piwik no script img

Anti-Obdachlosen-ArchitekturNicht einmal ein Platz zum Liegen

Viele Städte setzen auf obdachlosenfeindliche Stadtmöbel und Architektur. Dies wird auch als defensive Architektur bezeichnet.

Illustration: Zoë Matt-Williams

„Man gönnt den Obdachlosen nicht mal mehr den Dreck unter den Fingern“, sagte Disarstar im Herbst 2022 in einem Video. Der politisch engagierte Hamburger Rapper machte auf Anti-Obdachlosen-Architektur aufmerksam und baute kurzerhand selbst einen Metallbügel, der Sitzplätze auf einer Bank trennte, mit einem Trennschleifer ab.

In Berlin leben laut Wohlfahrtsverbänden bis zu 10.000 Menschen auf der Straße, in ganz Deutschland sind es laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mehr als 50.000. In Erzählungen übernachten diese Menschen auf Parkbänken oder unter Brücken. Doch in der Realität gestaltet sich das meist schwieriger.

Zur Anti-Obdachlosen-Architektur gehören Stadtmöbel, aber sie ist auch im öffentlichen Nahverkehr und in öffentlichen Gebäuden zu finden. Viele Bänke sind strategisch so gebaut, dass durch Metallstreben niemand darauf schlafen kann. Manche bieten nur Platz für ein oder zwei sitzende Personen oder sind gezielt kurvig gebaut. Auch die Entscheidung, Bänke aus Metall oder Stein zu gestalten, wird bewusst getroffen.

Unter Brücken werden teils Metallspitzen montiert, damit niemand dort übernachten kann. Mülleimer werden so konstruiert, dass das Hineingreifen schwierig wird.

Panterjugend zur Bundestagswahl 2025

Dieser Text ist Teil des Projekts taz Panterjugend: 26 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, Nachwuchs-journalist:innen, -illustrator:innen und -fotograf:innen, kommen im Januar 2025 zu digitalen Seminaren zusammen und im Februar zu einer Projektwoche in die taz nach Berlin. Gemeinsam entwickeln sie zur Bundestagswahl Sonderseiten für die taz – ein Projekt der taz Panter Stiftung.

Defensive Architektur – ein Euphemismus

In manchen Bahnhöfen werden außerdem Lautsprecher angebracht, aus denen Tag und Nacht ohne jegliche Unterbrechung Musik tönt oder Geschichten erzählt werden. Auch die Installation von blauen oder anderen bunten und hellen Lichtern soll Menschen vom Übernachten abhalten. In Berlin sind solche Beispiele an vielen Ecken zu finden: in nahezu jeder U-Bahn-Station, aber auch am Hauptbahnhof, wo vor allem Metallstreben und runde Bänke gebaut wurden.

Anti-Obdachlosen-Architektur wird auch als defensive Architektur bezeichnet. Dieser Begriff wird jedoch häufig als Euphemismus kritisiert, weil er das Problem kleiner mache, als es sei. 2022 belegte das Synonym deswegen sogar den dritten Platz beim Unwort des Jahres. Die Jury nannte diesen Baustil damals „menschenverachtend“.

Primär ist der Sinn dieser Architektur, öffentliche Orte sicherer zu gestalten. Indem obdachlose Menschen vertrieben werden, sollen Städte aber auch sauberer und ordentlicher wirken – vor allem für Tourist*innen. Die New Yorker U-Bahn begann schon in den 1970ern damit, Bänke im Stil der Anti-Obdachlosen-Architektur zu bauen.

Auch ältere und eingeschränkte Menschen leiden darunter, am meisten sind aber Obdachlose von dieser menschenfeindlichen Stadtplanung betroffen. Nicht mal das Mindeste gibt es für sie, nicht mal einen Schlafplatz im Freien.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!