Antirassismus-Aktivistin in den USA: Die Lüge über die Lüge

Die weiße Rachel Dolezal gab sich lange als Schwarze aus. Jetzt tritt sie als Chefin einer Ortsgruppe der größten US-Bürgerrechtsorganisation zurück.

Rachel Dolezal im März 2015

Schwarz? Weiß? Rachel Dolezal Foto: ap

NEW YORK taz | „Ich betrachte mich selbst als black“, hat die Bürgerrechtlerin Rachel Dolezal erklärt. Niemand in ihrem Umfeld zweifelte das an. Doch seit bekannt ist, dass die junge Frau als Weiße zur Welt gekommen ist, herrscht Aufregung in der „post-rassistischen“ Gesellschaft. Die Reaktionen auf ihr „Passing“ in umgekehrter Richtung reichen von moralischer Entrüstung über „Lüge“ und „Verrat“ und dem Ruf nach der Justiz, bis hin zu der Feststellung, diese Frau sei „psychisch gestört“. Auch aus dem Inneren der Bürgerrechtsorganisation NAACP, für die Rachel Dolezal arbeitet, kommen Aufrufe, sie möge alle Karten auf den Tisch legen.

Am Montag hat die 37-Jährige einen ersten Schritt getan. Auf Facebook veröffentlicht sie ihre Rücktrittserklärung als Präsidentin der Ortsgruppe der NAACP in Spokane in Washington. „Ich bleibe der Bewegung treu“, schreibt sie darin. Und versichert, dass sie sich weiterhin gegen Diskriminierungen bei Polizei, Justiz, Arbeit und Bildung einsetzen werde.

Die Erklärung, warum sie sich jahrelang als „black“ ausgegeben hat, bleibt sie schuldig. Auch den angesetzten Termin zu einer Aussprache mit der NAACP sagt sie ab. Doch noch am selben Abend wird bekannt, dass sie am Dienstag Interviews mit mehreren TV-Sendern hat.

Rachel Dolezal hat die „Race-Question“ – die Frage von Rasse – unfreiwillig auf die Tagesordnung gebracht. Es ist eines jener Themen, die jeder kennt, und über die fast niemand redet. Selbst der erste schwarze Präsident des Landes äußert sich nur selten dazu. Seine Berater meinen, dass die „Race-Question“ bei der Basis so ankommt, als würde der Präsident „Interessenvertretung“ seiner eigenen Minderheit machen.

Neue Identität

Die Frau im Zentrum der Aufregung stammt aus einer weißen, konservativen, christlichen Missionarsfamilie in Montana. Als sie ein blauäugiger Teenager mit glatten blonden Haaren ist, adoptieren die Eltern zusätzlich vier schwarze Kinder. Auch beim Studium an der traditionell schwarzen Howard-Universität in Washington DC ist Rachel Dolezal noch weiß. Als die Universität ihr eine Stelle verwehrt, strengt sie ein Verfahren wegen Diskriminierung an. Später geht sie auf Distanz zu ihren Eltern. Bekommt ein Kind mit einem schwarzen Mann. Und legt sich – im westlich von Montana gelegenen Nachbarbundesstaat Washington – eine neue Identität zu.

Fortan trägt sie ihr Haar dunkel und dicht gelockt. Ein Adoptivbruder, der sie besucht, empört sich darüber, dass sie ihre Haut eindunkelt und „afroamerikanisch“ redet. Sie macht Karriere. Arbeitet als Dozentin für Africana Studies an der örtlichen Universität, Präsidentin der Ortsgruppe der „National Association for the Advancement of Colored People“ (NAACP) und Ombudsfrau bei der Polizei.

„Was gewinnt sie dadurch?“

Die NAACP, die größte Bürgerrechtsorganisation der USA, ist einst – zusammen mit weißen – von afroamerikanischen Bürgerrechtlern gegründet worden. Bis heute sind längst nicht alle Aktivisten schwarz. Und einige Weiße leiten auch Ortsgruppen. Don Harris, weißer Präsident der NAACP in Phoenix, fragt: „Was gewinnt sie dadurch, dass sie sagt, sie sei Afroamerikanerin?“

Enthüllt wurde die Geschichte von Rachel Dolezal durch ihre Eltern. Die beiden geben zur Zeit teilweise mehrmals täglich Fernsehinterviews, in denen sie ihre Tochter öffentlich beschuldigen, ihr „Unwahrheit“ vorwerfen, ihre Geburtsurkunde veröffentlichen, von „genetischer Identität“ reden, Entschuldigungen verlangen und zugleich hoffen, dass die Tochter zu ihnen zurück komme.

In der schwarzen Bürgerrechtsbewegung schreibt die Schriftstellerin Yasmin Nair über Rachel Dolezar, dass sie „entweder eine Rassistin oder eine zutiefst gestörte weiße Frau, die Hilfe braucht“ sei. Aber der Africana-Wissenschaftler Jelani Cobb geht anders an das Thema heran. „Rasse“, so erklärt er, geht auf eine „originale Lüge“ zurück. Die hatte die Funktion, die Ausbeutung durch die Sklaverei zu rechtfertigen. Auch nach seiner Interpretation hat Rachel Dolezar gelogen. Aber: „Sie hat über etwas gelogen, das auf einer Lüge basiert“.

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