Antisemitismus unter Coronaleugnern: Kitt der Demonstranten
Unter Relativierungen wie „Covidioten“ wächst eine gefährliche Bewegung heran. Sie bildet den Nährboden für antisemitische Gewalt.
E ine Demokratie lebt vom Widerspruch. Auch außerparlamentarische Opposition gegen jede politische Entscheidung muss möglich sein. Doch so einfach ist es bei den „Hygiene-Demonstrationen“ nicht. Es handelt sich nicht um „Anti-Corona Proteste“. Protesten gegen das tödliche Virus würden sich sicher knapp 82 Millionen Menschen in Deutschland anschließen. Auch „Hygiene-Demonstrationen“ trifft den Kern der Mobilisierung nicht. Trotz der Lockerung der Maßnahmen im Sommer und der Rückkehr einer „neuen Normalität“ gingen die Demonstrationen nicht nur weiter, sie radikalisierten sich auch.
Lange wurde wieder von „besorgten Bürgern“ gesprochen. Inzwischen sollte jeder:m Beobachter:in klar sein, dass weder das Coronavirus an sich noch die Maßnahmen der Regierung im Fokus stehen. Die Forderung nach dem Sturz unseres politischen Systems ist dort inzwischen omnipräsent. Damit lässt sich nun bestätigen, wovor Kritiker:innen schon frühzeitig gewarnt haben: (struktureller) Antisemitismus wurde zum Kitt, der viele der heterogenen Demonstrationsteilnehmer:innen zusammenhält.
Vier Aspekte untermauern diese These: Verschwörungsideologien, Erinnerungsabwehr, die Heterogenität der Anwesenden und (neu-)rechte Hegemonie. Verschwörungsideologien können in so gut wie allen Fällen als antisemitisch verstanden werden. Komplexe Vorgänge werden auf üble Machenschaften einzelner Personen(gruppen) vereinfacht. Diese werden dann als das Unheil schlechthin verstanden – klassische Strukturelemente des Antisemitismus. Diesen Mächten steht in diesem Denken oft das “gute Volk“ gegenüber. Es soll hinters Licht geführt, verkauft oder vernichtet werden.
Vergleiche mit Anne Frank oder Sophie Scholl wiederum sind auf die, wie es Samuel Salzborn bezeichnet, „größte Lebenslüge der Bundesrepublik“ zurückzuführen: Die Vorstellung, dass es eine ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Zustimmungsdiktatur und dem Fortwirken von Ideologien wie Antisemitismus gegeben habe. Der Vergleich mit Opfern der Shoa oder Widerstandskämpfer:innen entspringt dem Bedürfnis nach einem Schlussstrich und einer „Wiedergutwerdung“ (Eike Geisel) Deutschlands.
ist Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und Vizepräsident der European Union of Jewish Students (EUJS).
schreibt seine Doktorarbeit zu queer-jüdischem Leben. Beide engagieren sich gemeinsam im jüdisch-aktivistischen Medienprojekt „Laumer Lounge“.
Demonstrant:innen durch gemeinsamen Feind geeint
Auch die Heterogenität der Teilnehmer:innen, die schon den Namen „Anti-Corona-Querfront“ herbeiführte, ist ein hilfreiches Indiz. In Deutschland diente der Antisemitismus für unterschiedliche Interessengruppen als Klammer. Völkische Denker:innen nutzten ihn, um die unterschiedlichen Nationalismen zu einen. Und auch für die nationalsozialistische Ideologie wurde er zum zentralen Element der Werdung der Volksgemeinschaft.
Die unterschiedlichen Interessen treten hinter dem eschatologischen Endkampf zurück. Ernst Simmel dachte, dass Juden dabei „die Rolle des absoluten Feindes“ haben, gegen den sich Antisemit:innen als „Abwehrbewegung“ verstehen. Die Demonstrationen erscheinen als heterogen, aber in ihrem Selbstverständnis werden die Teilnehmenden durch ihren gemeinsamen Feind geeint.
Ein Blick auf die zentralen Persönlichkeiten und die Strategien (neu-)rechter Bewegungen lässt deutlich erkennen, warum Rechtsradikale und -extreme hier an Boden gewinnen. Götz Kubitschek gilt als Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland. Seine Strategie des Loslösens vom klassischen Nationalsozialismus hat der radikalen Rechten viel Auftrieb beschert.
Wie die Neue Rechte, haben auch aktive Neo-Nazi-Strukturen neue Kommunikationsformen gefunden. Beispielsweise wenn es um die vermeintliche „jüdische Weltverschwörung“ geht. In diesem Weltbild überschneiden sich die Illusionen der radikalen Rechten mit denen der verschwörungideologischen Teilnehmenden der aktuellen Proteste. (Strukturellen) Antisemitismus oder Rechtsradikalismus will bei den Demonstrationen in Berlin und Leipzig niemand gesehen haben.
Kosmopolitisch, Deep State und Hochfinanz
Dabei tauchen in den Narrativen der „Querdenker“ regelmäßig drei Begriffe auf: kosmopolitisch-globalistisch, Deep State (tiefer Staat) und Hochfinanz. Sie finden sich auf Transparenten von Demonstranten oder in Chatgruppen auf Telegram. Und sie haben Tradition, wie ein Blick in die Vignetten der Sammlung Wolfgang Haney ab 1880 verrät.
Der Satz „Die Juden haben keine rechte Heimat. Sie haben etwas Allgemein-Europäisches-Kosmopolitisches; sie sind Nomaden. Bismarck.“ stand bereits 1909 auf einer Postmarke. Auf einer frühen NSDAP-Klebemarke von 1918: „Die internationale Solidarität kann nicht flöten gehen – konnte nicht flöten gehen – sie war noch nie da. Vorhanden war immer nur die Solidarität der jüdischen Führer, der internationalen Volksbegaunerer.“
In diesen Narrativen werden seit langem Wörter wie kosmopolitisch, globalistisch, internationalistisch oder heimatlos mit Jüdinnen:Juden verknüpft und Bilder „jüdischer Macht“ reproduziert. Auch der völkisch-antisemitische Publizist Theodor Fritzsch schrieb, was heutzutage möglicherweise der QAnon-Verschwörungsideologie und der Idee vom Deep State zuzuordnen wäre: „Der Jude arbeitet am inneren Ausbau des Staates mit wie die Made am inneren Ausbau des Apfels.“ Und das NSDAP-Mitglied Gottfried Feder prägte unter anderen den Begriff der „jüdisch-internationalen Hochfinanz“.
Diese Begriffe finden sich zuhauf in Telegramgruppen radikaler Rechter, Esoteriker:innen, Impfgegner:innen, fundamentalistischer Christ:innen. Sie fungieren als Dog-Whistling und bleiben meist ohne juristische Konsequenzen durch Paragraf 130 StGB. Das machen sich Antisemit:innen aller Couleur zu nutzen. Unter Relativierungen wie “besorgte Bürger“, „Covidioten“ oder „Schwurbler“ wächst hier eine gefährliche Bewegung heran, die den Nährboden für antisemitische Gewalt bietet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste