Antisemitismus an Bildungseinrichtungen: Jede*r Zehnte ist mobilisierbar
Unter Studierenden gibt es genau so viel Antisemitismus wie im Rest der Bevölkerung. Bildungsministerin Stark-Watzinger will dagegen vorgehen.
Die Forscher*innen hatten online rund 2.000 Studierende befragt. Rund 8 Prozent stimmen allgemein antisemitischen Aussagen zu, weitere 10 Prozent teilweise. Ähnlich sind die Zustimmungsanteile auch auf „israelbezogenen Antisemitismus“. Hoch sind die Zustimmungswerte unter Muslim*innen, unter Studierenden dieses Glaubens stimmt mehr als ein Drittel antisemitischen Aussagen zu, in der Gesamtbevölkerung liegt der Wert ähnlich.
Wer im Ausland seine Hochschulberechtigung erworben hat, ist zudem im Schnitt öfter antisemitisch (18 Prozent) eingestellt als Personen, die das deutsche Schulsystem durchlaufen haben (7 Prozent). Unabhängig von der Konfession steigt mit zunehmender Religiosität auch die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen. Rund jede*r Zehnte an den Hochschulen ist mobilisierbar für radikale antiisraelische Proteste, noch einmal so viele blicken positiv auf diese Demos und sind für sie ansprechbar.
Die Diskriminierungsforscherin Julia Bernstein forderte bei der Vorstellung der Studie von den Unis mehr Ehrlichkeit: So müsse es als explizit antisemitisch benannt werden, wenn etwa Vermisstenplakate der nach Gaza verschleppten Israelis abgerissen werden. Antisemitismus bedrohe jüdisches Leben in Deutschland ganz konkret: „Es geht nicht nur um Philosophie, sondern um das konkrete Leben von Menschen, die sich nicht mehr trauen, sich als Juden zu outen.“ Sie fordert „langfristige pädagogische Projekte“. Nötig seien zudem Präventionsprogramme und Deradikalisierungsprogramme, um Antisemitismus an den Unis zu bekämpfen.
Antisemitismus im Zusammenhang mit BDS
Bildungsministerin Stark-Watzinger betonte die Bedeutung konsequenter Bestrafung derjenigen Studierenden, die antisemitische Straftaten begehen. Sie forderte das Land Berlin erneut auf, es Unis rechtlich wieder zu ermöglichen, Studierende auszuschließen. In allen anderen Bundesländern ist dies möglich. „Wo Straftaten begangen werden, muss die Möglichkeit bestehen, zum Schutz der jüdischen Studierenden eine Exmatrikulation herbeizuführen.“
Dies fordert auch die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion, Hanna Veiler: „Präventionsprogramme sind gut, aber sie reichen nicht.“ Ihre Forderung: „Die Unis müssen klare Konsequezen ziehen und antisemitische Täter exmatrikulieren.“ Die Studie nennt sie „einen guten ersten Schritt“, es sei „unglaublich wichtig“, konkrete Zahlen zu haben. Aber es brauche dringend weitere Studien, insbesondere solche, die die Erfahrungen jüdischer Studierender in den Mittelpunkt stellten. Stark-Watzinger räumte ein, dass bisher zu wenig über Antisemitismus an Unis geforscht worden sei: „Wir wissen zu wenig.“
Einen kleinen Beitrag, die Forschungslücke Antisemitismus an Hochschulen zu schließen, dürfte eine Studie liefern, die der Bundesverband der Rias-Meldestellen für Antisemitismus am Donnerstag vorstellte. Hier wurden antisemitische Vorfälle im Zusammenhang mit der BDS-Bewegung untersucht, die Sanktionen, Deinvestitionen und einen Boykott Israels fordert. BDS spielt auch an Unis immer wieder eine Rolle.
Für die nun vorgestellte Studie werteten Forschende antisemitische Vorfälle zwischen 2015 und 2022 aus, die jüngste Eskalation nach dem 7. Oktober 2023 wurde in der Studie also nicht mehr berücksichtigt. Doch schon im Untersuchungszeitraum kam es laut Studie „regelmäßig“ zu antisemitischen Vorfällen bei BDS-nahen Veranstaltungen.
Kritiker*innen der Bewegung würden „antisemitisch beleidigt, bedroht oder gar angegriffen.“ Einer der Autoren, Daniel Poensgen, sagt: „Von einer gewaltlosen Kampagne kann in Deutschland keine Rede sein.“
Schon in den letzten Jahren hatte es immer wieder antisemitische Vorfälle an deutschen Unis gegeben, meist in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. Seit dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilist*innen am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Militäreinsatz Israels im Gazastreifen hat sich die Lage an den Unis noch einmal zugespitzt. Im November eskalierte an der Berliner Universität der Künste eine Protestaktion gegen Israels Einsatz in Gaza. Jüdische Studierende berichteten anschließend, sich auf dem Uni-Gelände nicht mehr sicher zu fühlen.
Im Dezember besetzten Studierende der FU Berlin einen Hörsaal, um gegen Israels Vorgehen in Gaza zu protestieren. Die Uni-Leitung erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Zudem gab es auch Anzeigen gegen Unbekannte, unter anderem wegen antisemitischer Schmierereien. Und im Februar griff ein Student der FU einen jüdischen Kommilitonen brutal an und verprügelte ihn so schwer, dass er ins Krankenhaus musste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer