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Antisemitischer Angriff in HamburgVerwirrt, Einzeltäter – wie immer

Auf antisemitische Attentate folgen die immer gleichen, leeren Politphrasen. Dabei müsste längst klar sein: Solidarität allein reicht nicht.

Am Sonntagabend, 4. Oktober, kam es vor der Synagoge in Hamburg zu dem Angriff Foto: Jonas Walzberg/dpa

Wenn mal wieder etwas Schreckliches passiert, ein antisemitischer Überfall, eine antisemitische Attacke, ein Anschlag, dann nimmt Betroffene nicht nur die Tat an sich mit, nicht sie allein schmerzt. Was ermüdend ist, was wehtut und wütend macht, ist für viele, was sich am Rande abspielt. Der sich wiederholende Zirkus drumherum quasi.

Am Sonntag feierten die jüdischen Gemeinden in Deutschland Sukkot, das sogenannte Laubhüttenfest. Bis zu dem Moment, als vor der Hamburger Synagoge am Nachmittag ein 26-jähriger jüdischer Student angegriffen wurde. Der Täter soll laut Polizeiangaben Tarnkleidung getragen haben und den Studenten mit einem Klappspaten erheblich im Gesicht verletzt haben. Außerdem habe die Polizei in der Hosentasche des Täters ein Papier mit einem handschriftlich aufgemalten Hakenkreuz gefunden. Die Beamten schätzen die Tat mittlerweile als versuchten Mord ein, mutmaßlich mit antisemitischem Hintergrund.

Viel mehr ist bislang nicht bekannt. Der Täter soll ein 29-jähriger Deutscher aus Berlin „mit kasachischen Wurzeln“ sein. Er soll einen „extrem verwirrten Eindruck“ gemacht haben, sagte eine Polizeisprecherin am Sonntagabend.

Man hörte Deutschland kollektiv aufatmen, als diese Details bekannt wurden. Nochmal Glück gehabt. Keiner „von uns“ also. Jedenfalls nicht so richtig. Denn ein Täter mit kasachischen Wurzeln, das macht ihn doch irgendwie zum Ausländer, oder? Und ist Kasachstan nicht ein muslimisch geprägtes Land?

Der Mythos lebt

Klar, mit der deutschen Gesellschaft hat dieser Antisemitismus mal wieder nichts zu tun. Ein angeblich in Kasachstan verwurzelter Täter, der auch noch einen verwirrten Eindruck machte. Verwirrter Einzeltäter, der Mythos lebt. Dass der Täter aller Wahrscheinlichkeit nach in diesem Deutschland, das es nicht schafft, seine Nazi-Vergangenheit und -Gegenwart zu bearbeiten, sozialisiert wurde – sei's drum.

Schon beim Anschlag in Halle sprach man beim Täter von einer psychisch kranken, also verwirrten Person. Macht ihn das weniger oder mehr zum Antisemiten, Rassisten, Rechtsextremisten?

Antisemitische und rassistische Taten werden selten sofort als das gesehen, was sie sind: antisemitisch und rassistisch. Stattdessen werden die Verbrechen pathologisiert. Es ist einfacher, von einem antisemitischen Einzelgänger zu sprechen, der versuchte, an Jom Kippur eine Synagoge zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Oder von einem einzelnen Rassisten, der in Hanau zehn Menschen ermordete. Es ist einfacher, rechtsextremistische Chatgruppen bei der Polizei als vereinzelte Probleme wahrzunehmen. Einzelgänger. Einzeltäter. Einzelfälle. Niemals Zusammenhang oder Kontinuität. Sonst müsste man ja als Gesellschaft fragen: Was hat das mit mir zu tun? Und als Staat: Wie können wir diese Menschen besser schützen? Und warum haben wir uns so lange geweigert, das ernsthaft zu tun?

Kurz nach der Tat am Sonntag meldete sich Bundesaußenminister Heiko Maas auf Twitter zu Wort: Die Tat sei „widerlicher Antisemitismus“, „wir alle“ müssten uns dem entgegenstellen.

Schutz ist keine Normalität

Es sind solche und andere leere Phrasen, die ebenfalls zum Zirkus nach antisemitischen Attacken gehören. Ein einstudiertes Ritual. Dabei können Rituale in manchen Situationen ja hilfreich sein, Sicherheit bieten. Im Bezug auf Antisemitismus sind sie aber so überflüssig wie Kerzen oder Blumen vor Synagogen. Nette Aufmerksamkeiten und lieb gemeint, jedoch so lange unnütz, bis tatsächlicher Schutz endlich Normalität wird.

Jüdische Menschen in Deutschland müssen seit Jahrzehnten aus der Position des Bittstellers ihre Forderungen vortragen: Bessere Aufklärungsarbeit in Schulen, die strafrechtliche Verfolgung von antisemitischen Taten, Schutzkonzepte für ihre Einrichtungen. Denn auch ein Jahr nach Halle sind die meisten jüdischen Gemeinden noch immer „nicht sicher“.

Das haben die Journalisten Alex Rühle und Ronen Steinke recherchiert, ihr Text erschien kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. Ran Ronen, Dezernent für Sicherheit im Zentralrat der Juden, sagt darin: Die Mängel beruhten darauf, dass Landesregierungen nicht bereit seien, „die Gefahr auf dem Niveau zu bewerten, wie es sein sollte“.

Am Freitag, den 9. Oktober, jährt sich der antisemitische und rassistische Anschlag von Halle. Besonders für jüdische Menschen erinnert die Tat vom Sonntag deshalb an die Ereignisse von vor einem Jahr. Gerade jetzt dürfen sie mehr erwarten als solidarische Worte.

Antisemitismus ist wie Herpes

In dem erst kürzlich ausgezeichneten (und wirklich sehenswerten) Film „Masel Tov Cocktail“ von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch sagt der 16-jährige Dima, die Figur eines russischen Juden in Deutschland, einen entscheidenden Satz: „Antisemitismus ist wie Herpes. Niemand kennt 'n Heilmittel gegen den Scheiß. Man klebt kleine Pflaster auf die Eiterblasen und hofft, dass er schnell wieder verschwindet.“

Leere „wir alle“-Phrasen und das inkonsequente Verfolgen antisemitischer Taten und rechtsextremer Strukturen sind solche Pflaster. Am Ende kommen die Bläschen immer wieder.

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12 Kommentare

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Jeder Mensch ist ein Individuum und gleichzeitig eingebettet in ihn umgebende Gesellschaftsstrukturen. Folglich wird man bei jedem Täter sowohl Anzeichen für individuelles als auch für überpersönlich motiviertes Handeln ausmachen können.



    Bei der Frage, welche Seite man betont, kommt es dann immer darauf an, ob man kleinreden oder dramatisieren will.

  • 9G
    90564 (Profil gelöscht)

    und fast zeitgleich ist in frankfurt die migrantifa-hessen mit "from the river to the sea, palestine will be free" auf ner seebrücke-demonstration mitmarschiert, seebrücke hat sich mittlerweile distanziert

  • @ Lowandorder: och Gottchen, hat man dem armen Rechtsradikalen mal wieder unrecht getan und was unterstellt -hmh. Er kriegt bestimmt jetzt gleich eine Depression und kann nicht mehr mit dem Klappspaten auf einen jüdisch gelesenen Menschen los gehen. Was für ein "Unglück"...

    Zum Artikel:



    Der Autorin ist absolut zuzustimmen. Nein, eine psychische Erkrankung macht eine/n Täter*in nicht weniger rassistisch oder antisemitisch. Und die "Einzelttäter" gibt es schon mal gar nicht. Niemand wird schließlich als Rechtsterrorist, Faschist oder was auch immer geboren. Das soziale Umfeld, die mediale Hetze und vor allem die Peer-Group sind immer mit dabei. Nicht umsonst lautete der Tenor zu Hanau "Mitgeschossen haben Viele". Auch dass H. der Mittäter im Prozess um die Ermordung Walter Lübckes freigelassen wurde, ist ein handfester, politischer Skandal und nährt erneut die Mähr vom "Einzeltäter". Auch wenn H. nicht am Tatort war, kann er Wache gestanden oder das Ganze mit vorbereitet haben. Was E. mit seinem "Geständnis-Wirrwarr" bezweckt hat: Den Kumpel raus hauen - und die Justiz geht ihm noch auf den Laim. H. war mit E. auf dem Schießstand, hat vermutlich die Tatwaffe besorgt und soll von allem nichts gewusst haben? Die Süddeutsche urteilte hierzu "harsch gegen links, lasch gegen rechts". So lässt sich das Vertrauen in staatliche Institutionen, was laut Umfrage schon bei 70-80 % als verloren gelten kann, nicht wieder gewinnen.

    • @Ephraim Tollkühn:

      "Der Autorin ist absolut zuzustimmen. Nein, eine psychische Erkrankung macht eine/n Täter*in nicht weniger rassistisch oder antisemitisch. Und die "Einzelttäter" gibt es schon mal gar nicht. "

      Müsste es bei ihnen nicht "die Täter" heißen, wenn es keine Einzeltäter gibt?

      Ich halte nichts von der Verwischung der Täterdefinition. Eine Ausweitung auf den ideologischen Hintergrund führt genau dort hin, was man bekämpfen will. Short: wegen der RAF kann man nicht die Linke in den Knast stecken. Oder umgekehrt. Die "Einzeltäter"-Aversion ist im Kern eine totalitäre Sicht.

      Wer eine Gruppe von Tätern sieht muss diese konkret benennen können. Das sollten gerade Linke (von den Pseudolinken mal abgesehen) besser hin bekommen.

      Lowandorder hat's passend beschrieben: "Ohne jegliche tatrelevante Fakten - die Wabberrhabarbermaschine anzulassen: & über Bande eine MittäterGesellschaft [...] herbeizulabern" ist allenfalls ein unbedachter tweet tweet krächz wert.

      • @Rudolf Fissner:

        Hola - Hab ich was falsch gemacht?

        unterm———



        Hätte doch glatt auch in Niedersachsen Verwaltungsrichter werden können - wie einige Marburger Assis öfft. Recht



        Da galt zum OVG Lüneburg lange der feine Spruch: “Wenn du von denen bestätigt wurdest. Mußteste aber sofort nachlesen - Wasde da falsch gemacht hattest!“ - 🥳 - (Naja - es kam anders!;))

    • @Ephraim Tollkühn:

      "harsch gegen links, lasch gegen rechts".-war die brd von anfang an.

    • @Ephraim Tollkühn:

      Ja - die Männer in den Tollkkühnen Kisten!

      Aber auch für die gilt -



      ”Sagen - was mann denkt!



      Und vorher - was gedacht haben.



      Wäre fein.“



      (Harry Rowchet in memoriam;)(

  • Ich bitte Sie Frau Zingher. Ein ehemaliger Bundesminister twittert über den lupenreinen Antisemiten Dieter Kunzelmann: "Ein großer Sponti ist tot R.I.P."



    - So feiern wir uns selber -



    Der Tagesspiegel schrieb: Er war Terrorist, "Chef-Provokateur" der Studentenbewegung und später Mitglied der Alternativen Liste im Abgeordnetenhaus."



    Das kognitive Modell der Deutschen über die Juden, von dem Daniel Goldhagen in -Hitlers willige Vollstrecker- schreibt hat auch Götz Aly in "Unser Kampf 1968" beschrieben, Seite 167:



    "Im Juni 1969 berichtete Theodor W. Adorno in "äußerster Depression" seinem Freund Herbert Marcuse, wie "man in Frankfurt den israelischen Botschafter niedergebrüllt hat", und fügte für den Protestmentor Marcuse an: "Du müsstest nur einmal in die manisch erstarrten Augen derer sehen, die, womöglich unter Berufung auf uns selbst, ihre Wut gegen uns kehren."



    Zitat Ende



    Wollen wir immer noch unsere Augen verschließen vor der Kontinuität, von der "Kristallnacht" 09. November 1938 über den 9. November 1969, dem Tag, an dem von der Truppe des o.g. Verstorbenen (Tupamaros West - Berlin) bewusst gewählten Jahrestag, eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus Berlin platzierte wurde. Wundern wir uns tatsächlich über Halle oder Hamburg....??

    • @Günter:

      Nein, wir wundern uns nicht, denn wo Gier ist, ist auch Neid und Hass und Liebe und Gleichgültigkeit.

      Antisemitismus, Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit und radikahle Ablehnung anderer Religionen und Lebensweisen finden sich in allen Gesellschaften, weltweit.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Ich glaube das Problem ist das viele islamistische Täter auch oft geistig verwirrt sind, das dort aber aus politischen Gründen nicht opportun ist. Das führt zu jener fehldarstellung von fanatsisierter islamist vs. Verwirrter Nationalist. Die meisten dieser Täter sind geistig zumindest eingeschränkt. Die Leute die solche Leute aber wissentlich anstacheln sind es nicht. Man kann solche Taten nicht 100% verhindern aber man kann die ideologischen Brandstifter verfolgen und muss da auch soziale Netzteile in die Pflicht nehmen wenn Leute wie der "Volkslehrer" (alles in diesem Namen ist falsch) auf YouTube ihren Blödsinn neben Islamisten die die Todesstrafe für Homosexuelle fordern verbeiteb dürfen läuft was falsch und dann muss man diesen Netzwerken auf die Pelle rücken und diese Leute mit allen Mitteln aus dem Verkehr ziehen.

  • Sag mal so: Bekannt ist -

    “ …Der Täter soll laut Polizeiangaben Tarnkleidung getragen haben und den Studenten mit einem Klappspaten erheblich im Gesicht verletzt haben. Außerdem habe die Polizei in der Hosentasche des Täters ein Papier mit einem handschriftlich aufgemalten Hakenkreuz gefunden. Die Beamten schätzen die Tat mittlerweile als versuchten Mord ein, mutmaßlich mit antisemitischem Hintergrund.



    Viel mehr ist bislang nicht bekannt. Der Täter soll ein 29-jähriger Deutscher aus Berlin „mit kasachischen Wurzeln“ sein. Er soll einen „extrem verwirrten Eindruck“ gemacht haben, sagte eine Polizeisprecherin am Sonntagabend.…“

    &Däh! Zu einer unstrittig feigen schlimmen Tat - gar Mordversuch!!



    Folgt der bekannte Kladderadatsch di taz - as usual.

    Ok. Mir ist hinlänglich bekannt - daß Journalisten - wie Journaille.



    Sich mit dem von den Römer überkommenen Verfassungsgrundsatz:



    “In dubio pro reo“ - “Im Zweifel für den Angeklagten.“ Traditionell schwer tun.



    Weils am Griffel & den Tasten - wie bei jedem Stammtischler auch - in den Griffeln juckt. Da noch den ins eigene Klischee passenden Dreh aufs Papier zu husten! NewahrNormal



    &



    Noch verschärft. Seit so Emma-Asse vom Bayenturm. Wie uns Alice mal eben - genderneutral naturellement - alles das



    via Beweislastumkehr zu konterkarieren sich nicht entblödet hat.

    Es ist aber schwer rechtsstaatlich hinnehmbares Unterfangen.



    Ohne jegliche tatrelevante Fakten - die



    Wabberrhabarbermaschine anzulassen:



    & über Bande eine MittäterGesellschaft - gern auch - “der war doch nicht



    allein!“ - Mittäter oder gar eine kriminelle Vereinigung - sorry - herbeizulabern •

    kurz - Daß darin - wie a Begriffshof - eine Art Tat/Täter-Hof-Konstruktion der Quarkkonsistenz - Eine sattsam bekannte Masche der Vorverurteilung steckt!



    Ist evident & liegt bei Nachdenken auf der Hand!



    Ruppert “Plotte“ von Plottnitz hat zu dieser Verluderung der Sitten unlängst angemerkt:



    “#me too - Ist für mich moderner Pranger!“



    &



    RA Claudia Burgsmüller nickte.

  • der Satz war gut:



    Einzeltäter in Chatgruppen.



    = ein Netzwerk.

    hier war der "Einzeltäter" noch in Berlin gemeldet und wohnte schon lange in Langenhorn.

    Also de facto untergetaucht.



    Wenn er Arbeit hatte, wäre dieser Mißstand schnell aufgefallen. Wenn er keine hatte, erst recht, denn den Hamburger Arbeitsargenturen ist es sehr wichtig, Bezirksfremde in andere Bezirksarbeitsargenturen abzugeben.

    Und eine Wohnung in HH ohne Selbstauskunft zu bekommen, ist so gut wie unmöglich.

    So, jetzt erkläre mir nochmal irgendwer, er hätte keine Unterstützer.

    Er war schon länger in psychatrischer Behandlung. Auch hier keine Auffälligkeiten. Oder zu sehr weggesehen...