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Antiziganismus in BerlinTief sitzende Vorurteile

Antiziganistische Vorfälle haben in Berlin einen neuen Höchststand erreicht, wie ein neuer Bericht belegt. Frauen sind besonders stark betroffen.

Jedes Jahr ein neuer Höchststand – Violeta Balog, Projektleiterin bei Dosta, sieht die Politik in der Pflicht Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Berlin taz | Eine Schülerin wird von einem Mitschüler geschlagen. Als eine Mitarbeiterin des Jugendamts davon erfährt, sagt sie: „Ein bisschen Gewalt kennt das Mädchen sicher aus ihrer Familie, wenn sie aus Rumänien kommt.“ Einer jungen Mutter wird von der Mitarbeiterin ihrer Unterkunft nahegelegt abzutreiben, weil sie schon zu viele in der Familie seien. Eine Romni sammelt Pfandflaschen und wird auf der Straße von einer Frau angegriffen. Sie erleidet so schwere Knieverletzungen, dass sie operiert werden muss.

Das sind nur drei Beispiele von antiziganistischen Vorfällen aus dem vergangenen Jahr, die die Dokumentationsstelle Antiziganismus (Dosta) des Vereins Amaro Foro am Dienstag vorgestellt hat. In ihrem Jahresbericht 2024 verzeichnet der Verein mit 247 Vorfällen einen neuen Höchststand seit Beginn des Projekts 2014. Im Jahr zuvor waren es 210 dokumentierte Fälle.

Die meisten Vorfälle ereigneten sich demnach bei Kontakt zu Behörden (49), im Bildungsbereich (47) und in der Öffentlichkeit (45). Aber auch in den Bereichen Polizei, Justiz, Wohnen, Arbeit und medizinischer Versorgung kam es zu Diskriminierung. Insgesamt wurden in den vergangenen zehn Jahren 1.749 antiziganistische Fälle dokumentiert.

„Wir erleben derzeit eine politische Lage, in der rechtsradikale Einstellungen in der gesellschaftlichen Mitte offen kommuniziert und gelebt werden, was sich in den Fallmeldungen widerspiegelt“, so Projektleiterin Violeta Balog. Zum ersten Mal habe man daher auch den Bereich Politik aufgenommen und neun rassistisch geprägte politische Debatten dokumentiert.

Als Beispiel führt Dosta eine öffentliche Anhörung im Abgeordnetenhaus an, bei der AfD-Politiker Sin­ti*z­ze und Rom*­nja als „Bettelbanden“ bezeichneten und fragten, ob „Straftaten dieser Volksgruppe gegen die Berliner Bevölkerung“ auch dokumentiert würden.

Behörden unterstellen kriminelle Absichten

Auch Behörden würden Rom*­nja oft kriminelle Absichten unterstellen, sagt Projektmitarbeiterin Valerie Laukat. Die mit Abstand meisten Vorfälle gebe es beim Jobcenter, aber auch bei der Wohngeldbehörde und dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) sei Antiziganismus weit verbreitet. So würde Rom*­nja häufig Sozialleistungsmissbrauch oder Scheinarbeitsverhältnisse unterstellt. Die Bearbeitungszeiten für die Anträge dauerten häufig unverhältnismäßig lange, was sich für die Betroffenen existenzbedrohlich auswirken könne, so Laukat.

Als Beispiel nennt Dosta den Fall einer jungen Mutter, die bei der Antragstellung für die Schwangerschaftsausstattung von einem Mitarbeiter des Gesundheitsamts gefragt wurde: „Warum brauchen sie das Geld, reicht Ihnen die Ausstattung vom Jobcenter nicht oder kaufen Sie sich dann ein Auto?“ Laukat kritisiert: „Bei den meisten Fällen handelt es sich um existenzsichernde Leistungen, auf die die Menschen einen Anspruch haben.“

Romnja wird beim Arzt ungefragt Informationen zur Sterilisation vorgelegt

Frauen sind laut Dosta besonders häufig von Antiziganismus betroffen. „Das sind jahrhundertealte Stereotype, die tief verankert sind und auch ausgelebt werden“, so Laukat. So bekämen junge Romnja beim Arzt etwa ungefragt Informationen zur Sterilisation vorgelegt. Vor dem Hintergrund, dass Rom*­nja in der NS-Zeit zwangssterilisiert wurden, sei das „unerträglich und inakzeptabel“.

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1 Kommentar

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  • "Ein bisschen Gewalt kennt das Mädchen sicher aus ihrer Familie, wenn sie aus Rumänien kommt.“

    Wo ist da der Antiziganismus?

    Ich erkenne da Rumänenfeindlichkeit.