Antifaschismus: Straßenkampf um Silvio Meier
Wegen der Klage eines Anrainers muss der Bezirk Friedrichshain die Umbenennung einer Straße nach dem von Nazis getöteten Silvio Meier stoppen.
Es sollte der Höhepunkt des Gedenkens an Silvio Meier sein: die Umbenennung einer Straße in Friedrichshain für den dort vor 20 Jahren von Neonazis erstochenen Antifaschisten. Doch eine Silvio-Meier-Straße wird es vorerst nicht geben: Ein Geschäftsinhaber in der zur Umbenennung vorgesehenen Gabelsbergerstraße klagt gegen den Beschluss des Bezirks. „Das ist sehr ärgerlich, aber nun müssen wir die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abwarten“, sagte Bezirksstadtrat Hans Panhoff (Grüne) der taz.
Am Mittwoch erinnert eine Mahnwache im U-Bahnhof Samariterstraße daran, was dort am 21. November 1992 kurz nach Mitternacht geschah: Der Antifaschist und Hausbesetzer Meier stellte mit Freunden eine Gruppe von Neonazis zur Rede, weil einer von diesen einen Aufnäher mit der Parole „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ trug. Ein Nazi stach mit seinem Messer auf Meier ein, der damals 27-Jährige starb an den Folgen. Drei Täter wurden zu Haftstrafen verurteilt, der Haupttäter wegen Totschlags zu viereinhalb Jahren. Seit dem Tod Silvio Meiers demonstrieren Initiativen jedes Jahr im November, um ein Zeichen gegen rechtsextreme Gewalt zu setzen.
Ein solches Zeichen sollte auch die Umbenennung der nahe dem Tatort gelegenen Gabelsbergerstraße sein. Deshalb hatte sie das Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg vergangenen Mai beschlossen. In der vorgeschriebenen Widerspruchsfrist, die letzte Woche endete, sprachen sich laut Bezirksamt knapp 20 Anwohner gegen die Umbenennung aus. Der Bezirk lehnte die Einwände ab, woraufhin ein Gegner vor dem Verwaltungsgericht klagte.
Der Kläger selbst war am Montag nicht erreichbar. Allerdings bestätigte ein Nachbar der taz, dass auch er die Klage unterstütze. „Der Plan zur Umbenennung hat bei uns Unverständnis ausgelöst“, sagte der Mann, der anonym bleiben will. Zum einen zöge ein neuer Straßenname für Gewerbetreibende Kosten und Aufwand nach sich. Außerdem habe er Zweifel daran, dass Silvio Meier als Namenspatron für eine Straße geeignet sei. „Sein Tod ist absolut tragisch und hätte nicht geschehen dürfen“, sagte der Mann, „aber er ist selbst in den Konflikt reingegangen.“ Außerdem habe Meier als Besetzer auch Hausfriedensbruch und damit Straftaten begangen.
Große Hoffnungen auf einen Erfolg der Klage gegen die Umbenennung macht sich der Mann allerdings nicht: „Der CDU-Politiker Kurt Wansner hat uns gesagt, dass das wohl wenig Aussicht auf Erfolg hätte.“ Wansner, der für die CDU im Abgeordnetenhaus sitzt, hatte sich einst lange gegen die auch von der taz geforderte Umbenennung eines Teils der Kreuzberger Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße gewehrt – erfolglos. Der Axel Springer Verlag und andere waren mit ihrer Klage gegen die Dutschke-Straße gescheitert.
Entscheidung erst 2013
Darauf verwies auch Bezirksstadtrat Panhoff. Er sei zuversichtlich, dass der Bezirk am Ende recht und Friedrichshain eine Silvio-Meier-Straße bekomme. Mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei jedoch erst im nächsten Jahr zu rechnen. „Es ist sehr bedauerlich, wir wollten die Umbenennung mit dem 20. Jahrestag verbinden“, sagte Panhoff.
Die Verzögerung aufgrund der Klage sei schade, sagte auch Damiano Valgolio, Vertreter der Initiative Aktives Gedenken, die sich seit 2011 für eine Silvio-Meier-Straße einsetzt. „Aber jeder hat das Recht auf eine gerichtliche Überprüfung.“ Den Bezirk forderte Valgolio auf, zu prüfen, ob eine vorläufige Umbenennung ab sofort möglich sei: „Eine solche Straße verhindert das Vergessen und stärkt allen den Rücken, die sich gegen rassistische Gewalt wehren.“
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