Anschlag in Magdeburg: Die Waffe regulieren
Nicht erst seit dem Attentat auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gilt: Fußgänger müssen endlich besser vor Autos geschützt werden.
D er Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg zeigt einmal mehr: Fußgänger müssen besser geschützt werden vor Autos. Nach dem Attentat in Solingen im August hat der Staat das Mitführen von Messern bei Volksfesten und anderen öffentlichen Veranstaltungen schärfer reguliert. Jetzt sollten wir darüber diskutieren, wie die tödliche Gefahr durch Autos mithilfe von Sicherheitsvorkehrungen vermindert werden kann.
In Magdeburg gab es zwar einige Durchfahrtsperren. Aber an mindestens einer Zufahrt zum Weihnachtsmarkt eben nicht. Der Attentäter suchte sich diese nach Angaben der Polizei gezielt aus. Dass sie nicht versperrt war, war unverantwortlich.
Dennoch verteidigte der für öffentliche Ordnung zuständige Beigeordnete der Stadtverwaltung, Ronni Krug, die Lücke bei den Durchfahrtssperren auch noch. Sie sei nötig gewesen als Rettungsgasse für Krankenwagen und Ausweg für fliehende Menschen, behauptete der CDU-Politiker.
Angeblich nicht vorhersehbar
Beides ist falsch. „Wenn eine Zufahrt ungeschützt bleibt, nutzen alle anderen Betonpoller nichts. Dabei gäbe es auch für Rettungsgassen Lösungen – etwa ein Auto, das die Zufahrt blockiert und im Notfall weggefahren wird. Oder versenkbare Poller“, sagte Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, dem Spiegel.
Christian Schneider, Sachverständiger für Zufahrtsschutz, kritisierte, die Absperrmaßnahmen in Magdeburg hätten nicht den allgemein anerkannten Regeln entsprochen. „Die Regelung sieht so aus, dass alle offenen Stellen, also alle möglichen Angriffsrouten, so geschützt werden müssen, dass eine unautorisierte Einfahrt gar nicht möglich ist“, so Schneider im MDR. Die Zufahrten für Rettungsfahrzeuge könne man mit baulichen Maßnahmen so ausführen, dass eine Kontrolle möglich ist, bevor das Auto durchfährt.
So ist es. Notwendig sind Absperrungen auch an einer Rettungsgasse, dort müssen sie sich aber im Notfall schnell öffnen lassen. Und was die Fluchtwege für die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt angeht: Schmale Betonpoller bringen Autos zum Halten, aber keine Fußgänger.
Strengere Regelung scheiterte – wegen Deutschland
Spätestens seit dem Attentat mit einem Lastwagen beim Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 müssen Behörden und Veranstalter mit ähnlichen Taten rechnen. Um so unbegreiflicher ist es, dass der Magdeburger Beigeordnete Krug sagte, der Anschlag in seiner Stadt sei ein Fall, „mit dem wir nicht rechnen konnten in seiner Dimension und der vielleicht auch nicht zu verhindern war“.
Weihnachtsmärkte und andere sensible Massenaufläufe müssen praktisch lückenlos mit Durchfahrtsperren geschützt werden. Aber das ist nur ein Mittel, um Fußgänger vor potenziell tödlichen Kollisionen mit Autos zu bewahren.
Zusätzlich sollten Autos mit automatischen Tempobegrenzern ausgestattet werden. Diese Intelligent-Speed-Assistance-Systeme (ISA) erkennen die zugelassene Höchstgeschwindigkeit an einem Ort, etwa mithilfe von Satellitennavigation und digitalen Karten. Wenn das Auto zum Beispiel in eine Fußgängerzone fährt, könnte es der Tempobegrenzer bremsen.
Leider schreibt die Europäische Union seit Kurzem nur einen Geschwindigkeitswarner in neu zugelassenen Fahrzeugen vor. Der weist den Fahrer beispielsweise durch einen Alarmton auf ein zu hohes Tempo hin – bremst aber das Auto nicht. Eine strengere Regelung scheiterte auch an Druck aus Deutschland. Da muss die EU nachbessern.
Was ist die Alternative? Nichts tun?
Es wäre wahrscheinlich nicht durchsetzbar, dass alle bereits gebauten Autos mit einem Tempobegrenzer nachgerüstet werden. Aber für neue Fahrzeuge sollten sie so schnell wie möglich vorgeschrieben werden. Nach und nach wird das die Sicherheit auf den Fußwegen erhöhen.
Natürlich bieten alle Maßnahmen keine hundertprozentigen Garantien. Aber jeder Schritt senkt das Risiko. Was ist die Alternative? Nichts tun?
Vielleicht wenden einige ein, bei den wenigen Attentaten lohne sich der Aufwand nicht. Das ist zynisch angesichts der Todesopfer. Zudem: Durchfahrtssperren und Geschwindigkeitsbegrenzer würden auch viele Unfälle verhindern. Ungefähr 2.800 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland bei Verkehrsunfällen, viele, weil Autos zu schnell fahren und/oder die Fahrer die Kontrolle über ihren Wagen verlieren. Ist das nicht genug Grund, um endlich zu handeln?
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