Anklage gegen Frauenmörder in Kanada: „Incel“-Mord gilt als Terrorismus

Ein Jugendlicher hatte eine 24-Jährige aus Frauenhass erstochen. Dabei soll er von der so genannten „Incel“-Bewegung inspiriert gewesen sein.

Eines der Opfer des bislang tödlichsten Incel-Angriffs in Kanada im April 2018 Foto: Stringer/reuters

Berlin taz | Zum ersten mal überhaupt haben in Kanada diese Woche Ermittlungsbehörden einen Angriff auf Frauen als „terroristisch“ eingestuft, weil er von der Ideologie der sogenannten Incel-Bewegung inspiriert wurde. Incel steht für Involuntary Celibate, unfreiwilliges Zölibat, und beschreibt Männer, die sich insbesondere in Diskussionsforen im Netz darüber ereifern, dass sie von Frauen abgewiesen wurden und wie sie sich für dieses „Unrecht“ rächen werden.

Im konkreten Fall geht es um einen 17-jährigen mutmaßlichen Täter, der Ende Februar in einem Massagesalon in Toronto die 24-jährige Angestellte Ashley Arzaga erstochen und vor dem Salon einen Mann und eine Frau mit Messerstichen verletzt hatte. Er war zunächst des Mordes in einem und des versuchten Mordes in zwei Fällen angeklagt worden. Da er noch nicht volljährig ist, wird sein Name öffentlich nicht genannt.

Am Dienstag erklärten der Toronto Police Service und die Royal Canadian Mounted Police in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass sie die Anklage um den Vorwurf des Terrorismus erweitern. Die Ermittlungen hätten „ergeben, dass dieses Verbrechen tatsächlich durch die ideologisch motivierte gewalttätig-extremistische Bewegung inspiriert wurde, die unter dem Namen Incel bekannt ist“, heißt es.

Am möglichen Strafmaß für den Angeklagten ändert das nichts: Schon auf Mord steht in Kanada die Höchststrafe von lebenslanger Haft mit der Möglichkeit vorzeitiger Entlassung nach frühestens 25 Jahren. Politisch und verfolgungstechnisch aber markiert die Anklage einen gewaltigen Unterschied.

Nicht der erste Incel-Mord in Kanada

In ihrem neuesten Jahresbericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, stufen die kanadischen Geheimdienste (CSIS) gewalttätige Frauenfeindlichkeit als ideologischen Extremismus ein. Damit fällt auch die Incel-Ideologie unter „ideologisch motivierten Terrorismus“.

CSIS nimmt dabei direkten Bezug auf ein Verbrechen, das als bislang tödlichster Incel-Angriff von Kanada gilt. Am 23. April 2018 hatte der 25-jährige Alek Minassian mit einem gemieteten Lieferwagen in einer belebten Einkaufsstraße von Toronto regelrecht Jagd auf Fußgänger*innen gemacht. Am Ende waren zehn Menschen tot und sechzehn weitere schwer verletzt. Minassian, der die Fahrt unverletzt überstanden hatte, versuchte, Polizeikräfte mit einem waffenähnlichen Gegenstand zu provozieren, um erschossen zu werden. Das misslang, er wurde festgenommen.

Kurz vor seiner Tat hatte Minassian auf Facebook gepostet: „Die Incel-Rebellion hat schon begonnen! Wir werden alle die Chads und Staceys niederringen! Heil dem überlegenen Gentleman Elliot Rodger!“

Elliot Rodger ist der Mann, der im Mai 2014 sechs Menschen in Kalifornien und sich selbst umgebracht hatte. Rodger veröffentlichte vor seinem Tod Videos und ein „Manifest“, die als so etwas wie die Gründungsdokumente der Incel-Bewegung gelten können. „Wenn ich an das tolle und glückselige Leben denke, dass ich hätte leben können, wenn Frauen mich nur sexuell attraktiv gefunden hätten, brennt mein ganzes Ich voller Hass,“ schrieb Rodger. „Sie haben mir ein glückliches Leben verwehrt, und im Gegenzug werde ich ihnen ihr ganzes Leben nehmen. Das ist nur fair.“

Einzeltäter, aber kein Einzelfall

In den von Incel benutzten Foren auf den Plattformen 4chan und anfangs Reddit – Reddit hat die Incel-Foren inzwischen weitgehend gelöscht – werden als „Chads“ Männer bezeichnet, die nach Ansicht der Schreibenden dumm sind, aber Anklang bei Frauen finden. „Staceys“ sind Frauen, die die Schreiber verschmähen, aber die „Chads“ attraktiv finden.

Die kanadischen Ermittlungsbehörden erklären in ihrer Stellungnahme vom Dienstag, die Bevölkerung könne unbesorgt sein, es handele sich um eine isolierte Tat. Sie wollen damit sagen, dass der 17-Jährige allein und nicht als Teil etwa einer organisierten Zelle gehandelt hat. Doch die Beruhigung ist relativ, scheint doch aus dem ins Aggressive gekehrten Gejammer von Männern, die sich selbst ganz toll finden und nicht verstehen, warum Frauen das nicht auch so sehen, inzwischen tatsächlich eine Ideologie der Gewalt geworden zu sein.

Im Januar hieß es in einem Bericht des Texas Department of Public Safety: „Was als persönlicher Groll gegenüber der empfundenen Zurückweisung durch Frauen beginnt, kann zur Treue und dem Wunsch nach Ausweitung einer Incel-Rebellion führen. Im Ergebnis gehört die Incel-Bewegung inzwischen zum Bereich des inländischen Terrorismus.“

Der Prozess gegen Alek Minassian, den Lieferwagen-Attentäter von Toronto, sollte eigentlich im April beginnen, wurde aber wegen der Corona-Pandemie verschoben. Weder er noch irgendein anderer der inzwischen zahlreichen Incel-Täter in den USA, Kanada aber auch Europa wurde wegen Terrorismus angeklagt. Kanadas Ermittler haben mit der Terrorismus-Anklage gegen den mutmaßlichen Messerstecher von Toronto diese Woche überfälliges Neuland betreten.

Comments

[Waldo]

Was genau ist eigentlich der Grund das ein Mensch, genau das sind die mutmaßlichen Täter, das er so reagiert ?

Solche Kommentare wie sie @Sebas.tian und @Motz Christian lassen genau das außer Acht.

[Ingo Bernable]

@Waldo:

Genau DER eine Grund wird sich allgemeingültig wohl kaum benennen lassen, aber man kann wohl annehmen, dass so etwas oft mit Ablehnung, Zurückweisung und Isolation zu tun hat und was viele Menschen vielleicht verkraften können, manche vielleicht Minderwertigkeitskomplexe oder Depressionen entwickeln, reagieren wieder andere eben mit Wut und Hass und wiederum eine Teilgruppe dieser agiert diese Aggressionen dann auch aus. Und auch wenn es sicher so ist, dass die Schicksale solcher Menschen oft genug ziemlich traurig und mitleiderregend sind ändert das nichts daran, dass so eine Tat nur als verabscheuungswürdig gewertet werden kann. Die Frage danach ob eine Schuldfähigkeit gegeben ist oder die Tat psycho-pathologisch eingeordnet werden muss schließt sich an und ist idR dilemmabehaftet. Dass etwa Breivik für zurechnungsfähig befunden wurde ist mE recht problematisch, nicht weil ich die Fähigkeit der Gutachter anzweifeln würde, sondern weil es ein fatales Signal für ähnlich gesinnte potentielle Nachahmer war.

[tomás zerolo]

Ich frage mich... hat es das immer gegeben? Ist es nur lauter geworden seit 4chan (oder 8chan oder was-auch-immer für 'ne Zweierpotenz die jetzt haben)?

Fördern solche Kanäle den Schritt zur Tat [0]? Wird nur das sichtbarer, was immer war [1]?

[0] Sich zu einer Gruppe zugehörig fühlen kann durchaus enthemmend wirken



[1] Gewalt gegen Frauen gibt es leider schon lange. Die Dunkelziffer ist hoch. Viel wird verdrängt.

[Normalo]

Nicht jede politisch relevante Gewalttat ist gleich Terror. Wie bei anderen, aus einer Hassideologie motivierten Tätern sollte man unterscheiden zwischen reinem Hass, der sich Bahn bricht und die Ideologie nur als Vorwand nutzt, und echtem Terror, der eine politische Hebelwirkung anstrebt, indem er durch die Gewalt gegenüber einzelnen, entsprechend ausgewählten Individuen die Zielgruppe insgesamt verängstigt.

Es wäre beispielsweise kaum jemand auf die Idee gekommen, dass "Hier kommt Alex" von den Toten Hosen ein Lied über Terroristen ist. Oder dass Berliner Autozündler Terroristen sind. Da geht es um blanke, durch das Gefühl persönlicher Ohnmacht hervorgerufene Wut, die übersprudelt und dann enthemmt ausgelebt wird, nicht mehr und auch nicht weniger. Ähnlich würde ich es bei dem Messerstecher-Fall in Toronto sehen, falls der Täter von dem Mordopfer tatsächlich zurückgewiesen worden war. Incel diente dann nur dazu, ihm eine Peer Group zu verschaffen, vor der er sich für seine Tat gerechtfertigt fühlt. Bei dem Amokfahrer sieht es schon anders aus, da er offenkundig wahllos vorging.

Richtigerweise ist eine reine Hasstötung auch Mord. Da gibt es nichts zu verharmlosen. Aber sie funktioniert anders, und ihr Täter funktioniert anders als bei Terrorismus. Insofern ist es vielleicht politisch eine Genugtuung, kriminalistisch aber ein Fehler, den Begriff von Terrorismus zu stark auszuweiten.

Diese Incel-Bewegung ist zweifelsohne eine Sammelstelle des Hasses. Aber sie funktioniert nicht wie eine terroristische Vereinigung sondern eher wie ein Stammtisch. Deshalb wird man ihrer auch nicht Herr, indem man ihr mit den Mitteln der Terrorbekämpfung nachstellt.

[Ingo Bernable]

@Normalo:

Die Frage ob die Einordnung als Terrorismus greift mag an einigen Punkten grenzwertig sein, etwa in Bezug auf eine klare Ideologie oder Agenda der Incels oder darauf, dass sie zwar vernetzt sind aber nicht koordiniert agieren. Eine Bekanntschaft von Täter und Opfer lässt sich aber weder diesem noch anderen bisherigen Artikeln zu diesem Fall entnehmen, gleichzeitig wurde wohl auch eine Kollegin des Opfers attackiert und der Umstand, dass es sich bei dem Salon laut Toronto Sun um ein "erotic massage parlour" handelt legt die Vermutung nahe, dass das Auswahlkriterium eher in der Repräsentanz als im Zwischenmenschlichen gelegen hat. Wo Gewalt aber gegen Gruppen gerichtet ist und mit dem Ziel ausgeübt wird Einzuschüchtern und eine Botschaft zu transportieren, lässt sich Terrorismus durchaus argumentieren.



@taz: Opfer von Verbrechen mit vollem Namen zu nennen, auch wenn es sich nicht um Personen des Zeitgeschehens handelt, erscheint mir vorsichtig ausgedrückt ungewöhnlich.

[Sebas.tian]

Was für Lappen. Und dann noch bewaffnet.

[Motz Christian]

Die Frauen, die diese "Herren" zurückwiesen, haben die richtige Entscheidung getroffen.

[mensch meier]

Man könnte meinen, inzwischen hat jede wirre Spinnerei das Potential zu einer terroristischen Bewegung.



Ist Vernetzung an sich das Kernproblem?