Antibiotika in der Tiermedizin: Weniger Antibiotika sind mehr
Bei Tieren werden zwar weniger Antibiotika eingesetzt, dafür aber oft diejenigen, die für Menschen wichtig sind. Das führt zu Resistenzen.
Von zwei durch die Weltgesundheitsorganisation als besonders wichtig für die Humanmedizin eingestuften Antibiotikaklassen („Reserveantibiotika“) wurden 2015 wesentlich höhere Mengen abgegeben: Fluorchinolone und Cephalosporine der dritten und vierten Generation. Die Abgabemenge der Fluorchinolone beispielsweise stieg seit 2011 um 82 Prozent auf 14,9 Tonnen. Sie gehören zu den sehr wenigen Präparaten, mit denen sich etwa Infektionen mit dem Keim Campylobacter bekämpfen lassen. Bei Cephalosporinen der dritten Generation betrug das Plus 52 Prozent.
Resistenzen sind ein zunehmendes Problem vor allem in Krankenhäusern. Sie führen dazu, dass bakterielle Infektionen schwerer oder auch gar nicht mehr zu behandeln sind, weil Antibiotika ihre Wirksamkeit verlieren. Spitzenreiter beim Antibiotikaeinsatz in der Tiermedizin war 2015 wie in den Vorjahren das Gebiet mit der Postleitzahl 49, also die Hochburgen der konventionellen Tiermast – unter anderem Osnabrück, Münster und Vechta in NRW und Niedersachsen.
Allein hier wurden 38 Prozent der Gesamtmenge verabreicht. Immerhin gab es auch dort einen Rückgang im Vergleich zu 2014: um ebenfalls 38 Prozent auf 314 Tonnen. Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte wies darauf hin, dass nur 2 Prozent der Gesamtmenge Reserveantibiotika seien. Das neue Arzneimittelgesetz habe dazu geführt, dass insgesamt weniger Antibiotika eingesetzt würden.
Grüne fordern Einschränkung
Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, forderte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt auf, „das Arzneimittelgesetz zu ändern, damit der Einsatz von Reserveantibiotika bei Tieren nur noch in klar erkennbaren Ausnahmefällen möglich ist“.
Zudem müssten die Haltungsbedingungen verändert werden. „Den Tieren muss mehr Platz, Zugang zu einem Außenbereich und artgerechte Beschäftigung gewährleistet werden. Denn in der drangvollen Enge industrieller Tierställe, die viel Stress für die Tiere bedeutet, haben Bakterien leichtes Spiel.“ Ein Bio-Siegel bedeutet zumindest, dass die Häufigkeit des Antibiotikaeinsatzes – anders als bei konventionellen Tieren – eingeschränkt ist.
Update 23.09.: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat die Statistik über die 2015 in der Tiermedizin abgegebenen Antibiotika am 21. September 2016 korrigiert. Demnach stieg die Abgabemenge der Fluorchinolone seit 2011 nur um 29 Prozent auf 10,6 Tonnen (nicht um 82 Prozent auf 14,9 Tonnen). Die Menge der Cephalosporine der dritten und vierten Generation stieg nicht, sondern sank um 3 Prozent auf 3,6 Tonnen. Die Menge aller Antibiotika ging um 53 Prozent auf 805, nicht 837 Tonnen zurück. Das Bundesamt machte für die ursprünglich falschen Zahlen ein pharmazeutisches Unternehmen verantwortlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?