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Anti-Atom-Fußballspiel in AachenTore gegen Tihange

Am Samstag spielen Alemannia Aachen und 1. FC Köln II gemeinsam gegen ein belgisches Atomkraftwerk – in „Stop Tihange“-Trikots.

Das Atomkraftwerk Tihange in Belgien Foto: dpa

Aachen taz | Da will man den eigenen Ohren nicht trauen: Auf der Webseite des einstigen Fußballbundesligisten Alemannia Aachen, ansonsten eher im Dunstkreis von biederem Männerbündlertum und Wirtschaftsgrotesken beheimatet, läuft ein professionell gemachter Anti-Atom-Jingle. Untermalt von dramatischer Musik hört man erst Nachrichtenschnipsel zu den Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima, dann eine appellierende Stimme: „Alemannia Aachen sagt: stoppt Tihange.“

Tihange ist der marode Meiler nebenan beim belgischen Lüttich mit seinen andauernden Störfällen, abenteuerlichen Schlampereien bei der Baudokumentation und Abertausenden Rissen in der Betonhülle, weshalb er auch „Bröckelreaktor“ heißt. Am Samstag kommt es nun zu einem der seltenen Fußballspiele in Deutschland, die unter einem politischen Motto stehen: Die Erzrivalen Alemannia und die zweite Mannschaft des 1. FC Köln spielen in der Regionalliga West gemeinsam gegen den Schrottmeiler an, beide Teams mit der Trikotaufschrift „Stop Tihange“. Die Textilsponsoren treten zurück, Eintrittskarten kosten einheitlich fünf Euro, und alle Einnahmen gehen an grenzüberschreitende Bürgerinitiativen. Das Tivoli-Stadion wird so voll sein, als sei Bayern München zu Gast.

Tihange liegt in Hauptwindrichtung 57 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Aachen steht, Bürger wie Politiker, geschlossen gegen die belgischen Atomspalter. „Wir sind sehr dankbar, dass der Traditionsverein sich dieser Problematik stellt und einem gesellschaftspolitischen Auftrag nachkommt. Das ist beispiellos“, rühmt Helmut Etschenberg, CDU, der Aachener Städteregionsrat. Sogar eine Liveübertragung im Fernsehen war im Gespräch, der WDR entschied sich dann aber, doch für einen Film.

Die Idee hatte Alemannia-Aufsichtsratschef Christian Steinborn. Auf der Autobahn nach Hannover, berichtet er, unterhielt er sich mit dem Aufsichtsratskollegen Oliver Laven: Man müsste doch mal … könnte man nicht? … Fußball habe doch auch „eine soziale Verantwortung“ für die Heimat, meint der Technologiemanager … gerade Alemannia als größter Sportverein der Region. Die Vorstandskollegen waren sofort angetan. „Die einzige Strahlung, die wir uns für diesen Spieltag wünschen, sind strahlende Gesichter für ein gutes, wichtiges Projekt“, sagt Steinborn. Aufsichtsratskollege Tim Hammer wundert sich derweil, wie wenig das Thema Tihange in Belgien selbst jemanden kümmert. „Wir werden laut genug auf das Thema hinweisen.“ Nur Trainer Fuat Kılıç ist ein wenig traurig, er hätte sich „gewünscht, dass wir auch sportlich so viele Zuschauer an den Tivoli locken können“.

Kommunen klagen gegen Belgien

Aachen hat Angst. Die Stadt ist seit Monaten voller gelber Anti-Tihange-Plakate, auch türkische Imbissbesitzer machen mit. Am Verwaltungsgebäude der Städteregion prangt weithin sichtbar in jedem Fenster ein Buchstabe zum riesigen Spruch „S-t-o-p T-i-h-a-n-g-e“. Eben hat die Universität Wien ein Gutachten für den Fall einer Nuklearkatastrophe vorgelegt, das, mindestens, alle Befürchtungen bestätigt.

Benefizspiele, Gedenkspiele – alles hundertfach dagewesen. Aber ein einvernehmliches Match gegen die Atomenergie, das ist neu

„Die Ergebnisse sind erschreckend“, sagt CDU-Mann Etschenberg: Bei ungünstigen Wetterbedingungen werde Aachen der gleichen Strahlenbelastung ausgesetzt sein wie Tschernobyl und Fukushima. Weite Teile der Region bis in den Köln–Düsseldorfer Raum würden langfristig unbewohnbar. Längst versuchen Stadt und Kreis Aachen auch juristisch gegen Tihange vorzugehen, zusammen mit Maastricht, Köln und einer luxemburgischen Grenzstadt, insgesamt 80 Gemeinden – plus der Fraktionsvorsitzenden aller Parteien als natürliche Personen. Erstmals in Europa klagen Kommunen gegen einen Nachbarstaat.

Ein Fußballspiel also als Mittel politischer Auseinandersetzung per Großdemo im Stadion mit angegliedertem Spiel. Eigentlich ist so etwas tabu. Schon die Spielkleidung darf, so die Fifa, keinerlei politische, religiöse oder persönliche Botschaft enthalten. Für die erste offizielle Anti-AKW-Begegnung im deutschen Fußball gab es jedoch überraschenderweise keine verbandsjuristischen Probleme. Zu klären war eigentlich nur, so Steinborn, „die Genehmigung des Fußballverbands und das Einverständnis der Trikotsponsoren. Beides verlief schnell und unbürokratisch.“ Entscheidend war die Sprachregelung: „Wir geben mit dieser Aktion kein politisches, sondern ein gesellschaftliches Statement ab“, muss Steinborn sagen. Also wie „Brot für die Welt“ oder Aufrufe zur Rettung des Feldhamsters. Ansonsten? „Wäre das nicht genehmigt worden.“

Unterstützung aus der Politik

Der Verband Mittelrhein bestätigt, man habe nur die Trikotaufschriften abnicken müssen. „Da gibt es in den Statuten ethische und moralische Grenzen“, so der stellvertretende Geschäftsführer Laurenz Neumann. Auch er vermeidet das Reizwort Politik und spricht „lieber von einem gesellschaftlichem Thema“. Bedenken? „Nein, gab es nicht.“ Anders, sagt er, sei das einmal bei Werbung für die Hell’s Angels gewesen und als ein Klub die nazistische „88“ unerlaubt auf die Trikots flocken ließ. Neumann verweist indes auf sanften Druck der Politik. Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) aus Aachen und seine parteilose Kollegin Henriette Reker in Köln hätten sich „sehr stark gemacht“ für das Spektakel.

Meinungsbekundungen gelten gemeinhin als Missbrauch des Fußballs. Seit Jahren, gerade wieder neu entflammt, gibt es Streit um katalonische Fahnen und Forderungen nach Autonomie im Camp Nou in Barcelona. Selbst Jesus-Statements auf Spielerbrüsten, lange en vogue, sind verboten. Als Bundesligaspieler wie Haris Seferović oder Tony Ujah antirassistische Botschaften auf ihre Unterhemden malten, grätschte der DFB dazwischen: „Diese Dinge“ müssten umgehend aufhören, so der Verband, und drohte Sanktionen an. Oberkörper sind für Werbung legaler Drogen (Alkohol) oder der Wettmafia reserviert. Und der Kampf gegen Rassismus ist exklusiv Verbandssache.

Gerade erst hat die Fifa fünfstellige Geldbußen verteilt an ein Dutzend Länder wegen Politpropaganda und Fremdenfeindlichkeit im Stadion. Im Iran, klagt der Weltverband, sei es sogar zu „mehreren religiösen Manifestationen während eines Spiels“ gekommen: 45.000 Franken. Sogar bei Pfiffen von den Rängen hat die Fifa schon ermittelt – mit dem Verdacht, es handele sich womöglich um eine politische Willensbekundung.

taz.am wochenende

Abschied von Amerika. Unsere Autorin hat die Präsidentschaft Obamas als Korrespondentin begleitet. Jetzt war sie dabei, als sein Nachfolger gewählt wurde. Was sich im Land verändert hat und wie es nun weitergeht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. November 2016. Außerdem: Der ARD-„Tatort“ erlebt seine 1.000 Aufführung. Warum ist er so erfolgreich? Und: Wenn der Feminismus „cool“ wird. Unterwegs mit drei Expertinnen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

In dieser Woche tobte im Großbritannien ein Streit, ob die Spieler von England und Schottland beim WM-Qualifikationsmatch die traditionellen Mohnblüten-Silhouetten auf ihren Ärmeln tragen dürfen, zum Gedenken an die Opfer des 1. Weltkriegs wie immer am 11. 11. Selbst das ist der Fifa zu heikel, zu politisch. Drohung mit Punktabzug, notfalls für beide Kontrahenten. „Absolut empörend“ kommentierte Premierministerin Theresa May. Die Teams wollten standhaft bleiben.

Benefizspiele, Gedenkspiele – alles hundertfach dagewesen, aber eine einvernehmliche Begegnung wider die Atomenergie, das ist neu und sorgt als „tolles Zeichen“ nebenan schon für Neid. „Warum kann Luxemburg das nicht?“, schreibt Lëtzebuerg online über die dortige erste Liga: „Mit Weiswampach, Wiltz, Ettelbrück und Bissen liegen direkt vier Ehrenpromotionler in unmittelbarer Nähe des maroden Atomkraftwerks.“ Im Großraum Aachen haben Schulen, Firmen und Vereine große Mengen an Tickets für das besondere Spiel geordert – so sorgt Fußball für energiepolitische Weiterbildung.

Statt der zuletzt nur noch 5.000 Zuschauer erwartet Aachen an die 25.000. Vor dem Match wird es leidenschaftliche Ansprachen geben aus Politik, Klubführung und der grenzüberschreitenden Bürgerinitiative. Als Zugabe gibt es dann ein wenig Fußball zweier biederer Mittelfeldmannschaften. Nach Abzug der Kosten dürfen sich Anti-Tihange-Aktivisten auf einen erklecklichen fünfstelligen Betrag freuen.

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • „Stop-Tihange-Spiel“ bringt knapp 9000 Euro

    http://www.aachener-zeitung.de/sport/alemannia-aachen/stop-tihange-spiel-bringt-knapp-9000-euro-1.1502999

     

    Die Rechnung ging auf. Alemannias Geschäftsführer Timo Skrzypski vermutete, dass der Erlös des „Stop-Tihange-Spiels“ Ende November vorliegen würde und man von einem „seriösen“ Ergebnis sprechen könnte. Am Mittwochabend, kurz vor dem Monatswechsel, hat der Verein bekanntgegeben, welche Summe an das gleichnamige Aktionsbündnis überwiesen wird.

     

    Der Verkauf der Tageskarten und die Versteigerung der Sonderedition „Tihange-Trikot“ haben zusammen insgesamt 80.404,71 Euro eingebracht. Dem gegenüber stehen Kosten in Höhe von 71.484,32 Euro. Somit beträgt der erwirtschaftete Überschuss 8920,39 Euro. „Diese Summe wird die Alemannia nach der Prüfung durch einen externen Wirtschaftsprüfer an das Aktionsbündnis überweisen“, heißt es in der Pressemitteilung des Vereins.

  • so große Hürden bei Aktionen gegen Strahlentod - und keine Bedenken bei Fußball für Fassbrause ...

    Volkssport Fußball.

     

    Danke an die *erstklassigen* Vereine, die Volkssport möglich machen, und ... in your face, KommerzFussBall

    • @uli moll:

      Bloß aufpassen, beim Demonstrieren ...

       

      Es stolpert hoffentlich niemand darüber, dass in Jülich seit 2013 ein Zwischenlager ohne Genehmigung betrieben wird. „Stop Tihange“ ist keine generelle Aussprache gegen Kernkraft und lenkt praktischerweise die Aufmerksamkeit ausschließlich auf unser Nachbarland Belgien.

       

      Zwischenlager Jülich ohne gültige Betriebserlaubnis

      https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMD16/11463%7C1%7C0

       

      (...) Schon seit 2013 gibt es für das Zwischenlager Jülich keine gültige Betriebserlaubnis mehr, weshalb der für die Atomaufsicht in Nordrhein-Westfalen zuständige Wirtschaftsminister Garrelt Duin im Sommer 2014 die schnellstmögliche Räumung des Lagers angeordnet hat. (...)

       

      Betreiber sollen Reaktor-Pannen vertuscht haben

       

      Eine Expertenkommission hat die Geschichte des 1988 stillgelegten Versuchsreaktors in Jülich durchleuchtet. Ihr Bericht beschreibt haarsträubende Zustände: Gefährliche Pannen wurden vertuscht, Strahlungsaustritte nur zufällig entdeckt.

      http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/reaktorbetreiber-in-juelich-vertuschten-stoerfaelle-a-966414.html

       

      Sonntag, 27.04.2014 19:28 Uhr

       

      Jülich/Hamburg - Der Versuchsreaktor am Forschungszentrum Jülich, der von 1967 bis 1988 lief, steht seit Jahren in der Kritik. 2011 hatte die Betreibergesellschaft, die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktorbetriebe (AVR), eine Expertengruppe mit der Aufarbeitung der Reaktor-Geschichte beauftragt. Sie hat ihren Bericht nun vorgelegt - und er benennt teils haarsträubende Missstände. Demnach kam es über Jahrzehnte immer wieder zu Störfällen und wahrscheinlich mindestens zweimal zu Kontaminierungen der Umwelt. (...)

      • @Franz Wirtz:

        Schlecht recherchiert und schlecht vorbereitet ...

         

        „(...) Eintrittskarten kosten einheitlich fünf Euro, und alle Einnahmen gehen an grenzüberschreitende Bürgerinitiativen. (...)“

         

        Davon, dass sämtliche Einnahmen an die Initiative gehen, war zu keinem Zeitpunkt jemals die Rede. Hier hätte ich der taz eine bessere Recherche zugetraut. Angesichts einer aktuellen Veröffentlichung der Aachener Lokalpresse fällt dieses ursprünglich positiv besetzte Thema der Alemannia urplötzlich auf die eigenen Füße. Anhand eines in Aussicht gestellten „knapp fünfstelligen Erlöses“ fängt sich der Traditionsklub heftige Kritik ein, schließlich fragt sich jetzt ein jeder, womit sich derart hohe Zusatzkosten konkret belegen lassen, wenn - ganz grob - von 100.000 € nur 10.000 € übrig bleiben.

         

        Auch wenn der Kern der Geschichte, die öffentlichkeitswirksame Demonstration selbstredend ihren Zweck erfüllt hat, so etwas gehört wegen der Verwendung eventueller Erlöse präziser abgesprochen und vorbereitet.

         

         

        PS:

        „Stop-Tihange-Spiel“: Noch kein „seriöses“ Erlös-Ergebnis

        http://www.aachener-zeitung.de/sport/alemannia-aachen/stop-tihange-spiel-noch-kein-serioeses-erloes-ergebnis-1.1492479#commentsField-913831