piwik no script img

Antisemitismus in Deutschland„Integrationsfähigkeit hat Grenzen“

Der Chef des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, über Israelfeindlichkeit unter Immigranten, Angst vor Judenhass und ein mögliches NPD-Verbot.

„Viele Menschen, die aus Syrien oder dem Irak zu uns kommen, sind in einem Lebensumfeld aufgewachsen, das von Israelfeindlichkeit geprägt ist.“ – Geflüchtete kommen in Mannheim an. Foto: dpa
Interview von Philipp Gessler

taz: Wo Heime brennen, brennen bald Menschen – haben Sie manchmal diese Assoziation, Herr Schuster?

Josef Schuster: Es macht mir Sorgen und ist erschreckend, was mit Flüchtlingsunterkünften zum Teil passiert, gerade erst jüngst in meiner nächsten Nachbarschaft, in Wertheim, wo eine geplante Unterkunft in Flammen aufgegangen ist.

Ein Flüchtling zu sein – das gehört zum Judentum existenziell. Das jüdische Volk ist der Thora zufolge aus Ägypten geflohen. Der Exodus ist die Grunderfahrung des Judentums. Ergibt sich daraus die Pflicht, Flüchtlingen zu helfen?

Das ist nicht nur eine Pflicht von Juden. Wir müssen auch gar nicht so weit in der Geschichte zurückgehen. Allein wenn wir die neuere Geschichte anschauen, etwa die Schoah: Wenn es eine Gruppierung gibt, die sehr genau weiß, was es bedeutet, verfolgt zu sein, dann sind es jüdische Menschen, gerade in Europa, insbesondere in Deutschland.

Nun nehmen einige christliche Kirchen Flüchtlinge auf. Haben Sie einen Überblick darüber, wie viele jüdische Gemeinden Flüchtlinge aufnehmen?

Wir müssen bedenken, dass jüdische Gemeinden meist sehr viel kleiner sind als katholische oder evangelische. Es gibt aber eine ganze Reihe von Aktivitäten einzelner Gemeinden und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Die Zentralwohlfahrtsstelle wird ihre Erfahrung in Integrationskursen an andere Organisationen weitergeben, denn sie hat ja große Erfahrung mit Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind. Ich denke da an die sogenannten Kontingentflüchtlinge, die wir seit etwa 25 Jahren in die jüdischen Gemeinden integriert haben.

dpa
Im Interview: Josef Schuster

geboren 1954, ist seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er arbeitet als Facharzt in Würzburg. Sein Vater überlebte die NS-Verfolgung in Palästina.

Jetzt scheint Europa wieder die Grenzen zu schließen, auch Deutschland ist wieder restriktiv. Finden Sie das richtig?

Ich glaube, alle sind sich einig, dass man Menschen, die auf der Flucht sind, helfen muss. Andererseits hat die Integrationsfähigkeit von Europa Grenzen. Deutschland hat ja die Zuwanderung nicht gestoppt, sondern lediglich begonnen, die Flüchtlinge an den Grenzen zu registrieren. Das ist auch aus Sicherheitsgründen wichtig, damit etwa Islamisten entdeckt werden.

Haben Sie Angst, dass unter den Zuwandernden aus dem arabischen Raum auch Judenfeinde sind?

Viele Menschen, die aus Syrien oder dem Irak zu uns kommen, sind in einem Lebensumfeld aufgewachsen, das von Israelfeindlichkeit und Judenhass geprägt ist. Es ist eine große Aufgabe, diese Menschen hin zu den Werten zu bringen, die in Deutschland Bestand haben. Die hiesigen Konflikte, etwa wie vergangenes Jahr während des Gazakrieges, möchte ich nicht noch einmal erleben. Das macht mir Sorge.

Sie fordern schon seit Langem ein NPD-Verbot. Glauben Sie, dass die Hintergrund-Aktivitäten von NPD-Kadern etwa bei den rechtsextremen Pogromen gegen Flüchtlinge in Heidenau endlich die Sache beschleunigen?

Ob es nun schneller geht, weiß ich nicht. Aber ich gehe davon aus, dass es nun härtere Fakten gibt. Ich sehe ein Verbot nun mit großer Wahrscheinlichkeit kommen.

Es steht zu befürchten, dass die Fremdenfeindlichkeit wieder zunehmen wird. Rechnen Sie mit mehr Judenfeindschaft?

Die Juden gelten als das Volk der Propheten, aber meine prophetischen Gaben halten sich hier in Grenzen. Dass aber eine fremdenfeindliche Stimmung auch mit Antisemitismus Hand in Hand zu gehen vermag und es häufig auch tut, ist unzweifelhaft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Die Registrierung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze wird genau so wenig zur Entdeckung von Islamisten führen, wie die Einführung des Personalausweises dazu geführt hat, dass Kriminelle auffliegen, bevor sie überhaupt kriminell geworden sind. Die angeblichen "Sicherheitsgründe" sind vorgeschoben. Dass Josef Schuster das nicht weiß, glaube ich ihm nicht. Vermutlich will er mit Blick auf seinen Posten staatstragend wirken.

     

    Mir selbst sind bisher nur selten Leute begegnet, denen ich zugetraut habe, dass sie der "große[n] Aufgabe", Zuwanderer "hin zu den Werten zu bringen", die in Deutschland propagiert werden (im Zweifel aber leider nicht unbedingt Bestand haben), gewachsen sind. Dazu nämlich müssten besagte Werte für eben jene Leute universal sein. Leider muss die Universalität von Werten vor allem im Fall von Führungskräften fast immer hinter den gesteckten bzw. erklärten (Privat-)Zielen zurücktreten. "Der Zweck heiligt die Mittel", wird behauptet, wenn es wieder einmal so weit ist. Zum Beispiel jetzt und hier.

     

    Zum Glück ist Integration ja eine Aufgabe, die die aller meisten Menschen am besten ganz allein und ohne jede fremde "Hilfe" bewerkstelligen. Einfach deswegen, weil wir Menschen ein angeborenes Bedürfnis danach haben, dazuzugehören. Eins, das leider nicht so richtig unkaputtbar ist.

     

    Übrigens: Die Deutschen gelten zwar nicht unbedingt als Volk der Propheten, aber meine prophetischen Gaben reichen offenbar ein wenig weiter als die von Herrn Schuster. Dass eine fremdenfeindliche Stimmung nicht vor der Synagoge halt macht, wenn sie erst einmal Raum gegriffen hat, ist jedenfalls abzusehen für mich. Prinzipien lassen sich nun einmal nicht befehlen. Man kann sie nicht mit Macht beschränken auf fremde Gruppen. Herr Schuster sollte sich also sehr genau überlegen, wie weit er seine staatstragende Rolle ausspielen will. Mag sein, er ist bereits zu weit gegangen darin.