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Anschlag auf sächsischen JustizministerLechts und rinks velwechsert

Den Anschlag auf die Wohnung des sächsischen Justizministers verübten rechte Hooligans. Zuvor war von Linksextremisten als Tätern die Rede.

Ungebetener Besuch: Wenn rechte Hools Adressen vertauschen Foto: dpa

DRESDEN taz | Gäbe es die „Lügenpresse“ von Sächsischer Zeitung (SäZ) und Leipziger Internet-Zeitung (L-IZ) nicht, würde die Öffentlichkeit nicht erfahren, dass zwei mutmaßliche Attentäter, die einen Anschlag auf die Wohnung von Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) verübt haben sollen, ermittelt und angeklagt wurden.

Die Leipziger Staatsanwaltschaft informierte darüber nicht. Ein Jahr nach dem Anschlag erfuhr die Ende November davon auf Nachfrage. Knapp zwei Wochen später recherchierte die L-IZ, dass es sich bei den Tätern vermutlich um Männer aus der rechten Szene handelt. Diese hätten die Wohnung Gemkows mit einer linken WG im Nachbarhaus verwechselt.

Am 24. November 2015 waren in der Leipziger Wohnung des Justizministers nachts die Fensterscheiben mit schweren Granitsteinen eingeworfen und war Buttersäure verschüttet worden. Gemkows Familie, zu der zwei kleine Kinder gehören, wurde zwar nicht verletzt, verließ aber noch in der Nacht die Wohnung und lebt seither an einem unbekannten Ort.

Der Fall erregte bundesweit Aufsehen. Der Justizminister spekulierte nicht über die Täter, konstatierte nur, dass das Klima rauer geworden sei und die Demokraten jetzt zusammenrücken würden. Andere wussten hingegen sofort, wo die Täter zu suchen waren: in der linken Szene. Sachsens CDU-Generalsekretär und Bundestagsabgeordneter Michael Kretschmer twitterte damals: „Linksextremisten erobern immer mehr Stadtraum. Stadtpolitik: Nicht wegsehen! Handeln!“

Anschlag galt linkem Onlineshop

Anfang Januar 2016 legte sich ein Sprecher des sächsischen Verfassungsschutzes fest: Linksextreme steckten hinter dem Anschlag. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kerstin Köditz wiederholte im Februar Innenminister Markus Ulbig (CDU) diese Behauptung.

Nach Erkenntnissen der L-IZ ist aber mindestens einer der beiden Beschuldigten der bekannte und vorbestrafte Lok-Leipzig-Hooligan Thomas K. Nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen eines Überfalls auf Besucher eines Anti-rechts-Konzerts 2008 beteiligte er sich weiter an Schlägereien und Ausschreitungen. Aller Wahrscheinlichkeit nach galt der Anschlag nicht dem Justizminister, sondern einer WG im Nachbarhaus, die Sitz des linken Onlineshops „Mob Action“ ist.

In einer weiteren Anfrage verlangt die Abgeordnete Köditz inzwischen Aufklärung über die offensichtlichen Fehleinschätzungen von der Staatsregierung.

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