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Annabelle Hirsch Air de ParisHat Frankreich die Krise infolge des Terrors vom 13. November bewältigt?

Heute ist der 13. November. Der Pre­mierminister Edouard Philippe spricht gerade im Radio. „Wie ist es, Monsieur le Premier Ministre“, wird er gefragt: „Hat Frankreich sich seit zwei Jahren in Resilienz geübt oder ist es seit dem 13. November tief gespalten?“ Was soll man darauf antworten. Natürlich sagt der Regierungschef, Frankreich sei nicht gespalten, und natürlich sagt er, die Richtung, die man eingeschlagen habe, sei positiv.

Wenn man mit Betroffenen spricht, mit Menschen, die im Anschlag auf das Konzerthaus Bataclan am Freitag, den 13. November 2015 einen Mann, eine Frau oder eine Schwester, einen Bruder oder einfach nur Freunde verloren haben, dann gibt man Philippe recht: Der Wiederaufbau ist geglückt oder zumindest auf dem Weg dorthin.

Erst vor einer Woche saß ich mit Aurélie Silvestre in einem Restaurant im 1. Arrondissement von Paris und hörte der Blondine fasziniert und, weil man ja nie genau weiß, wie man jemanden, der so etwas außergewöhnlich Grausames erlebt hat, am besten anfasst, auch ein bisschen geniert dabei zu, wie sie mir von der Nacht erzählte, in der ihr Mann starb. Sie erzählte wie er, nur halb überzeugt, zu dem Konzert der Eagles of Death Metal aufgebrochen war. Von den Stunden der Geiselnahme und davon, wie ihr Vater ihr sagte, Matthieu sei tot, und ganz viel vom Danach. Als Mutter eines kleinen Sohnes und im fünften Monat schwanger habe sie keine Zeit gehabt allzu verzweifelt zu sein, es sei faszinierend, wie stark man in solchen Momenten sein kann: Glücklich, sagt sie, sei sie vielleicht noch nicht, aber zumindest auf dem besten Weg dahin. Schaut man also auf Silvestre, hat der Premierminister recht: Die Richtung ist positiv, die Resilienz ist geglückt. Aber was ist mit der Spaltung?

Vor etwas mehr als einer Woche erlebte die Redaktion von Charlie Hebdo, also jene Redaktion, die erstes Opfer der spektakulären Anschlagswelle von 2015 war, etwas, sagen wir, sehr Befremdliches. Es bedarf hier eines kleinen Exkurses, um zu verstehen, worum es ging: Im Rahmen der Weinstein-Affäre und Internetbewegung des „Balance ton porc“ (ich sprach vor Kurzem davon), wurde Tariq Ramadan, sogenannter Islamexperte, Enkel des Gründers der Frères Musulmans, von mehreren Frauen der Vergewaltigung beschuldigt.

Ramadan ist in Frankreich eine höchst kontroverse Figur. Seit knapp 25 Jahren übt sich der „Islamologe“, den viele wie einen Guru verehren, in einem recht wackeligen Spagat zwischen einem angeblichen Integrationswillen und sehr schlecht verschleierten radikalen Ansichten. So war er erst im vergangenen Sommer einem amerikanischen Imam zu Hilfe geeilt, der verurteilt wurde, weil er seiner Gemeinde ans Herz legte, die Mädchen zu beschneiden, um sie vor ihrer „Hypersexualisierung“ zu schützen. Herr Ramadan, der angeblich dagegen ist, sagte dazu nichts Besseres, als dass man doch bedenken müsse, dass die Beschneidung zur muslimischen Tradition gehört. Schön, wenn jemand, dem so viele zuhören, so etwas Dummes sagt!

Aber darum geht es nicht. Nur darum, dass dieser Guru, der immer sehr schnell mit Islamophobie-Vorwürfen um sich wirft, einer Straftat beschuldigt wird, was Charlie Hebdo (natürlich!) zum Anlass für eine Karikatur nahm: Auf dem Cover sieht man Ramadan mit einer gigantischen Erektion verkünden: „Ich bin die sechste Säule des Islam.“ So. Und nun bekam die Redaktion erst einmal ein paar Morddrohungen à la: „Sie verdienen eine zweite Runde, es hat ihnen wohl nicht gereicht“/ „Charlie Hebdo ist ein Haufen Dreck, es bedarf neuer Morde, um daran zu erinnern, es würde uns nicht nur schaden“/ „Wann gibt es das nächste Attentat auf Charlie Hebdo???“ usw. Der Seite Mediapart, große Freunde von Ramadan, ist indes nichts Besseres eingefallen als heute, am 13. November, eine Petition zu veröffentlichen mit 130 Unterschriften gegen das Cover von Charlie Hebdo. Also nochmal: Resi­lienz, ja, aber keine Spaltung? Monsieur le Premier Ministre, sind Sie sich da wirklich sicher?

Annabelle Hirschist freie Autorin, lebt in Paris

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