Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Keine Hinweise auf Polizei-Leck
Die Sonderkommission „Fokus“ hat die Neuköllner Anschlagsserie auf 72 Taten erweitert. Beschlagnahmte Datenträger sind noch nicht vollständig entschlüsselt.
Ihre Haltung hatte die Opferberatungsstelle ReachOut am Montag schon vor der Innenausschusssitzung in einer Presseerklärung kundgetan: Es sei „empörend“, dass der Zwischenbericht der Sonderermittlungsgruppe „Fokus“ zur Verschlusssache erklärt worden sei. Alle bei tatverdächtigen Rechtsextremisten beschlagnahmten Informationen und Fotos müssten den mutmaßlichen Opfern von der Polizei „endlich vollständig“ zugänglich gemacht werden.
Bislang hatte immer die Zahl 30 im Raum gestanden. Denn 30 Personen hatten von der Polizei kürzlich Sicherheitshinweise erhalten, nachdem es den Ermittlern im November 2019 endlich gelungen war, einen beschlagnahmten Datenträger mit einer sogenannten Feindesliste zu entschlüsseln. Tatsächlich sind in der Datei über 500 Menschen gelistet.
Sabine Seyb, Sprecherin von ReachOut und Kennerin der Diskussion um die rechtsextremistische Anschlagsserie in Neukölln, zeigte sich nach der Sitzung von dieser Zahl überrascht. Alle gelisteten Leute müssten umgehend gewarnt werden, forderte Seyb. „Wenn die Nazis Daten sammeln, müssen wir davon ausgehen, dass sie sie auch benutzen.“
Gute zwei Stunden dauerte die Diskussion im Innenausschuss über den „Fokus“-Zwischenbericht. Es war nur eine Kurzfassung, die Innensenator Andreas Geisel (SPD) der Öffentlichkeit präsentierte. Über den vollständigen Bericht beraten die Abgeordneten demnächst im Geheimschutzraum. „Wir müssen die Ermittlungen schützen,“ begründete Geisel die Anordnung der Vertraulichkeit. Die Täter seien noch nicht dingfest gemacht. „Diesem Ziel muss alles unter geordnet werden.“
Die 30-köpfige LKA-Sonderkommission „Fokus“ war im Mai 2019 eingesetzt worden, um noch mal alle Fälle der Neuköllner Anschlagsserie intensiv auf Ermittlungsfehler und neue Erkenntnisse zu überprüfen. Der Koordinator des Staatsschutzes, André Rauhut, sprach am Montag von drei Tatverdächtigen. Seit 2013 waren der Serie bisher 63 Straftaten zugerechnet worden. Die „Fokus“ geht nun von 72 Taten aus.
Alle Brandstiftungen in dem relevanten Gebiet seien noch mal überprüft worden, neun weitere Taten passten ins Raster, so Rauhut. Seit der Durchsuchung bei dem hauptbeschuldigten Neonazi Sebastian T. im Februar 2018 habe es keine Brandstiftungen mehr gegeben. Die drei mutmaßlichen Täter hätten zuvor ihre politischen Gegner umfassend ausgespäht und „teilweise akribische Aufklärung“ betrieben, sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Das habe die Auswertung der beschlagnahmten Daten ergeben.
Für ein Leck in der Polizei habe die „Fokus“ keine belastbaren Hinweise gefunden. „Leck“ in der Form, dass Daten von Opfern aus der Polizei in rechtsextremistische Kreise geflossen sind. Allerdings habe die Polizei einige Hinweise zu Opfern nicht im richtigen Zusammenhang erkannt. Daher sei mindestens eine Warnung unterblieben. Gemeint ist damit, dass der Linken-Politiker Ferat Kocak vor dem Brandschlag auf sein Auto von der Polizei hätte gewarnt werden müssen.
Ein Laptop und ein Handy, gleichfalls im Februar 2018 bei Sebastian T. beschlagnahmt, sind bis heute nicht decodiert. Auch das BKA sei daran gescheitert, so Rauhut nach der Sitzung. Nun hoffe man auf die Experten einer anderen Bundesbehörde und darauf, dass sich auf den Datenträgern Hinweise auf eine konkrete Tatbeteiligung finden.
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