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Annette Hillebrand über Frauen-Karrieren"Dann gestalten die letzten drei Männer"

Das größte Hemmnis für Frauen im Journalismus sind die verschiedenen Kommunikationsweisen von Frauen und Männern, sagt die Direktorin der Hamburger Akademie für Publizistik.

"Scheißspiel": Frauen können Männer-Kommunikation nicht nachahmen, sagt Annette Hillebrand. Bild: Akademie für Publizistik
Jan Kahlcke
Interview von Jan Kahlcke

taz: Frau Hillebrand, wie viele Frauen hat die Akademie für Publizistik in den Volontärskursen?

Annette Hillebrand: Sicher 60 bis 70 Prozent, Tendenz steigend. Journalistenschulen erleben das genauso bei den Bewerbungen.

Dann ist es ja nur noch eine Frage der Zeit, bis sie über die Hälfte aller Chefredakteurs-Posten besetzen, oder?

Das glaube ich eben nicht. Vielleicht in 100 Jahren, wenn dann nur noch Frauen in den Journalismus gehen. Dann müssen zwangsläufig Frauen auch die Chefredakteurinnen werden. Aber das ist vor allem ein ganz beunruhigendes Signal, weil das heißt, dass der Beruf für Männer nicht mehr so attraktiv ist, und dass er an gesellschaftlicher Reputation verliert. Dass man damit nicht mehr ordentlich Geld verdienen kann - das stört Frauen offenkundig nicht so, wie es Männer stört. Die drehen dann ab und sagen: Gut, dann werde ich eben Ingenieur oder Betriebswirt.

Die Volontärinnen, die zu Ihnen in die Akademie kommen - wollen die später mal Chefredakteurinnen werden?

Annette Hillebrand

58, ist seit 2001 Direktorin der Hamburger Akademie für Publizistik. Sie ist Germanistin und Pädagogin. Volontiert hat sie bei der Badischen Zeitung in Freiburg. Als das Redaktionskollektiv der taz.hamburg sich 1985 nach langen Kämpfen durchrang, Hierarchien einzuführen, wurde sie die erste Chefin vom Dienst.

Ganz, ganz, ganz selten. Ich erinnere mich an eine Volontärin, die hier im Kurs gesagt hat: Und ich will übrigens mal Chefredakteurin werden. Das war eine Sensation. Es ist im Gegenteil so, dass, zum Beispiel, wenn das Interview geübt wird, und man sich das dann im Plenum gemeinsam anschaut, Frauen viel eher als Männer sagen: Oh, das hab' ich aber schlecht gemacht; da hab' ich aber eine schlechte Frage gestellt. Es ist leider immer noch so, dass Frauen dazu neigen, sich zu geißeln und zu bezichtigen und das Mangelhafte zu sehen. Männer sind da robuster. Das ist ganz klassisch. Die sind nicht so nah am Zweifel.

Woran liegt das?

Ich habe dazu eine Vermutung: Für den Journalismus interessieren sich ja viele Menschen, die das Künstlerische und das Soziale daran schätzen: Ich möchte schreiben, ich möchte fotografieren, ich möchte etwas gestalten, und ich lerne ganz viele Menschen kennen. Das zieht vielleicht Persönlichkeiten an, die nicht dieses Chef-Gen in sich haben, dass sie sagen würden: Ich will das steuern, ich will Gewinn machen - das ist so ein bestimmter Typus, der da rein geht. Wenn die dann gut sind und in eine Chef-Position berufen werden, sind sie dafür gar nicht innerlich gerüstet.

Haben die jungen Frauen denn einen Begriff davon, dass es so was wie Chefredakteurinnen gibt?

Ja, aber für 99 Prozent ist das unbedeutend. Das ist in ganz weiter Ferne, das hat mit ihnen selbst nichts zu tun.

Wo wollen sie denn hin? In Schlüsselressorts wie Politik oder Wirtschaft, die für Chefredaktions-Jobs qualifizieren?

Nein, das hieße ja, dass ich die Sache auch strategisch angehe; dass ich einen Plan habe, weil ich weiß, im Ressort Wirtschaft oder Politik kann was aus mir werden, da kann ich Karriere machen. Wir beobachten, dass Frauen immer über das innere und das inhaltliche Interesse gehen. Was macht mir Spaß? Wenn das dann das Ressort Gesellschaft ist, sind sie froh, wenn sie da eine Heimat finden. Der nächste Gedanke: Ist das jetzt strategisch klug?, der kommt gar nicht.

An welchem Punkt knicken Journalistinnenkarrieren?

Das geht vielleicht noch bis zur Ressortleitung, und dann setzt was ein wie ein Naturgesetz: dass Männer anders kommunizieren als Frauen. Frauen können nicht auf die Weise kommunizieren wie Männer und können das auch nicht nachahmen. Angenommen, ich bin Ressortleitung und möchte eine zusätzliche Stelle vom Chef. Dann würde ich als Mann erst mal in das Gespräch gehen und sagen: Gestern, die Nationalmannschaft gegen Holland, haste geseh'n, war ja wohl ein Scheißspiel, oder irgendsowas. Ich wüsste, wie ich das Warming up mache, und dann komme ich mit meiner anderen Sache. Oder wir gehen abends einfach um die Ecke und trinken ein Bier. Frauen können diesen Gesprächseinstieg nicht machen - und abends Kneipe, Bier auch nicht. Die Kommunikation in Hierarchien ist nach wie vor so unterschiedlich, dass es, wenn Männer das Sagen haben, für Frauen wirklich schwierig ist, mit ihren Anliegen durchzukommen, ohne dass sie sofort als nervig, als lästig wahrgenommen werden.

Gilt das für alle Frauen?

Wir hatten neulich in einem Seminar über Personalführung eine Frau, die in einer Sportredaktion gearbeitet hatte. Die wusste, wie man da kommunizieren muss. Aber welche Frau arbeitet schon in einer Sportredaktion?

Was tut die Akademie für Publizistik, um Frauen im Journalismus zu fördern?

Wir machen Weiterbildungs-Seminare zu all dem, was man im Management können muss, aber als Journalistin gar nicht wissen kann. Die werden - wie die meisten Fortbildungen - mehr von Frauen besucht als von Männern. Und dann machen wir ganz viel informelles Coaching. Wir halten mit unseren Volontärinnen Kontakt und die rufen dann auch hier an, wenn sie Angebote haben, und fragen: Soll ich? Wir sehen es als unsere Aufgabe, sie zu bestärken, zu sagen: Mach das, zieh auch mal um, nimm diese Mühe auf dich, wenn du da was erreichen willst.

So was hat ja immer auch mit Role Models zu tun. Haben Sie Schwierigkeiten, Chefredakteurinnen zu finden, die in die Akademie kommen?

Ja, natürlich haben wir das. Wir machen das mit den Role Models anders: Wir achten darauf, dass unter den Dozentinnen viele Frauen sind. Wenn da eine Frau steht und Redigieren, kleine Texte oder die Nachricht unterrichtet, dann heißt das ja auch schon was. Die müssen nicht alle Chefredakteurinnen sein. Aber sie machen ihren Job richtig gut und können das, was ihnen wichtig ist, auch vertreten. Das ist auch schon eine Botschaft.

Sind Frauen immer noch zu leise oder gar zu feige?

Nein, aber Frauen erheben oft innerlich einen großen Anspruch auf universelle Gerechtigkeit: Das muss einfach über die Sache gehen, das ist doch ganz klar. Häufig begreifen sie nicht, dass in der Kommunikation ganz andere Dinge darüber entscheiden, ob jemand was kriegt oder nicht kriegt, etwa bei Gehaltsverhandlungen. Weil die Kommunikation zwischen Männern da einfach anders ist. Das hat nichts mit laut oder leise zu tun. Aber Frauen sind manchmal zu ängstlich. Ich kenne mehrere Frauen in leitenden Positionen in Hörfunk und Fernsehen, die attraktive Stellen mit Frauen besetzen wollten und sich dann nur Absagen eingehandelt haben. Es ist nicht so, dass immer nur der böse Mann das verhindert, sondern mindestens genauso oft springt die Frau dann nicht, oder setzt sich gegenüber ihrem Partner nicht durch, weil vielleicht ein Umzug damit verbunden wäre. Der Klassiker: Die Frau sagt die Stelle ab und ein Jahr später geht sie mit dem Mann irgendwo hin. Das passiert tatsächlich.

Und was ist mit den viel zitierten Männerbünden, die keine Frauen reinlassen? Gibt's die gar nicht?

Ich glaube, dass die das gar nicht so böse und bewusst machen, sondern das geschieht einfach. Das ist einfach Trägheit oder Gewohnheit. Man muss sich ja nur die Runden auf den Kongressen angucken: Da ist jetzt neuerdings, weil es allen aufgefallen ist, immer so eine Quotenfrau dabei. Aber alle diese Themen, die sich um Onlinejournalismus und IT drehen, die so wichtig geworden sind, sind mehrheitlich mit Männern besetzt. Und wenn wir nicht die Quotendebatte hätten, wären da nur Männer.

Scheint fast, als hätte ProQuote schon was erreicht.

Ja, jetzt, wo das ein öffentliches Thema ist, bis rauf zur EU, kriegen Frauen hoffentlich immer häufiger gute Stellenangebote. Dann müssen sie aber auch zeigen, dass sie sie nehmen.

Sogar die Zeit hat nach Gräfin Dönhoff wieder eine Frau in der Chefredaktion. Ein Erfolg der Quotendebatte?

Ganz sicher. In solchen Redaktionen, wo man nicht so dran gedacht hat, ist man jetzt drauf gestoßen worden. Da liegt bei Stellenbesetzungen die Frauenfrage jetzt einfach mit auf dem Tisch. Das ist ein Erfolg. Jetzt kann keiner mehr sagen: Oh, hab' ich gar nicht dran gedacht. Wenn man dann aber die Frau nicht findet, dann kann man nicht grundsätzlich sagen, dass der böse Mann nicht gesucht hat, sondern dann kann es sein, dass er gesucht hat und nicht fand, weil die Frauen es einfach nicht wollten. Das gibt's auch.

Müssen Frauen in der größten Presse-Krise aller Zeiten jetzt den Karren aus dem Dreck ziehen?

Ja. Und sie müssen das weit gehend allein, weil es in der Branche ja inzwischen mehr Frauen als Männer gibt. Ich bin nicht sicher, dass das klappt. Ein Beispiel: Wir haben gerade ein Seminar „Datenjournalismus II". Das ist für fortgeschrittene Nerds. Da sitzen 80 Prozent Männer im Seminar. Aber nur, wenn Frauen sich für die technikgetriebenen Anteile im Beruf begeistern und erwärmen, können sie auch was gestalten. Die spielen ja jetzt schon eine wichtige Rolle und werden noch viel wichtiger werden. Wenn Frauen sagen: Ich würd' mich eigentlich lieber auf das journalistische, auf das pure Produkt konzentrieren; und alles was da dranhängt: die Medienökonomie, die Mediennutzung, das interessiert mich nicht so, dann gestalten Frauen da nichts. Dann werden die verbliebenen drei bis fünf Männer gestalten.

Brauchen wir irgendwann Männerförderung?

Die Verlage haben bereits jetzt Schwierigkeiten, attraktive männliche Bewerber zu bekommen. Das Problem kriegen sie in zehn Jahren. Und es ist ein erhebliches Problem: Du musst ja eine gemischtgeschlechtliche Redaktion haben. Wie will ich denn sonst guten Journalismus machen? Nur Frauen finde ich überhaupt keine Lösung. Das ist ja nicht gut für die Leser, fürs Blatt. Man muss sich Gedanken darum machen, wie der Journalismus ein attraktiver Beruf bleibt, den engagierte, politisch interessierte Leute überhaupt ergreifen wollen.

Werden wir in 20 Jahren die Männerquote fordern?

Wenn das so weiter geht, ja. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass neue Formen des Journalismus entstehen, neue Präsentationsformen auf der Grundlage von Erfindungen aus der Gaming-Branche, von den Spieleentwicklern. Gekonnte Visualisierungen von Datenmengen. Wir werden ganz andere Formen der Berichterstattung erleben, hoffentlich. Und ich bin mir sicher, dass das für Männer attraktiv ist.

Werden die - männlichen - Tekkies dann am Ende wieder die Oberhand haben?

Das kann gut sein. Die Geschlechterdominanz ist so hartnäckig, dass ein paar Jahrzehnte nicht viel ändern werden.

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2 Kommentare

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  • EM
    evita morales

    Viel zu oberflächlich die Frau, um wirklich gut zu sein.

    Die Story von den "Chef-Genen" ist ja sowas von pseudoesoterisch und neoliberal daneben, dass ich denke, dass man solche Leute, die so etwas in der Öffentlichkeit erzählen, einfach nicht ernst nehmen kann, egal welchen Geschlechts sie sind.

    Bestes Beispiel ist die Chefredakteuse vom Weser-Kurier: die läßt einen Macker hoch zehn in ihren Personalentscheidungen 'raushängen, als der sie nicht akzeptiert wird. Sie überzeugt offensichtlich nicht, sondern vertreibt die besten Mitarbeiter. So kann Führung nicht aussehen. Ihre Ablösung ist nur eine unerledigte Hausaufgabe der Geschäftsführung.

     

    Die akademischen Erklärungsmodelle der Direktorin haben keine Evidenz, beruhen lediglich auf persönlich empfundenen Eindrücken. Das ist zuwenig, dafür braucht es keine Akademie. Von einer Journalistenausbilderin hätte ich mehr Substanzielles erwartet, auch wenn sie von der TAZ kommt.

    Betrachtet man die Printmedienentwicklung vor diesem Hintergrund, so ist es kein Wunder, dass Zeitungen sterben: sie sind verwechselbar in ihrer weiblichen, als Empathie definierten Seichtheit; austauschbar in ihren unerklärlichen Erklärungsmustern und daher inhaltlich für zuviele Leser, die nicht den Kernzielgruppen angehören, unattraktiv !

  • HL
    Hauke Laging

    In dem Interview fehlt nur noch die Feststellung, dass "die Frauen", wenn sie denn trotz besseren Wissens all das falsch machen, auch bei 65% Mitarbeiteranteil nicht mehr als 30% der Chefposten erwarten können. Die Quote kann nicht dazu missbraucht werden, Fehlleistungen zu ignorieren.