Antiukrainische Stimmung in Polen: Militärhilfen ja, Kindergeld nein
In Polen kippt die Stimmung gegenüber den ukrainischen Geflüchteten. Doch beim Thema Sicherheit steht das Land weiterhin geschlossen hinter Kyjiw.

Umfragen wie etwa das polnisch-ukrainische Sympathiethermometer zeigen eine Abkühlung in der gegenseitigen Wahrnehmung. Nur beim Thema „Militärhilfe für die Ukraine“ sind sich die meisten Polen einig: Diese solle unbedingt weiter geleistet werden – allein schon, um einer Eskalation des Krieges durch Russlands Präsident Wladimir Putin und einem Überfall auf Polen vorzubeugen.
Man kenne natürlich diese Umfragen, sagt der Ukrainer Oleksandr Pestrykov. Der Historiker arbeitet bereits seit zehn Jahren als Experte für polnisch-ukrainische Beziehungen in der Stiftung „Ukrainisches Haus“ in Warschau. „Aber uns macht etwas anderes größere Sorgen“, betont er. Der Verein „Nigdy Wieej – Nie wieder“ gebe jedes Jahr ein sogenanntes Braunbuch für Polen heraus. Es sammelt gewalttätige Vorfälle: „Allein in den letzten zwei Jahren wurden Ukrainer in Polen rund 400 Mal angegriffen, krankenhausreif geschlagen oder bedroht“, sagt er. Auch die ukrainische Stiftung, die es bereits seit 15 Jahren gibt, bleibt von diesen Attacken nicht verschont.
Der vor einem Jahr mit blauer Farbe auf die Eingangstür gesprühte Galgen ist zwar nicht mehr zu sehen, aber der Täter konnte bislang nicht gefasst werden. „Ob uns da wirklich jemand mit dem Tod drohen wollte, wissen wir nicht“, erklärt Pestrykov. „Unsere Stiftung befindet sich auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos. Leider werden hier schon mal Galgen und Hakenkreuze an die Häuserwände geschmiert“, erläutert er. Aber vielleicht sei es auch kein Antisemit gewesen, der sich in der Haustür geirrt habe – sondern ein russischer Provokateur, der einen Keil zwischen Ukrainer und Polen treiben wollte. Und damit, sagt er, habe die Stiftung ständig zu tun.
Die Geister der Vergangenheit als Propagandamaterial
Auf seinem Laptop zeigt er die Internetseite der Stiftung und deutet auf das Foto einer anderen antiukrainischen Schmiererei: „Hier hatte jemand auf unsere Hauswand gesprüht ‚Wolhynien ist ukrainisch‘ und dazu die rot-schwarze Flagge der UPA, also der Ukrainischen Aufstandsarmee.“ Das Graffito bezieht sich auf die Massenmorde an rund 100.000 Polen durch ukrainische Soldaten im Kriegsjahr 1943.
Das sei besonders perfide gewesen, sagt er, denn die meisten Ukrainer würden diese Taten heute als verbrecherisch und falsch verurteilen. „Unsere Nachbarn hier in Warschau und viele bisherige Freunde nahmen das aber für bare Münze. Sie dachten, dass wir die damalige Nazi-Kollaboration einiger UPA-Einheiten positiv bewerten würden“, stöhnt er. Und fährt fort: „Sie warfen uns vor, dass Putins geplante ‚Entnazifizierung‘ der Ukraine vielleicht doch nicht so falsch sei.“
Er klappt den Laptop zu. Die Stiftung habe große Mühe gehabt, das wieder zurechtzurücken. „Wolhynien liegt heute auf dem Gebiet von drei Staaten – der Ukraine, Polens und von Belarus“, erklärt er. „Wir erkennen die Nachkriegsordnung an, haben seit unserer Unabhängigkeit kein Nachbarland überfallen und planen das auch nicht.“ Pestrykov schüttelt den Kopf. Russland hingegen habe die Ukraine attackiert, um das alte Sowjetreich wiederherzustellen.
Fake-Brief fällt auf fruchtbaren Boden
Eine Kampagne betraf das Ukrainische Haus direkt: Es gab einen Fake-Brief, dem Ukrainischen Haus zugeschrieben, der auf einer Wahlveranstaltung für den polnischen Präsidentschaftskandidaten und derzeitigen Warschauer Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski Werbung machen sollte. Ganz sicher, sagt er, sei dieser eine russische Provokation gewesen: „In einem der Briefe, die uns aus verschiedenen Städten in Polen zugeschickt wurden, stand das Wort „Bürgermeister“ auf Russisch und in kyrillischer Schrift“, so Pestrykov. Da habe wohl jemand den Brief im Internet automatisch übersetzen lassen, und aus irgendeinem Grund sei das eine Wort im Original stehengeblieben.
„In der Stadt Łańcut in Südostpolen kursierte dann sofort das Gerücht, dass die Anhänger des UPA-Anführers Stepan Bandera hinter Trzaskowski stünden und der Oberbürgermeister von Warschau kein polnischer Patriot, sondern ein Verräter sei.“ Er schlägt sich die Hände vors Gesicht: „Stepan Bandera war ein ukrainischer Nationalist, der aber während der Wolhynien-Massaker an den Polen schon in einem deutschen Konzentrationslager saß!“
Pestrykov, der die polnische Staatsbürgerschaft beantragt hat, schüttelt wieder den Kopf: „Wie kann man so leichtgläubig sein? Da reichen ein paar negative Stereotype, und schon fällt die böse Saat auf einen fruchtbaren Boden.“ Mit der gleichen „Verräter-Masche“, die jetzt Trzaskowski schaden solle, müsse ja auch immer wieder Premier Donald Tusk kämpfen, der angeblich ein Mann Berlins und auch ein Verräter sein solle.
Rechte schüren Ressentiments
Polen werde schon seit längerer Zeit mit einem Cyberkrieg aus dem Osten überzogen, gegen den die Sicherheitskräfte nur schwer ankämen, sagt Pestrykov. Im Internet kursieren immer mehr Hasskommentare gegen die angeblich kriminellen, korrupten oder kranken Geflüchteten und Migranten. Allein 2024 kamen bis zu 74 Millionen Social-Media-User in Polen in Kontakt mit Fake News oder Hass-Posts über Ukrainer und Ukrainerinnen, zählte das Recherche-Portal Oko.Press in Warschau.
Oleksandr Pestrykov, Historiker
Rechte Gewerkschaften und Parteien wie die Recht und Gerechtigkeit (PiS), die bis Ende 2023 die Regierung in Polen stellte, schüren zusätzlich den sozialen Neid. Auch die einst berühmte, aber jüngst nach rechts abgedriftete Gewerkschaft Solidarność reite diese Welle. Rechte organisieren außerdem Grenzblockaden und behaupten, dass ukrainische Waren den EU-Standards nicht genügen müssten – und so auf den polnischen Tellern minderwertiges Obst, Gemüse und Fleisch aus der Ukraine lande. Das hat Einfluss auf die Stimmung im Lande.
Viele Politiker in Polen richten ihre politischen Äußerungen stark an der Mehrheitsmeinung der Gesellschaft aus. Und so fordert inzwischen sogar Trzaskowski, der Favorit unter den Präsidentschaftskandidaten, dass ukrainische Eltern kein Kindergeld mehr bekommen sollten, wenn sie nicht in Polen arbeiteten und auch Steuern bezahlten. Pestrykov sagt: „Das verschlechtert leider auch die Stimmung uns gegenüber. Aber in der Praxis hätte ein solches Gesetz fast keine Auswirkungen.“
Denn es arbeiteten ja bereits 70 bis 80 Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Polen. Und für die anderen würden oft Ausnahmen gelten, etwa wegen Krankheit oder Behinderung. Und älteren geflüchteten Ukrainern werde die Rente sowieso nicht vom polnischen Staat, sondern vom ukrainischen ausgezahlt.
Der Status als Arbeitsmigrant erscheint vielen besser
„Allerdings haben nun rechte Parteien im Parlament Gesetzesprojekte eingereicht, die den Ukrainern – und nur ihnen als einziger Geflüchtetengruppe – sämtliche Sozialleistungen streichen sollen.“ Sobald das Gesetzesprojekt veröffentlicht sei, werde das Ukrainische Haus offiziell dazu Stellung nehmen.
„Dabei hat der polnische Staat ohnehin schon fast alle Sozialleistungen gestrichen. Es gibt kein Begrüßungsgeld mehr, keinen Wohnungs- oder Essenszuschuss, keine Arbeitslosenhilfe, nur noch Kindergeld in Höhe von 800 Zloty (knapp 200 Euro) pro Monat bis zum 18. Lebensjahr, Schulausbildung und ärztliche Versorgung.“ Wer nicht arbeite, habe kein Geld oder bekomme monatliche Beträge von der Familie aus der Ukraine geschickt, um sich in Polen über Wasser halten zu können.
Der Trend unter den Ukrainern in Polen – neuesten Statistiken zufolge sind es nur noch knapp 2 Millionen – gehe dahin, den Status „Geflüchteter“ loszuwerden. Und stattdessen den Status „Arbeitsmigrant“ oder „-migrantin“ zu erwerben. „Das hat mit dem Arbeitskult in Polen zu tun“, so Pestrykov. „Während die Migranten meist schwer arbeiten, oft in Krankenhäusern, in der Altenbetreuung oder auch auf dem Bau, Steuern zahlen und sich zu integrieren versuchen, liegen die Geflüchteten angeblich den polnischen Steuerzahlern auf der Tasche – so die allgemeine Vorstellung bei vielen Polen.“
Die Zahl der Geflüchteten, erklärt der Historiker Pestrykov, sinke weiter – während die Zahl der Arbeitsmigranten aus der Ukraine kontinuierlich steige.
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