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Anschläge in RusslandTerror in den Randgebieten

Nach den Terroranschlägen in Wolgograd versucht der Kreml Sicherheit vorzutäuschen. Dazu fehlt aber das Personal. Es drohen Pogrome.

Blumen am Bahnhof von Wolgograd Bild: ap

MOSKAU taz | Die Leichen der Terroropfer von Wolgograd waren kaum geborgen, als die Sicherheitsbehörden im staatlichen russischen Fernsehen bereits Erfolge des Inlandsgeheimdienstes meldeten. Dank der Wachsamkeit der Ermittler sei es in den Nachbarregionen Wolgograds noch rechtzeitig gelungen, weitere terroristische Anschläge zu vereiteln. Terroristen in Stawropol und Dagestan seien bei dieser Aktion vernichtet worden.

Es ist immer der gleiche Mechanismus, mit dem der Kreml nach blutigen Anschlägen dem Land Betriebsamkeit und Kontrolle vorzutäuschen versucht. Je bärbeißiger Präsident Wladimir Putin dabei in Szene gesetzt wird, desto schwerer war der Schlag für den Kreml.

Sechs Wochen vor den Olympischen Spielen hat die nordkaukasische Terrorszene nach allen Regeln der Menschenverachtung die selbstherrlichen Machthaber Russlands vorgeführt. Die Sicherheit der Spiele in der Region um Sotschi mag zwar von mehr als 40.000 Geheimdienstlern und Sondereinheiten gewährleistet sein, das gilt jedoch nicht für die angrenzenden Gebiete des Nordkaukasus, wohin der Terror ausweicht.

Auf die Verknüpfung von hermetischen Sicherheitsbedingungen in der Olympiaregion und Löchern im Überwachungsnetz andernorts hatten unabhängige Experten lange im Vorfeld hingewiesen. Ressourcen und ausgebildete Sicherheitskräfte reichen nur für Sotschi selbst. Russische Sicherheitsexperten beklagen überdies, dass der Geheimdienst der filigranen Überwachung von Terroristen nicht gewachsen ist, da in seinen Reihen noch das Denken des „Kalten Kriegs“ überwiege.

Die „schwarzen Witwen“

Spätestens im Oktober hätten Maßnahmen ergriffen werden müssen, als sich eine Terroristin aus Dagestan in einem Wolgograder Bus in die Luft sprengte. Sie war die Frau eines militanten Wahhabiten, der von Sicherheitskräften ausgeschaltet worden war. Seit dem zweiten Tschetschenienkrieg 1999 gehören diese „schwarzen Witwen“ zu den effektivsten Waffen der Terrorszene. In den sozialen Netzen wird seit dem Anschlag im Oktober vermutet, dass sich auch zwei untergetauchte Freundinnen auf ein Attentat vorbereiten.

Bereits im Juli hatte der islamistische Terrorist, Doku Umarow, der sich den Titel „Emir des Kaukasus“ zulegte, in einem Video neue Anschläge im Vorfeld der Spiele angekündigt, „die es mit allen von Allah erlaubten Mitteln zu verhindern“ gelte. Denn, so argumentierte Umarow, der seit Jahren für fast jeden größeren Anschlag in Russland die Verantwortung übernimmt, die Spiele seien „satanische Tänze“, die auf den Gebeinen der Vorfahren stattfänden.

Am Austragungsort der alpinen Disziplinen, Krasnaja Poljana, feierte der russische Kolonialherr 1864 den endgültigen Sieg über den Kaukasus. Die ansässige tscherkessische Bevölkerung wurde abgeschlachtet oder in die Verbannung ins Osmanische Reich vertrieben. Dass der religiöse Konflikt auf imperiale Ursachen verweist und das Zarenreich bewusst Völkermord in Kauf nahm, versucht der Kreml bis heute zu vertuschen.

Wolgograd ist neben Rostow am Don die größte Stadt im russischen Süden. Sie ist ein imperialer Schmelztiegel, in dem es zwischen ethnischen Russen und nichtslawischen Mitbürgern häufiger zu Spannungen kommt. Angst und Panik haben sich seit den Anschlägen breitgemacht. In der angeheizten Atmosphäre der Wolgametropole kann dies leicht zu Pogromen führen. Es wäre eine weitere Eskalationsstufe im Kalkül des terroristischen Untergrunds, der es darauf abgesehen hat, die Region zu destabilisieren.

Terror in Wolgograd ist aber auch aus einem anderen Grund ein empfindlicher Schlag für Moskau. Vom ehemaligen Stalingrad trat im Zweiten Weltkrieg die Rote Armee den Siegeszug über Deutschland an. Dies ist auch der Legitimationsmythos, auf den sich das Regime Putin bis heute stützt.

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15 Kommentare

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  • Herr Litwinenko machte eine Reihe von Anschuldigungen öffentlich, die seine früheren Geheimdienstkollegen von KGB und FSB und den früheren FSB-Chef Herrn Wladimir Putin belasten oder diskreditieren. Er behauptete z.B. dass der Terrorismus wohl künstlich konstruiert wurde und die Schuld am Terrorismus habe Herr Putin.

     

    Litwinenko wurde ermordet. Hat wohl zu viel Wahrheit in der Öffentlichkeit erzählt, genau wie Frau Politkovskaja.

  • „Terrorismus“ in Russland kam erst mit der Machtergreifung von Herrn Putin (als Ministerpräsident und Präsident). Wie kommt das?

     

    Die Einen sagen – Putin rettet sein Volk und ist ein Held, die anderen sagen – der angebliche Terrorismus wurde künstlich konstruiert, um Macht und Annerkennung der Bevölkerung zu haben und zu stärken.

     

    Etwas ist strange! Viel zu schnell wurden die anderen Terroristen gefangen genommen, und warum dann konnte man die Tat nicht rechtzeitig verhindern? Das passt nicht zusammen. Da ist etwas faul.

  • SB
    Santa Bohemia

    Es ist bezeichnend, dass Donath im Zusammenhang des Kampfes der Roten Armee gegen Deutschland von einem "Legitimationsmythos" spricht - so als sei der Kampf gegen den Faschismus nicht legitim. Auch sagt er "Deutschland" statt "Hitler-Deutschland", womit er eine ungebrochene Kontinuität zwischen dem NS-Staat und dem heutigen Deutschland herstellt. Dass diese Kontinuität im Bereich eines bis zur Verblendung verzerrten Russlandbildes tatsächlich besteht - gerade auch bei der taz - ist sehr traurig. Wenn die taz es ernst mit der Vergangenheitsbewältigung meint, sollte sie nicht nur das Gedenken an die Opfer des Holocausts hochhalten, sondern auch an die ca. 27 Millionen Opfer des deutschen Vernichtungskriegs in der Sowjetunion. Ich glaube, Herr Donath würde es sich nie im Leben erlauben, im Zusammenhang mit Auschwitz oder Treblinka von einem "Legitimationsmythos" für den israelischen Staat zu sprechen.

  • A
    Anmerkungen

    Der Artikel suggeriert, alle Tscherkessen seien aus Russland vertrieben worden. Das ist falsch. Es leben dort nach wie vor eine Dreiviertelmillion. Tscherkessisch ist eine der Amtssprachen in den Teilrepubliken Adygeia (=Tscherkessien), Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien. Zumindest einigen Auslands-Tscherkessen wurde übrigens in letzter Zeit nach 150 Jahren der Teilvertreibung die "Rückkehr" gestattet (oder wie auch immer man das nach ca. sieben Generationen nennen mag).

    • @Anmerkungen:

      Nein, das tut der Artikel nicht, es geht hier ausdrücklich um die Tscherkessen in der Gegend von Krasnaja Poljana. Und wenn wir schon bei Zahlen angekommen sind, warum schreiben Sie dann nicht, daß 10% der überlebenden Adygier in den Norden umgesiedelt wurden, während 90 % ins Osmanische Reich deportiert wurden. Ich schreibe bewußt "der überlebenden Adygier", da die Bevölkerungszahlen vor dem russischen Endsieg 1864 und damit auch die Todesraten während des Kriegs unbekannt sind.

  • Na ja... `Berichterstattung´ hin und her...

    Ich finde da hat der Herr Donath sehr negativ-subjektive Anti Putin Töne formuliert !

    Klar: Der Kaukasus ist, als geographisch- historische Grenzregion zwischen West und Ost, zum einstigen osmanischen Reich- ein Tiegel politischer und religiöser Extreme. Sowie ist es richtig die heutigen Probleme im Kaukasus als schwachen Punkt im Prozess modern- humanistischer Entwicklung Russlands zu erkennen!

    Aber gleichzeitig ist der Prozess modern-humanistischer Entwicklung Russlands, für den Putin steht, nicht zu übersehen!

    Siehe Syrien, siehe Edward Snowden, Pussy Riot, Chodorkowsky etc.

    Russland ist riesig gross! Einerseits säkulär-modern-humanistisch- aufklärerisch geprägt/ andererseits im Mittelalter orthodoxen Christentums/ zum Dritten voll von vormodern geprägten islamischen Kulturen und diversen Minderheiten des Schamanismus Sibiriens usw.

    Die geplanten Olympischen Spiele in Sotschi dienen den Ideen moderner Humanisierung, der friedlichen Vereinigung russisch historischer Eigenheiten- und dem Weltfrieden!

    • 7G
      7363 (Profil gelöscht)
      @vergessene Liebe:

      "Aber gleichzeitig ist der Prozess modern-humanistischer Entwicklung Russlands, für den Putin steht, nicht zu übersehen!"

       

      Da müssen sie mir leider nachhelfen, ich konnte mich der humnastischen Seite Putins leider noch nicht erfreuen.

    • @vergessene Liebe:

      Waren das jetzt vorweggenommene Zitate aus der Eröffnungsansprache Putins für die olympischen Spiele in Sotschi ?

    • @vergessene Liebe:

      Und die Verschleierung und Vertuschung eines kolonialen Völkermordes, von dem hier sogar im Text die Rede ist? Und die fortgesezte Verletzung von Minderheitenrechten und gezielte Repression von all denjenigen, die mit friedlichen Mitteln für den Erhalt der eigenen Kultur kämpfen? All das nennen Sie Völkerverständigung, Humanisierung und dem Weltfrieden förderlich?

      • HB
        Harald B.
        @Irma Kreiten:

        Frau Kreiten, langsam nervt- hier geht es um abscheuliche Verbrechen an Unschuldigen, die durch NICHTS zu rechtfertigen sind, und nicht um ihr Hobby in der Genozidforschung.

         

        RED: Kommentar gekürzt. 

        • @Harald B.:

          Ich komme auch irgendwie von dem Gefühl nicht los, daß es Ihnen gar nicht um die Verhinderung von Gewalt durch Verständigung, Ausgleich und eine allgemein vernünftig angelegte, auf Frieden ausgerichtete Politik geht, nicht zuletzt aufgrund Ihrer gestern zum Ausdruck gebrachten Verachtung gegenüber demokratischen Prinzipien und humanen Werten. Wenn doch, so verstehe ich nicht, warum Sie nicht so wie ich schon früher Einspruch erhoben haben gegen das Zunehmen von sozialen, politischen und ethnischen Spannungen in der RF.

        • @Harald B.:

          Wenn hier etwas nervt, so sind das Ihre Ignoranz und unverschämten Formulierungen. Ihrer Ansicht nach sind Völkermorde mit mehr als 2 Millionen Opfern wohl keine abscheulichen Verbrechen an Unschuldigen.

    • @vergessene Liebe:

      Und würden Sie auch das Gesetz gegen Verbreitung homosexueller Propaganda as humanistisch-modern bezeichnen, das angeblich dem Schutz der Kinder dient?

      Die Freilassung der Bandmitglieder von Pussy Riot und Herrn Chodorkowsky war doch ebenfalls berechnetes Kalkül, nachdem immer mehr Regierungsmitglieder westlicher Staaten ihren Olympia-Besuch abgesagt hatten.

      Und Olympia selbst ist doch schon seit Jahren nichts weiter als eine große Show für "VIPs" und Sponsoren.

      • @Jan Berger:

        Klar doch @Irma K. und @JAN B. ! Ihr habt Recht mit eurer feststellenden Anklage! Es gibt vieles in der russischen Gegenwart- (und in der WeltGegenwart!)- was nur so nach Unterdrückung von Minderheiten und Ethnien und religiösen Kulturen stinkt!

        Siehe Kroatien, Uganda, Israel- Palästina, Syrien, Türkei usw. und eben Russland, oder die EU mit Sinti und Roma...

        Und auch ist die Instrumentalisierung der Fussball WM, wie auch der Olympiaden als ein `showUp´ für die VIP´s und Machtideologien ein hässliches Problem!

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        Aber das ändert nichts daran- dass die grundlegende Idee grosser Sporthappenings den Ideen des Friedens und der Völkerverständigung verpflichtet sind!

        Oder soll Frau/Mann im `globalen Dorf´ lieber auf grosse, in Ideen des FRIEDENS begründete Sporthappenings verzichten?

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        Was haltet ihr vom `Prinzip HOFFNUNG´?

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        Meint Herr Donath und ihr zwei etwa, dass die feigen Bombenattentate gegen die russische Zivilgesellschaft in Wolgograd legitimiert sind?

  • Ich möchte zuerst mein tiefes Mitgefühl für die Opfer zum Ausdruck bringen. Das diese Stadt verwundbar ist, zeigt, dass dort nicht hinter jedem Baum ein Polizist oder ein Soldat steht, wie es uns der liebe Klaus Helge Dohnath immer wieder weiß machen will. Wie gut wir Deutsche doch davon gekommen sind. Uns wirft kein Russe und auch kein Kaukasier den massigen Völkermord des deutschen Kaisers vor und auch Hitlers millionenfacher Völkermord wurde uns vergeben. Doch sind wir deshalb die richtigen Berater! Warum wundert es mich nicht, dass dieser Autor wirklich alles gibt um Verständniss für die Mörder herbeizuschreiben? Sogar die Zarenzeiten werden bemüht. Zur Verständigung: Damit war 1917 Schluss.