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Anti-Putin-Demonstration in MoskauAngeklagt wegen Widerstand

Rund 25.000 Moskauer demonstrieren am Jahrestag des „Marsches der Millionen“ gegen willkürliche Festnahmen. Putin-Gegner werden verfolgt.

Putin-Gegner auf der Demonstration in Moskau. Bild: dpa

MOSKAU taz | Die Kundgebung war diesmal nicht so bunt und kreativ wie frühere Aktionen der russischen Opposition auf dem Moskauer Bolotnaja Platz. Dennoch waren trotz der Maifeiertage und ungünstiger Winde rund 25.000 harte Putin-Gegner zu der Veranstaltung erschienen, die an die Ereignisse vom 6. Mai 2012 erinnern sollte.

Damals, einen Tag vor der dritten Amtseinführung Präsident Wladimir Putins, schlug der friedliche Protest in eine Straßenschlacht um, in der die Sicherheitsorgane eine besonders aktive und brutale Rolle übernahmen.

Seit einem Jahr sind Strafermittler damit befasst, Teilnehmer des so genannten „Marsches der Millionen“ wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ und „Massenaufwiegelung“ vor Gericht zu stellen. Etwa 30 Demonstranten wurden bereits aus der Masse herausgefiltert und festgenommen. Seit Monaten sitzen sie unter fadenscheinigen Anklagen in Untersuchungshaft.

An die Inhaftierten sollte die Demonstration am Montag erinnern. „Sie sitzen an unserer Statt“, lautete eines der Slogans, die nicht angetan waren, gute Laune zu fördern.

Von Anfang an stand die Veranstaltung schon unter einem schlechten Stern. Am Morgen war ein Arbeiter beim Aufbau der Bühne tödlich verunglückt, so dass die Organisatoren im letzten Moment auf einen mobilen Ersatz ohne ausreichende Lautsprecheranlage ausweichen mussten. Schon nach hundert Metern waren die Redner kaum noch zu hören, so dass viele Menschen die Kundgebung vorzeitig verließen.

Die Veranstalter baten aus Rücksicht auf den Trauerfall, auch Transparente und Fahnen nicht zu zeigen. Die Stimmung war trübe. „Ich bin gekommen, weil ich es mir und den Inhaftierten einfach schuldig bin“, sagte Pawel, ein IT Unternehmer aus Moskau.

Sand in den Augen

Viele dachten so. Der 45jährige ist mit der Opposition nicht zufrieden. Sie hätte nicht nur alles zerredet, sondern sich von bekannten Größen der Glamourwelt, die sich zeitweilig dem Protest anschlossen, Sand in die Augen streuen lassen.

Einige seiner Mitarbeiter waren mit dem Chef gekommen, der durch radikale Zwischenrufe auf sich aufmerksam machte: „Schluss mit dem Gelaber – aus Sklaven werden keine Bürger“.

Ein Aufatmen ging durch die Reihen, als der Antikorruptions-Blogger und Herausforderer Wladimir Putins das Wort ergriff. „Nawalny – Nawalny“ skandierte die Masse – „unser Präsident“ fügten andere hinzu.

Eine taktische Kandidatur

Alexej Nawalny, der wegen eines fingierten Korruptionsfalles in Russland vor Gericht steht, hatte aus taktischen Überlegungen vor Prozessbeginn Anspruch auf das Kremlamt angemeldet. Der charismatische Redner brachte das Volk in Wallung.

Vor allem die Unerschrockenheit des Volkstribuns hob die Stimmung. Er kam mit seiner Frau und einer neuen Losung: „Nimm deine Frau mit auf die Demo“. Er versprach, dass er trotz des Drucks der Strafverfolger nicht aufgeben werde. „Und wenn sie mir noch 124 weitere Verfahren anhängen, ich pfeif drauf“, sagte er.

„So wie ihr fürchte ich auch nichts. Ich bin am richtigen Ort mit den richtigen Leuten“. Bereitwillig stieg die Masse auf seine Dramaturgie ein. Er schrie: „Putin“ – „Dieb“, antwortete das Volk.

An der Bühne und am Rand standen Aktivisten des Unterstützerkomitees „6. Mai“ mit überlebensgroßen Porträts der Inhaftierten. Auch deren Angehörige waren gekommen.

Das Ende ist offen

Eine seltsame Stimmung herrschte, die sich nur schwer beschreiben lässt. Aus der trüben und düsteren Atmosphäre, die mit Resignation ringt und mühselig Aggressionen unterdrückt, entsteht so etwas wie eine amorphe Entschlossenheit. „Das Ende ist offen aber nah“, meinte ein Teilnehmer.

Anti-Putin-Stimmung und -müdigkeit wachsen in ganz Russland. 25 Prozent sprachen sich in einer Umfrage des Lewada-Zentrums gegen Präsident Wladimir Putin aus. 50 Prozent forderten, dass er 2018 nicht mehr in den Kreml zurückkehrt.

Das renommierte Meinungsforschungsinstitut wurde laut Iswestija von der Staatsanwaltschaft inzwischen als eine zivilgesellschaftliche Organisation eingestuft, die unter das neue Gesetz fällt, das NGOs mit finanzieller Hilfe oder Einnahmen aus dem Ausland dazu verpflichtet, sich als „ausländische Agenten“ zu brandmarken.

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11 Kommentare

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  • B
    Benz

    @Pink

    Na dann geben Sie sich eben Mühe und schreiben weiter. Deswegen ist die gloorreiche russische Revolution trotzdem kläglich gescheitert.

     

    ''Auftragsschreiber'' -ja, die Angestellen der Taz werden für ihre Artikel bezahlt, schreiben im Auftrag der Redaktion, das ist so.

  • P
    Pink

    @Benz:

    Welche Mühe ich mir zu welchem Thema mache, dürfen Sie getrost mir selbst überlassen.

     

    Bernd Goldammer hat natürlich Recht mit seinen Hinweisen auf Gustl Mollath und dem Jenaer Pfarrer.

     

    Trotzdem bin ich der Auffassung, dass viele Auftragsschreiber hier gerne ruhig schlafen ...

  • PR
    Peter Rodnow

    1. Ich lebe fast 20 Jahre in Deutschland, aber ich besuche regelmässig meine Verwandte, Freunde und Bekannte, die in Russland von Petersburg in Westen bis Krasnojarsk im Osten leben. Niemand und niemals hat gesagt, dass es in Russland solche Probleme wie "Diktator Putin" und "Polizeiliche Stadt" gibt.

    2. Schauen Sie bitte die Frauen im Bild zu Artikel haben diese Frauen Angst? Ich glaube nicht

    3. In Deutschland habe ich schon mehrmals die Zusammenstöße zwischen den linken Extremisten (bzw. rechten Extremisten) und Polizei gesehen. Diese Zusammenstöße sehen genau so wie in Russland am 06.05.2012 aus.

  • A
    anonymous

    Hier wird von einigen der Versuch unternommen das jetzige Regime in Russland in Schutz zu nehmen. Diese Leute, die Putin verteidigen, sollten mal nach Russland fahren und schauen wie die Realität dort aussieht bzw. mal hinter die glitzernde Fasade schauen.

    Am 6. Mai 2012 in Moskau wurden sehr wohl willkürlich Menschen erst aus der Masse gerissen dann verprügelt und später verhaftet. Teilweise auch einfache Zuschauer, die an der Demo nicht teilgenommen haben. Videos dazu gibt es genügend im Internet. In Deutschland herrscht noch keine Internetzensur anders als in Russland.

  • B
    Benz

    @Pink

    Die Mühe können Sie sich sparen, die russische Revolution ist kläglich gescheitert. Die gloorreichen Revolutionäre haben sich als klägliche Dilettanten und Neurotiker entpuppt.

     

    @Rodnow

    Danke für den Hinweis auf die richtigen Ergebnisse der Umfrage, habe sie angesehen. Tatsächlich stehen laut dieser Umfrage gerade mal 8% der Russen voll hinter der Parole 'Russland ohne Putin'.

  • PR
    Peter Rodnow

    1. Warum schreibt Autor "willkürliche Festnahmen"? Sind die Videos (auch in Internet) mit diesen Leuten, die gegen Polizei kämpfen, kein Grund für die Festnahmen? Ist es in Deutschland anders?

    2. Noch ein komisches Satz in Artikel: "in der die Sicherheitsorgane eine besonders aktive und brutale Rolle übernahmen". Gibt es ein Paar Videos in Internet, die das bestätigen?

    2. Die Ergebnisse einer Umfrage des Lewada-Zentrums sind in Artikel falsch dargestellt (siehe Original-Tabellen hier - http://www.levada.ru/07-05-2013/obshchestvennoe-mnenie-o-vlasti-i-4-m-sroke-putina )

  • P
    Pink

    @Bernd Goldammer:

    Sorry, wenn ich mich einmische. Ihre Argumentation erinnert stark an die Putinsche.

    "Wer dort regiert, das sollen die Russen durch freie und geheime Wahlen regeln ..."

     

    Wladimir Putin ist weder ein lupenreiner Demokrat, noch denkt er darüber nach, ein solcher zu werden.

     

    Wir Deutsche, lieber Klaus-Helge Donath, sollten der russischen Opposition Angst nehmen und Mut machen.

    Dazu braucht man keine Vorschläge und Ratschläge zu erteilen. Einfach anerkennen. Und wenn wir das tun, dann ist es gut so.

  • B
    BoBa

    Wo kann man die 25000 Menschen sehen, oder waren es doch nur 2500?

  • B
    Benz

    Die radikale Opposition will in RU die Macht übernehmen. Aber sie ist nicht mal fähig, eine Demo zu organisieren: Beim Aufbau der Bühne kam ein Arbeiter ums Leben, mutmasslich wurden wegen Lohndrückerei die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten. Die Revolutionäre weisen jede Schuld von sich und weigern sich auch, der Familie des Toten eine Entschädigung zu bezahlen.

     

    Ansonsten- trübe Stimmung. Vor einem Jahr schmiedeten die Revoluzzer hochfliegende Pläne, sprachen ernsthaft von baldiger Machtergreifung und schwelgten in allerlei Revolutionsfantasien. Wer derart hoch hinauswill, kann ja nur scheitern. Nachdem ihre grandios angekündigte Revolte kläglich gescheitert ist, herrscht bei den Revoluzzern Katerstimmung. Vielen beginnt es zu dämmern, dass sie von ihren Führern veräppelt wurden.

     

    @Fred

    Ihr Gerede von Diktatur entbehrt jeder Grundlage. Putin wurde von einer klaren Mehrheit von 65% der Russen gewählt. Eher sind die radikalen Oppositionellen keine Demokraten. Denn zu einer Demokratie gehört auch, die Spielregeln zu achten und die Wahlniederlage zu akzeptieren.

  • F
    Fred

    In Russland "bahnt sich eine Katastrophe weltpolitischen Ausmaßes an"(Scholl-Latour). Diktator Putin sitzt derzeit fester im Sattel als vor einem Jahr. Es gibt zu wenige, die sich seiner Gewaltherrschaft widersetzen. In Tschetschenien hat Putin gezeigt, daß er aus Machtkalkül auch bereit ist, systematischen Krieg gegen Zivilisten zu führen und genozidale Verbrechen zu verüben. Anna Politkowskaja schrieb in ihrem letzten Buch: "Die in Russland heraufziehende Diktatur wird in den kommenden Jahren Hunderttausenden das Leben kosten". In Russland sind die Dämonen aus der stalinistischen Vergangenheit wiederauferstanden.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Darf ich daran erinnern, dass ein Jenaer Jugendpfarrer in Dresden (Deutschland) angeklagt ist, weil er gegen Nazis demonstriert hat? Er ist nicht der Einzige! Die Anklagen der Dresdner Staatsanwaltschaft sind abstrus und sollen ganz offensichtlich Angst vorm Demonstrieren machen! in Bayern sitzt ein Mensch namens Gustl Mollath seit sieben Jahren in der Psychiatrie. Obwohl sich seine Vorwürfe im juristischen Lebensalltag längst bewahrheitet haben. Sein Fall ist bekannt geworden. Doch viele andere gibt es sicher auch noch ohne dass Medien darüber berichten. Wir Deutsche, lieber Klaus-Helge Donath, sollten uns schon deshalb mit Vorschriften und Ratschlägen zurückhalten. Wie Putin zu regieren gedenkt, war den Russen gut bekannt. Offenbar hat er genau deshalb Mehrheiten erreicht. Dass Ihnen dieser Fakt nicht gefällt, haben sie ausreichend bekannt gemacht. Warum aber bezahlen wir Deutschen über deutsche Parteistiftungen die Konfliktbereitschaft der russischen Opposition? Damit schaffen wir nämlich neue Probleme. Wir brauchen ein vernünftiges Verhältnis zu Russland! Wer dort regiert, dass sollen die Russen durch freie und geheime Wahlen regeln, in die sich niemand von außen her einzumischen hat.