Antisemitismus an Schulen: Stark gegen Stigma

Die Coronakrise bedeutet für viele Jugendliche mehr Zeit vorm Computer. Auf Youtube grassieren antisemitische Erzählungen – wie wird aufgeklärt?

Holocaust-Mahnmal in Berlin: Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wird von einer Schulklasse besucht.

Besuche von Gedenkstätten wie dem Holocaust-Mahnmal in Berlin wecken Bewusstsein für Antisemitismus Foto: Stefan Boness

BERLIN taz | Auch so kann Aufklärung über Antisemitismus aussehen: Beim Mädchentreff der „Schilleria“ in Neukölln geht es bunt her. Es duftet nach Waffeln, es wird gebastelt und im hinteren Teil des Ladens ist eine kleine Siebdruckwerkstatt aufgebaut. Hier können die Mädchen zwischen 10 und 13 Jahren Motive auf T-Shirts oder Jutebeutel drucken. Die Sprüche dazu haben sie an den vergangenen drei Samstagen in einem Workshop selbst erarbeitet: „Sag Nein zu Rassismus“, „Alle sind anders, alle sind gleich“, „Leben lassen – lieben lassen“.

Arnon Hampe und Berivan Köroğlu von der Praxisstelle „ju:an“ der Amadeu Antonio Stiftung haben den Workshop geleitet. Ihr Ziel ist es, Kinder und Jugendliche alltagsnah und spielerisch für Themen wie Rassismus und Antisemitismus zu sensibilisieren und handlungsstark zu machen. Denn viele der Teilnehmerinnen sind selbst von Diskriminierung betroffen.

Ihre Arbeit sei besonders in Krisenzeiten wichtig, sagt Hampe: „Viele Jugendliche saßen während des Lockdowns wochenlang zu Hause und waren im Netz unterwegs. Dort haben sie natürlich auch alles Mögliche aufgesogen, was da so kursiert und zum Teil gezielt eingesetzt wird, um Leute zu manipulieren.“ Besonders oft handle es sich dabei um antisemitische Verschwörungserzählungen, wie sie etwa im Deutschrap oder auf Youtube-Channels schon länger bekannt sind.

„Antisemitismus ist ein tief in der Gesellschaft verankertes Phänomen, das sich immer neue Ausdrucks- und Erscheinungsformen sucht“, so Hampe. Häufig werde Israel als „eine Art Chiffre für das Böse“ dargestellt, was emotional stark aufgeladen sei. Für Kinder und Jugendliche sei das Thema daher auch ohne Hintergrundwissen greifbar.

Der Antisemitismus grassiert in Deutschland: 2019 erreichte die judenfeindliche Kriminalität laut Polizeistatistik mit mehr als 2.000 Straftaten den höchsten Stand seit fast zwei Jahrzehnten, was einer Zunahme von 13 Prozent gegenüber 2018 entspricht. Nur ein Jahr nach dem antisemitisch motivierten Anschlag auf eine Synagoge in Halle griff jüngst ein Mann in Tarnkleidung einen jüdischen Studenten vor einer Hamburger Synagoge mit einem Klappspaten an und verletzte diesen dabei schwer.

„Du Jude“ ist längst gängiges Schimpfwort

Auch vor den Klassenzimmern macht der Hass nicht halt: Immer wieder werden bundesweit neue Fälle bekannt, in denen Schüler*innen oder Lehrkräfte sich offen antisemitisch äußern oder sogar handgreiflich werden. „Du Jude“ ist längst ein gängiges Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen geworden.

Zu diesem Schluss kommt auch eine aktuelle, umfangreiche Studie der Kulturwissenschaftlerin Julia Bernstein mit dem Titel „Antisemitismus an Schulen in Deutschland“. Zusammen mit Kolleg*innen führte Bernstein in siebzehn Monaten mehr als 250 Interviews mit jüdischen und nicht-jüdischen Schüler*innen, deren Eltern, Lehrpersonal, Sozial­ar­bei­te­r*innen und diversen Ex­per­t*in­nen.

Die Publikation liefert erschreckende Befunde und Beispiele, wie sich Antisemitismus bundesweit und durch sämtliche Schulformen hinweg äußert. Laut Bernstein ist Antisemitismus an Schulen als Thema in den Medien seit 2017 präsent. Damals wurde ein jüdischer Schüler in Berlin angegriffen und musste daraufhin seine Gemeinschaftsschule verlassen.

In den folgenden Monaten und Jahren sei verstärkt über Hass gegen jüdische Schü­le­r*in­nen berichtet worden, stellt Bernstein fest. So sei etwa an einer Oberschule ein jüdischer Schüler nach einer Diskussion über den Nahostkonflikt bedrängt, beleidigt und bedroht worden. „Hitler war ein guter Mann, denn er hat die Juden getötet“, wurde ihm von einer Mitschülerin entgegengebracht. Die allumfassende „Stigmatisierung jüdischer Identität“ vergifte das Klima an den Schulen, so die Kulturwissenschaftlerin.

Viele Lehrer*innen würden judenfeindliche Äußerungen entweder übersehen, bewusst bagatellisieren oder es fehle ihnen an Kompetenz, richtig darauf zu reagieren. Die heutzutage besonders häufig auftretende Variante eines israelbezogenen Antisemitismus werde zudem oft erst gar nicht als solcher erkannt – oder als legitime Kritik am Staat Israel abgetan, so Bernstein.

Computerspiel gegen rechte Strategien

Doch wie kann Schulen im Umgang mit Antisemitismus geholfen werden? Fragt man die Kultusministerien der einzelnen Bundesländer, so wird deutlich, dass zwar ein Bewusstsein für das Problem existiert, die Maßnahmen sich jedoch zum Teil deutlich unterscheiden. Manche der Angebote richten sich dabei an ganze Schulklassen, etwa thematische Workshops, Zeitzeug*innen-Gespräche oder der gemeinsame Besuch von Gedenkstätten.

Bundesweit tätig ist auch das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, bei dem sich Schüler*innen und Lehrkräfte gemeinsam gegen Diskriminierung einsetzen. Und das bayerische Kultusministerium plant für das Schuljahr 2020/21 sogar ein interaktives Computerspiel, bei dem es laut dem Pressereferat die Aufgabe der Spieler*innen sein werde, „Anwerbestrategien der,Neuen Rechten' zu erkennen und auf Antisemitismus und Rassismus im Netz zu reagieren“.

Andere Initiativen setzen auf die Sensibilisierung von Lehrkräften. Dafür kooperieren die Ministerien mit verschiedenen Akteuren und Netzwerken wie der International School for Holo­caust Studies Yad Vashem in Jerusalem oder lokalen jüdischen Einrichtungen. Ein dritter Ansatz im Kampf gegen Antisemitismus an Schulen betrifft die Lehre selbst: So wurden etwa in Sachsen zum Schuljahr 2019/20 alle Lehrpläne der allgemeinbildenden Schulen dahingehend überarbeitet, wie das sächsische Pressereferat mitteilte.

Und in vielen Bundesländern gibt es inzwischen Handreichungen mit Fallbeispielen, die Lehrer*innen helfen sollen, Antisemitismus bei ihren Schüler*innen richtig zu deuten und auch entsprechend zu handeln. Zwar existiert in einigen Ländern wie Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen und Berlin inzwischen eine Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen – ob und was gemeldet wird, liegt jedoch weiterhin im Ermessen der jeweiligen Lehrkraft vor Ort.

Hauptkriterium: Wo es keine Vorfälle gab

„Das Hauptkriterium jüdischer Eltern für die weiterführende Schule ist nicht, ob es dort einen Schwerpunkt auf Sport oder Musik gibt, sondern: Wo gab es keine antisemitischen Vorfälle“, sagt Sophie Brüss, Referentin der Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit – Beratung bei Rassismus und Antisemitismus (kurz: SABRA) in Düsseldorf. Der Gesamtbevölkerung müsse dafür ein Gefühl vermittelt werden, denn: „Es ist ein Riesenproblem für uns.“

SABRA berät und unterstützt das Schulministerium Nordrhein-Westfalen seit 2019 im Kampf gegen Antisemitismus. Inzwischen mache der Bereich Schule ein Viertel der Fälle in der Beratungsstelle aus. Zu ihnen kämen hauptsächlich diejenigen Menschen, die sich von ihrer Schule nicht hinreichend vertreten fühlen: „Viele Schul­lei­te­r*in­nen ignorieren das Problem, versuchen Vorfälle unter den Teppich zu kehren, weil sie natürlich den Ruf der Schule nicht beschädigen wollen.“

Häufig fände gar eine Täter-Opfer-Umkehr statt. „Der Antisemitismusvorwurf wiegt dann schlimmer als der Antisemitismus selbst“, so Brüss. Nur in wenigen Fällen gelinge es, dass der Streit beigelegt werden und der*die betroffene Schüler*in die Schule weiterhin besuchen könne – die Täter*innen hingegen blieben.

Es werde zwar schon viel in Sachen Prävention unternommen, sagt Brüss. Dass Täter*innen gegebenenfalls auch strafrechtlich verfolgt werden, würde hingegen oft vernachlässigt. Von der Politik wünscht sie sich außerdem langfristige finanzielle Ressourcen anstelle befristeter Projekte, sowie eine stärkere Zusammenarbeit mit jüdischen Akteuren. Denn SABRA sei eine von gerade einmal zwei Beratungsstellen für antisemitische Vorfälle bundesweit, die in jüdischer Trägerschaft sind. Brüss: „Solange jüdische Institutionen nicht ernst genommen werden, wird es auch keinen wirklich guten Kampf gegen Antisemitismus geben können.“

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