwicklung: Wie es weitergeht, hängt von staatlicher Regulierung ab: E-Auto-Förderung, CO2-Steuern. 2050 könnten es, optimistisch gesehen, laut Internationaler Energieagentur 2,5 Milliarden Autos weltweit sein, der Großteil elektrisch. Pessimistisch, 3 Mil­liar­den Benziner plus Klimakollaps.

Alternativen: Derzeit gibt es 16.500 Carsharing-Fahrzeuge in Deutschland, rund 1,2 Millionen Nutzer. Laut McKinsey könnten 2030 weltweit 10 Prozent der Neuwagen geteilt werde. Das würde das Pkw-Wachstum aber nur leicht bremsen.

Heute kaufen tatsächlich weniger junge Erwachsene ein Auto, gerade in Städten. Viel davon ist aber darauf zurückzuführen, dass sie später Geld verdienen und später Kinder bekommen als frühere Generationen. Wie viel des Verzichts von Ökobewusstsein und wie viel von Pragmatismus abhängt, weiß niemand. Aber die Kombination aus beiden könnte der Schlüssel sein. Vieles hängt davon ab, dass staatliche Regularien die Wirtschaft dazu bringen, das richtige Angebot zu machen.

Und so kommen auch die Innovationen in der Autoindus­trie gerade von Firmen, die unsere Alltagsroutinen und Bedürfnisse so genau analysieren wie kaum eine andere Branche. Im Silicon Valley tüfteln Google und Apple bekanntlich an einem autonom fahrenden Elektroauto. Als Google im September 2015 auf dem Dach eines Büros in Kalifornien sein selbstfahrendes Google-Auto präsentiert, wird die Kleinigkeit, dass es sich um ein Elektroauto handelt, kein einziges Mal erwähnt. Das ist für die, die das Auto heute neu erfinden wollen, schlicht so selbstverständlich wie für Leonie Müller.

Autonomes Fahren hat das Zeug den Individualverkehr genussvoll zu verringern. Reinsetzen, Kopfhörer auf, lesen. An der Endstation raus aus dem Zug, dann in einem selbst fahrenden Taxi bis vor die Haustür. So stellt sich das Leonie Müller vor. Ein Algorithmus sucht aus allen Fahrtanfragen passende Mitfahrer aus und sorgt dafür, dass Autos nicht halbleer durch die Gegend fahren.

Google und Apple sind Großkonzerne, die Geld verdienen wollen, mit unseren Daten, mit ihrer Technik – und haben ziemlich gute PR-Abteilungen, die daraus die große Story von den Weltrettern aus dem Valley strickt.

Dennoch ist es ein Modell, das die hässliche Zahl von 2,5 Mil­liar­den Autos 2050 kräftig kürzen könnte. Es ist übrigens nicht so, dass die deutsche Autoindustrie den Trend verschlafen würde. Jeder Konzern investiert Milliarden in autonomes Fahren. Allerdings sitzt in ihrer Version immer noch ein Mensch am Steuer und der Roboter unterstützt nur. Google dagegen propagiert nicht die Freude am Fahren – sondern die Freude am Nicht-Fahren. Das Googlecar hat kein Lenkrad.

Es gibt eine Tonne Studien zur Zukunft des Autos, und eines haben sie alle gemeinsam: Sie propagieren neue, zusätzliche Märkte durch Carsharing und autonomes Elektrofahren. Nicht eine Studie sagt vorher, dass weniger Autos verkauft werden könnten. Was die eigentliche Wende wäre.

Dass gerade das Leben ohne eigenes Auto Genuss bedeuten kann, hat Hans Joachim Schellnhuber in Venedig gelernt. „Das ultimative Lebensgefühl ist doch: von einem Vaporetto zum anderen, ohne Auto“, sagt er im Tesla. Er ist fasziniert von Städten wie Kopenhagen, die sich langsam ganz vom Auto verabschieden.

Und was wird dann aus dem Sahara-Feeling? Mann und Auto, einsam in der Natur?

„Diese Autofreiheit, der große Männlichkeitsmythos, den muss man wohl für alle Zeiten begraben“, sagt Schellnhuber.

Wobei: Vielleicht kann man den Mythos gelegentlich mal noch sharen. So macht er das manchmal. Auf dem Weg nach Santa Fe, wo Schellnhuber einen Lehrauftrag hat. Dann mietet er sich einen Wagen, fährt die Rocky Mountains entlang und genießt noch mal dieses Easy-Rider-Feeling: „Wie damals in der Sahara: Da war es eine 20 Kilometer breite Piste, der Horizont flimmerte in der Hitze, und wir haben The Kinks gehört. ‚Sunny Afternoon‘.“

Aber dann, angekommen in Santa Fe, gibt er den Autoschlüssel zurück.

Ingo Arzt, 38, ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt der taz. Sein erstes Auto war ein goldener Zweier-Golf, den er Arnie nannte. Die Trennung war schmerzhaft. Heute ist er glücklich mit seinem Fahrrad

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