Anne Helm über Anschläge in Neukölln: „Wir brauchen Ermittlungserfolge“
Im Kampf gegen den rechten Terror in Neukölln muss die Polizei Vertrauen zurückgewinnen, sagt die Linkspartei-Abgeordnete Anne Helm.
taz: Frau Helm, seit Jahren gibt es immer wieder rechte Anschläge in Neukölln. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Sebastian T., einen vorbestraften Rechtsextremen aus Rudow. Das überrascht Sie nicht, oder?
Anne Helm: Nein. Der Name ist in den Kreisen von Betroffenen und aktiven Beobachtern auch schon vor den Hausdurchsuchungen öfters gefallen.
Sie sind in Neukölln aufgewachsen, in Britz zur Schule gegangen. Kennen Sie Sebastian T. persönlich?
Ich bin ihm auf Demos begegnet, da standen wir uns gegenüber. Ich kenne auch Leute aus seinem Umfeld, mit denen kam es zu Wortgefechten auf der Straße. Aber persönlich kennen wäre zu viel gesagt. Wir wissen voneinander.
Sind Sie in Neukölln selbst schon Opfer von Übergriffen geworden?
Ich wurde auf der Internetseite des Nationalen Widerstands Berlin auf Listen geführt. In dieser Gruppe ist auch T. aktiv. Nun wohne ich persönlich aber nicht in Britz. Zu der Personengruppe, die von dort vertrieben werden soll, gehöre ich nicht. Was in Britz abgeht, das ist ein Kampf um eine sogenannte National befreite Zone.
31, war früher bei den Piraten. Seit 2016 sitzt sie für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus und ist dort Sprecherin für Strategien gegen Rechts.
Selbst das Bezirksparlament Neukölln verurteilt die Anschlagsserie inzwischen als „Terror“. Warum hat es so lange gedauert, bis gegen Verdächtige vorgegangen wurde?
Wir haben beim Landeskriminalamt nachgefragt. Es hieß, es sei sehr schwierig, Beweise oder Indizien zu finden, die über Verdächtigungen hinausgehen. Aber natürlich ist es fatal, wenn die Täter mit Gewalt versuchen, antifaschistisches Engagement zu verhindern, alle darüber reden, und sie trotzdem ungehindert weitermachen können. Das hat zu viel Frust bei den Betroffenen geführt.
Die vermuten, dass es in der rechten Szene Neuköllns V-Leute gibt und deshalb so schleppend ermittelt wurde. Was sagen Sie zu diesem Verdacht?
Ich verlasse mich da ein Stück weit auf Innensenator Andreas Geisel, der das ausschließt. Auf der anderen Seite: Wenn es so wäre, würde ich darüber nicht informiert. Dass Menschen diese Befürchtung haben, ist nach den Erfahrungen des NSU verständlich. Ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass es keine V-Leute gibt in diesem Bereich. Ich halte es für unglaublich wichtig, dass die Ermittlungsbehörden Vertrauen zurückgewinnen.
Wie zum Beispiel?
Das allerwichtigste sind Ermittlungserfolge. Dass man zeigt: Rechter Terror ist nicht erfolgreich. Die Polizei hat sich aber auch in der Art und Weise, wie sie die Opfer beraten hat, keinen Gefallen getan. Betroffene fühlten sich unverstanden und hatten den Eindruck, dass die Behörden eher gegen sie arbeiten statt für sie. Da müssen wir nachbessern.
Was sonst hilft den Betroffenen?
Solidarität. Das Festival Offenes Neukölln, das Anfang Juni stattfindet, ist von einem breiten Bündnis getragen. Es ist ein Zeichen: Wir sind viele und wir werden mehr. Sie können und sie werden uns nicht alle kriegen. Das ist auch wichtig, damit in der Öffentlichkeit nicht wieder ein Bild entsteht, wie es das lange gab: In Neukölln kloppen sich Rechte und Linke, und die Mehrheitsgesellschaft geht das nichts an. Auch jetzt passiert es noch, dass Betroffene und Täter auf eine Stufe gestellt werden.
Wer macht das?
Zum Beispiel die CDU in der Bezirksverordnetenversammlung. Sie diskreditiert die Zusammenarbeit des Bezirksamts mit dem Festival Offenes Neukölln, weil es ein sehr breites Bündnis ist, wo sich auch die Interventionistische Linke beteiligt. Das halte ich für Schützenhilfe aus dem Parlament.
Was glauben Sie: Bedeuten die Ermittlungen jetzt einen Durchbruch, möglicherweise sogar das Ende des Terrors?
Ich habe da durchaus Hoffnungen. Klar, es wurde Widerspruch eingelegt, das Verfahren ist abzuwarten. Aber ich bin überrascht, wie offen mit dem Ermittlungsstand umgegangen wird. Die Behörden scheinen sich relativ sicher zu sein. Ich glaube auch, dass Ermittlungserfolge gegen Einzelne der Struktur in Neukölln auf jeden Fall einen Dämpfer verpassen können.
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