Antibeschneidungskampagne: Wofür steht Giordano Brunos Name?
Eine Kolumne zur Beschneidungsdebatte brachte unserem Autor Micha Brumlik Hassbriefe ein. Grund genug, weiter aufzuklären.
N och nie sind auf eine meiner Kolumnen so viele Reaktionen, etwa einhundert, eingegangen wie auf den Beitrag vom 2. Oktober, in dem ich pointiert behauptet hatte, dass die Antibeschneidungskampagne der Giordano Bruno Stiftung in Berlin dem Geist ihres Namensgebers entspreche: Giordano Bruno (1548 bis 1600) war ein erklärter Judenhasser und wurde deshalb von den völkischen Antisemiten, nicht zuletzt von Adolf Hitler, andächtig verehrt.
Nun wäre es gewiss zu simpel, eine bruchlose Kontinuität zwischen einem uns kaum noch zugänglichen Denker des 16. Jahrhunderts und jenem für das „Zeitalter der Extreme“ (E. Hobsbawm), das 20. Jahrhundert, typischen Massenmörder Adolf Hitler herzustellen; gleichwohl sind zwei Fragen zu klären: Wie dachte der abtrünnige Mönch des 16. Jahrhunderts politisch, und was bringt eine für Toleranz und Geistesfreiheit eintretende Organisation heute dazu, sich nach ihm zu benennen?
So geht es letztlich um die Frage, wofür dieser Name „Giordano Bruno“ in Wahrheit steht. Zunächst sei aber gezeigt, dass der historische Bruno nicht nur ein Judenhasser, sondern auch ein erklärter Frauenfeind sowie ein intriganter Feind des Protestantismus war – eine Konstellation, wie sie auch für den späteren Antisemitismus typisch ist. Endlich soll erörtert werden, was an Brunos Weltanschauung gegenwärtig attraktiv sein könnte.
ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt am Main. Von 2000 bis 2005 leitete er das dortige Fritz-Bauer-Institut.
Zwei Vorbemerkungen sind unerlässlich.
Erstens: Wer sich heute den Humanisten des 16. Jahrhunderts zuwendet, wird der Bezeichnung dieser Gruppe wegen leicht der Illusion erliegen, sie seien in irgendeiner Hinsicht modern, vergleichbar den Denkern der Aufklärung von Rousseau zu Kant.
Das freilich ist falsch, denn tatsächlich trennt uns ein Abgrund von ihrem Denken. Längst konnte die Forschung zeigen, dass sich in ihren Schriften ein befremdliches, sagen wir: „mittelalterliches“ Weltbild artikuliert, für das Magie und Astrologie, Dämonologie und Hexen selbstverständliche, unbezweifelbare Gegebenheiten waren.
Nach eigener Auskunft ist die Giordano Bruno Stiftung „eine Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung.“ Gegründet wurde sie 2004 von dem 1934 geborenen Möbelfabrikanten Herbert Steffen, der dem Diözesanrat des Bistums Trier angehörte, bis ihm auf einer Reise nach Israel klar wurde, dass die im Alten Testament behaupteten Tatsachen nicht der Realität entsprechen konnten und er den Kirchenkritiker Karlheinz Deschner, den Autor von „Kriminalgeschichte des Christentums“, kennenlernte.
Die Weltanschauung der Stiftung ist in dem von Michael Schmidt-Salomon, ihrem Geschäftsführer, verfassten „Manifest des Evolutionären Humanismus“ niedergelegt.
Ihrem Beirat gehören unter anderem der als Kritiker Adornos bekanntgewordene Sozialphilosoph Hans Albert, der Karikaturist Gerhard Haderer, der Kinderbuchautor Janosch, die Autorin Karen Duve, die utilitaristische Philosophin Ulla Wessels und der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad an.
Zweitens: Brunos Texte wurden in einem frühneuzeitlichen Italienisch verfasst, das in ein gegenwärtiges Deutsch zu übersetzen zu Fehlern und Missdeutungen führen kann. Deshalb empfiehlt es sich tatsächlich, die jeweils neueste, am besten ausgewiesene Übertragung heranzuziehen: hier die 2009 von Elisabeth und Paul Richard Blum sorgfältig erarbeitete und kommentierte Übersetzung.
Mittelalterliches Weltbild
Gerade diese Übersetzung aber gibt Brunos judenfeindliche Äußerungen im Dialog „Austreibung des triumphierenden Tieres“, erschienen 1584, unmissverständlich wieder. In einer Passage, in der die allegorischen Partner eines Dialogs darüber sprechen, wie ungerecht es sei, Verfehlungen der Eltern an den Kindern zu strafen, heißt es in der neuen Übersetzung, dass sich diese Überzeugung erstmals bei den Juden gefunden habe, „da diese ein so verpestetes, aussätziges und ganz allgemein verderbenbringendes Geschlecht sind, das eher vertilgt zu werden verdiente, als geboren“.
Diese Behauptung vertrat Bruno in einer Zeit, als auf der italienischen Halbinsel, vor allem im Kirchenstaat, die Juden vertrieben wurden. Die, die blieben, wurden ghettoisiert sowie in ihrer Berufstätigkeit und Freizügigkeit massiv eingeschränkt, ihre Kinder wurden oft zwangsgetauft.
Auf jeden Fall: Nicht einmal das Übersetzerduo Blum kommt umhin festzustellen, dass Bruno – wie es pointiert schreibt – ein „rabiater Judenfresser“ war. Entsprechend erwies sich Giordano Bruno in aller Konsequenz nicht nur als Feind des Judentums, sondern vor allem des Christentums, und zwar sowohl in seinen protestantischen als auch seinen katholischen Varianten.
Unter dem Druck der Inquisition war Bruno gezwungen, sich einer Tarnsprache zu bedienen. Daher wird der Jude Jesus von Nazareth in der „Austreibung des triumphierenden Tieres“ mit dem Namen „Orion“ als ein Grieche genannt, der „aus dem unwürdigsten und verderbtesten Volk der Welt“ stamme und „von allerniedrigster Natur und Geiste“, er somit eine Person sei, „durch den das Ganze beschmutzt, geschädigt, durcheinander gebracht und von oben nach unten gekehrt“ werde.
Dem niedrigen Stamme der Juden entspricht in Brunos „hate speech“ das unwürdige und verächtliche Geschlecht der Frauen. Im Vorwort seiner Schrift über die „Heroischen Leidenschaften“, 1585 erschienen, schreibt er in einer Polemik gegen den von dem Dichter Petrarca gehegten Kult heterosexueller, sinnlicher Liebe:
„Ich will, dass die Frauen geehrt und geliebt werden sollen: aus dem Grund und in dem Maße, wie es ihrer unbedeutenden Schönheit, ihrem Glanz, solange er dauert, und ihrer Bestimmung, wenn sie erfüllt wird, gebührt. Denn sie besitzen keine andere als die naturgegebene Tugend, also Schönheit, Glanz und jene Bestimmung, ohne die man sie auf der Welt für nutzloser als einen giftigen Pilz halten müsste, der zum Schaden für bessere Pflanzen die ganze Erde bedeckt, und für störender als irgendeine Giftpflanze oder Viper, die ihren Kopf aus dem Boden steckt.“
Die angesprochene natürliche Bestimmung ist selbstverständlich keine andere als die der Gebärfähigkeit.
Bartholomäusnacht
Über all das hinaus war der von der katholischen Kirche verfolgte Bruno in den konfessionspolitischen Machenschaften seiner Zeit wenn auch widersprüchlich aktiv. So traf er 1582 in Paris den französischen König Heinrich III., der zehn Jahre zuvor, 1572, den Massenmord an 30.000 in Paris lebenden Hugenotten, die sogenannte „Bartholomäusnacht“, zu verantworten hatte. Kurz darauf, 1584, wird Giordano Bruno diesem Massenmörder auf dem Königsthron in devotester Weise seine Schrift über das „Aschermittwochsmahl“ widmen.
Man kann es also drehen und wenden wie man will: Im besten Fall sind uns Gestalt und Name des Giordano Bruno so fern und unverständlich, dass es uns kaum noch gelingt, den Zeitabstand zu ihm zu überwinden, im schlechtesten Fall erscheint er als Vorläufer der negativsten geistigen Tendenzen des 20. Jahrhunderts.
Einer der besten Kenner des Werks von Giordano Bruno, der Religionswissenschaftler Ioan Culianu, konnte daher schon 1984 urteilen: „Nun ist Bruno gewiss zum Propheten einer Religion geworden, die er gewiss nicht nur nie verkündigt hatte, sondern deren Ideale den seinigen vielmehr schroff entgegengesetzt sind. Der antidemokratischste Denker – als Symbol der Demokratie.“
„Evolutionären Humanismus“
Aber warum gibt sich dann eine für geistige Freiheit, Aufklärung und Humanität eintretende Stiftung Brunos Namen? Ein Irrtum? Oder deshalb, weil er ein Märtyrer geistiger Freiheit ist? Dafür hätten auch die Namen von Lessing oder des von dem Reformator Johannes Calvin verbrannten Michel Servet stehen können.
Freilich geht es der Ideologie des „Evolutionären Humanismus“, einem militanten und intoleranten Atheismus, wie er von der Giordano Bruno Stiftung vertreten wird, weder um Toleranz und Humanität noch um ein respektvolles, aufgeschlossenes und lernbereites Gespräch unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen; auch nicht um einen Dialog, in dem die Gehalte, Reichtümer und Schätze, aber auch Fehler, Verbrechen und Vergehen von Weltanschauungen sensibel, selbstkritisch und respektvoll erörtert werden, sondern um eine weitere „Austreibung“: hier der Religionen aus dem öffentlichen Raum und Diskurs.
Giordano Bruno nannte das „Spaccio“. Der von der nach ihm benannten Stiftung vertretene „Evolutionäre Humanismus“ erweist sich am Ende als oberflächliche, naturwissenschaftlich aufgeputzte Schwundstufe einer selbst noch nicht säkularisierten Weltanschauung, die in ihrem Dogmatismus dem religiösen Fundamentalismus der Gegenwart in nichts nachsteht, sondern sein geistiger Bruder ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?