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Antiziganismus in DeutschlandSchiefe Blicke und Racial Profiling

Dienstagmittag werden Untersuchungsergebnisse der Kommission Antiziganismus vorgestellt. Erschreckende Details aus dem Bericht sind schon bekannt.

Kundgebung der Sinti- und Romainitiativen auf der Romaday-Parade Foto: Stefan Boness

Berlin taz Da wäre zum Beispiel die Frau, die mit ihrem Ex-Mann und den zwei Kindern an einer Raststätte in eine Polizeikontrolle geriet. Beamte hätten ihren damaligen Mann mit Maschinengewehren aus dem Auto geholt, die Kinder hätten geheult. „Ihr seid Zigeuner“, habe es geheißen. „Wir wurden behandelt, als wär'n wir richtige Verbrecher.“ Die Bilder hätten ihre inzwischen erwachsenen Kinder heute noch vor Augen, erzählt die Frau.

Antiziganismus – spezifischer Rassismus gegen Sin­ti:­ze und Rom:­nja – ist in Deutschland weit verbreitet. Eine elfköpfige Kommission, besetzt mit Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Expert:innen, hat im Auftrag der Bundesregierung zwei Jahre lang an einer Bestandsaufnahme des Phänomens gearbeitet. Ihr 501 Seiten umfassender Bericht liefert teils bedrückende Erkenntnisse.

Zum Beispiel belegten Studien, dass Sin­ti:­ze oder Rom:­nja bis heute von Racial Profiling betroffen seien, dass sie also von Po­li­zis­t:in­nen aufgrund ihres Aussehens häufiger als verdächtig eingeschätzt werden als weiße Personen, heißt es in dem Bericht. Betroffene berichteten von überdurchschnittlich häufigen Kontrollen im öffentlichen Raum – und von völlig überzogenen Polizeieinsätzen.

Nicht nur die erwähnte Frau wird zitiert, auch ein Betroffener, der sich beim Roma Büro Freiburg gemeldet hat. Egal, ob man mit dem Fahrrad, dem Roller oder dem Auto unterwegs sei: „Wenn du dunkel bist, also ‚Zigeuner‘, Araber, Schwarzer oder so, wirst du angehalten und oft so total kontrolliert, als ob du gerade geklaut, ne Knarre im Hosenbund, Koks im Socken, Schwarzgeld in der Unterhose und gefälschte Pässe im Arsch hättest.“ Es sei wie ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre.

Herabwürdigungen oder Getuschel

Der Bericht zitiert eine Studie, die Rassismuserfahrungen von Sin­ti:­ze oder Rom:­nja im Alltag untersucht hat. Ein Großteil der Erfahrungen im öffentlichen Raum nehme nonverbale Kommunikation ein – also etwa Blicke, Herabwürdigungen oder Getuschel. In öffentlichen Verkehrsmitteln würden sie angestarrt, beim Betreten von Restaurants spöttisch betrachtet, in Einkaufsläden stünden sie unter Beobachtung. Aber auch körperliche Gewalt oder Anschläge seien zu beobachten.

Eine Betroffene berichtete, dass sie stets die Ärmel hochkrempelt und ihren Einkaufskorb sowie die Artikel sichtbar für alle hält, um Situationen zuvorzukommen, in denen sie des Diebstahls bezichtigt wird. Der Bericht der Kommission macht eindringlich klar, dass Diskriminierungen in allen Lebensbereichen vorkommen – in der Schule, später bei der Wohnungssuche oder in der Arbeitswelt.

Auch die Berichterstattung von Medien spiele eine Rolle bei der Reproduktion antiziganistischer Vorurteile, heißt es in dem Bericht weiter. „Antiziganismus ist in deutschen Medien weit verbreitet und nimmt eine Vielzahl an Formen an.“ Wenn etwa über klassische Armutsphänomene wie Betteln oder Kleinkriminalität berichtet werde, würden soziale Verhältnisse ausgeblendet und Phänomene stattdessen ethnisiert und einer als homogen wahrgenommenen Gruppe ‚der Roma‘ zugeschrieben. „Damit wird zugleich ein vermeintlich unüberwindbarer Konflikt zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘ heraufbeschworen.“

Ausführlich widmen sich die Au­to­r:in­nen auch dem deutschen Asyl- und Bleiberecht – und weisen nach, wie sehr dieses von antiziganistischen Vorurteilen geprägt wurde. Beispiele sind die Einordnung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als so genannte Sichere Herkunftsstaaten im Jahr 2014, oder die von Albanien, Montenegro und dem Kosovo im Jahr 2015.

Diskriminierende Asylrechtsverschärfungen

Mit den Gesetzesänderungen werde generell vermutet, dass Menschen aus diesen Staaten keiner Verfolgung und keinen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt seien. „Eine solche Vermutung ist aus flüchtlings- und menschenrechtlicher Perspektive nicht nachvollziehbar und überdies nicht haltbar, was umso mehr gilt, wenn man die menschenrechtliche Situation insbesondere von Rom:­nja in diesen Staaten in den Blick nimmt.“

Der Bericht ordnet Antiziganismus auch historisch ein, stellt etwa den Kontext zur Nazizeit her, während der Sin­ti:­ze und Rom­n:ja systematisch verfolgt und ermordet wurden. Und der Bericht belässt es nicht bei der oft deprimierenden Darstellung der Realität. Für jeden Bereich geben die Au­to­r:in­nen Handlungsempfehlungen, wie sich Diskriminierungen reduzieren lassen.

So empfiehlt die Kommission zum Beispiel der Bundesregierung, die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Geduldete zu erleichtern – und klarzustellen, dass in Deutschland lebende Rom:­nja „als eine aus historischen und humanitären Gründen besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind.“

Landesregierungen müssten durch Erlasse sicherstellen, dass die Praxis von Kettenduldungen beendet und unterschiedliche Möglichkeiten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis genutzt würden. Abschiebungen von Rom:­nja müssten sofort beendet, die Einstufung der erwähnten Länder als Sichere Herkunftsstaaten zurückgenommen werden.

Was davon politisch umgesetzt wird, ist eine andere Frage.

Aktualisiert am 13.07.2021 d. R.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Als ich die ersten Sätze las, dachte ich, es werde über einen Vorfall in der Zeit des Nationalsozialismus berichtet.

  • Mir ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Kommission so stark auf das Asylrecht abzielt.

    Dank der Westbalkanregelung ist es für Roma viel günstiger, als Arbeitnehmer nach Deutschland zu kommen.

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    Der Artikel vergißt zu erwähnen, daß die deutschen (!) Sinti und Roma als „nationale Minderheit“ unter das „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ des Europarates von 1995, in Kraft getreten 1998 fallen, sofern sie die entsprechenden Kriterien erfüllen: (1) die Angehörigen sind deutsche Staatsangehörige, (2) sie unterscheiden sich vom Mehrheitsvolk durch eigene Sprache, Kultur und Geschichte, also durch eine eigene Identität, (3) sie wollen diese Identität bewahren, (4) sie sind traditionell in Deutschland heimisch, (5) sie leben in angestammten Siedlungsgebieten.



    Unterschiedslos von „den Sinti und Roma“ in Deitschland zu sprechen ist als nicht richtig.

  • Studien und Bezeichnungen für diese Menschen sind ja ganz nett, verbessern die Situation dieser Menschen nicht. Deutschland steht ihnen gegenüber in einer besonderen Verantwortung, der Deutschland gerecht werden muss. Es geht um bessere Wohnbedingungen und soziale Absicherung. Das hätte wirklich mehr als nur symbolische Bedeutung.

    p.s. und natürlich auch sichere und dauerhafte Bleibemöglichkeiten mit vollumfänglichen Familiennachzugs. Und Abschiebungen? Sicher nicht.

    • @V M:

      In den Studien und auch in dem Bericht der Kommission geht es ja um weitaus mehr als Verbesserung von Bezeichnungen und Symbolpolitik. Rom:nja und Sinti:zze kommen endlich dank der community basierten Studien selbst zu Wort und können sowohl ihre Rassismuserfahrungen als auch in der Empowermentstudie zu Selbstorganisationen ihre konkreten politischen und strukturellen Analysen sowie Empfehlungen zu Verbesserung der Lage zusammengefasst formulieren. Die Empfehlungen der Kommission gründen also auf jahrzehntelange Erfahrungswerte der Interviewpartner:innen aus den Studien und sind eine sehr gute Grundlage für weitergehende Veränderungen- das können Studien leisten und danach sind die Politik, die Zivilgesellschaft, die Selbstorganisationen gefragt diese Erkenntnisse und Empfehlungen zu nutzen bzw. zu realisieren.

  • "Wenn etwa über klassische Armutsphänomene wie Betteln oder Kleinkriminalität berichtet werde..."



    Man sollte hier nicht zu sehr vereinfachen. Ob Menschen soziale Normen akzeptieren, ist unabhängig vom Einkommen zu betrachten.

    • @PS007:

      Das stimmt; siehe die Verwandtenaffäre der CSU in Bayern.